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Der "March for Science" 2017 in Berlin - mit dem Slogan "zu Fakten gibt es keine Alternativen".

© picture alliance / Jörg Carstens

Wiarda will's wissen: Alternativen zu den Fakten liefern

Wissenschaft hütet keine unverrückbaren Fakten. Das schon in der Schule zu vermitteln, ist Grundlage guter Wissenschaftskommunikation, meint unser Kolumnist.

Plötzlich macht die Politik Tempo. Erst hat die SPD-Bundestagsfraktion ein Konzeptpapier mit dem Titel „Wissenschaftskommunikation stärken“ veröffentlicht und zum Austausch darüber eingeladen. Zwei Tage später war die Unionsfraktion mit ihrem Expertengespräch „Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus“ dran, zwar noch ohne eigenes Konzeptpapier, dafür aber an symbolischem Ort: im Berliner Museum für Naturkunde, das mit seinem Direktor Johannes Vogel als nationaler Hotspot der bürgernahen Wissenschaft gilt.

Man darf fragen, ob neue Förderideen für gute Wissenschaftskommunikation nicht schon damit anfangen sollten, dass die beiden Regierungsfraktionen beim Nachdenken über sie nicht derart aneinander vorbeiarbeiten. Aber geschenkt. Entscheidender ist, dass in der Politik das Bewusstsein für einen auf den ersten Blick seltsamen Widerspruch wächst: Die Menschen in Deutschland sind vergleichsweise interessiert an wissenschaftlichen Themen, und die Mehrzahl gibt an, dass sie Wissenschaft und Forschung insgesamt vertrauen. Doch glauben laut der regelmäßigen Wissenschaftsbarometer-Umfrage nur 40 Prozent der Befragten, dass die Wissenschaftler zum Wohl der Gesellschaft arbeiten.

Bürger an der Formulierung von Forschungsfragen beteiligen

Woher kommt diese seltsame Kluft? Wie hängt sie zusammen mit der in Deutschland stark ausgeprägten Skepsis gegenüber der Genforschung oder neuen Techniken wie der CO2-Verpressung? Wieso finden Verschwörungstheorien von „Fake Science“ und der angeblichen Übertreibung des Klimawandels durch Forscher auch hierzulande Gehör?

Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.
Unser Kolumnist Jan-Martin Wiarda. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

© Privat

Die Antwort, da sind sich die meisten Experten einig, besteht in weniger Hochglanz-Marketing der Forschungseinrichtungen und in mehr direkten Gesprächen zwischen Wissenschaftlern und Nicht-Wissenschaftlern. In mehr kritisch-fundiertem Wissenschaftsjournalismus, dem in Zeiten von Digitalisierung und Social Media zum Teil die Geschäftsgrundlage abhandengekommen ist, und in mehr Beteiligung der Bürger an der Formulierung von Forschungsfragen und, wo möglich, auch am Forschungsprozess selbst. Geld für Wissenschaftskommunikation ist da, womöglich sogar genug, allerdings muss es anders ausgegeben werden.

Doch wird das nicht reichen. Eines wird immer deutlicher: Der Kampf gegen die Wissenschaftsskepsis fängt in der Schule an. Solange dort der jeweilige Stand der Forschung häufig ohne lange Diskussion als absolute Wahrheit an die Schüler weitergereicht wird, weil das so am einfachsten und schnellsten geht, darf man sich nicht wundern, wenn bei einigen später im Leben die Desillusionierung folgt. Weil dann, sobald neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die Forschung sich scheinbar selbst widerspricht. Was Populisten dankbar ausbeuten. Insofern war auch der Slogan des March for Science 2017 „Zu Fakten gibt es keine Alternative“ denkbar schlecht gewählt.

Die Schule muss mehr als bislang klarmachen, dass Wissenschaft kein eifersüchtiger Hüter unverrückbarer Fakten ist. Und die Politik sollte ihr dabei helfen, denn diese Form der Wissenschaftskommunikation wird ganz sicher mehr kosten. Vor allem Unterrichtszeit. Aber auch mehr Lehrer. Wissenschaft ist der nie endende, von Rückschlägen begleitete Prozess der Annäherung an die Wahrheit. Das macht Wissenschaft mitunter frustrierend und schwer erklärbar – doch, wenn man sie richtig vermittelt, auch unendlich spannend.

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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