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Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.

© Privat

Wiarda will’s wissen: Bloß nicht zu viel Entschleunigung

Zeit für den Freiwilligendienst oder ein Studium Generale: Die Ausbildung wird wieder länger. Doch das ist problematisch, meint unser Kolumnist.

Vielleicht war die Debatte dann doch nicht so ernst gemeint. Zumindest ist es erstaunlich, wie schnell der eben noch hitzig diskutierte CDU-Vorschlag eines „verpflichtenden Gesellschaftsjahres“ für junge Menschen aus den Schlagzeilen verschwunden ist. Die typische Sommerloch-Karriere einer Idee, befördert von verzweifelt auf Themensuche befindlichen Politikern und Journalisten?

In jedem Fall hat das in fast schon schmerzhafter Breite ausgewalzte Für und Wider einer allgemeinen Dienstpflicht für mich zwei bleibende Erkenntnisse zu Tage befördert. Wovon eine ziemlich besorgniserregend ist.

Die erste: Die öffentlichen Sympathien in „fast allen politischen Lagern“ (die Formulierung stammt vom verteidigungspolitischen Sprechers der SPD, Fritz Felgentreu) manifestiert einen schon länger zu beobachtenden gesellschaftlichen Meinungsumschwung. Kurz gefasst lautet er: Die jungen Leute sollen nicht so durch ihr Leben hetzen. Sich mit Beruf und Karriere mehr Zeit lassen. Mal etwas Anderes sehen. Was für die Allgemeinheit tun. Meist folgt dann noch ein Hinweis auf den angeblich ökonomisch getriebenen Trend zu immer mehr Selbstoptimierung und Effizienz in Schule und Hochschule.

"Ein einjähriges Studium Generale schadet nichts"

Der beschriebene Meinungsumschwung führt dazu, dass an gleich mehreren Gelenkstellen im Bildungssystem parallel herumgeschraubt wird. Die meisten West-Länder sind dabei, das achtjährige Gymnasium zu Gunsten von G9 zu begraben. Die Einschulung wurde vielerorts wieder nach hinten geschoben. Sogar Wissenschaftsminister ermutigen die Studierenden, nicht zu sehr der Regelstudienzeit hinterherzuhecheln. Und der neue Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter-André Alt, sagte der Süddeutschen Zeitung: „Gegen eine Art einjähriges Studium Generale für alle hätte ich nichts.“ Das Bachelorstudium würde länger, die Studierenden wären älter und reifer. „Das schadet nicht.“

Eine Entschleunigungslogik, für die es gute Argumente gibt – genau wie für die Dienstpflicht-Idee, die hervorragend dazu passt. Wäre da nicht die zweite – weitaus problematischere – Erkenntnis: Jeder kocht mal wieder sein eigenes Süppchen. Die Schulpolitiker verlängern die Schulzeit. Die Hochschulpolitiker und Unichefs schrauben schon durch ihre Rhetorik die Studiendauer hoch. Käme auch noch das Gesellschaftsjahr, wären die jungen Leute plötzlich noch älter, bevor sie in den Job starten. Wo ist die Koordination, der Blick fürs Ganze?

Deutschlands Studierende sind zu alt, lautete das Mantra

Genau der fehlte auch, als Anfang der 2000er Jahre alle alles schneller machen wollten: Schule, Studium, Berufseinstieg. Dann noch, ein paar Jahre später, die Aussetzung der Wehrpflicht. Deutschland leiste sich die ältesten Studierenden, lautete das ewige Mantra. Und alle rieben sich plötzlich die Augen, als das Durchschnittsalter der Hochschulabsolventen mit dem Purzeln gar nicht mehr aufhören wollte. Wachen wir wieder auf in ein paar Jahren und blicken überrascht auf die bildungspolitischen Folgen eines komplett unabgestimmten Reformkonzerts? Diese Frage stellte ich mir, während ich die Dienstpflicht-Debatte verfolgte. Und deshalb hätte ich nichts dagegen, wenn sie tatsächlich wieder versanden würde.

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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