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Gerüchte über Impfschäden verhindern, dass in Entwicklungsländern Krankheiten wirksam bekämpft werden können.

© DPA / Kay Nietfeld

"Wer sich nicht impfen lässt, agiert unsozial": Neue Impfstoffe helfen gegen globale Massenkrankheiten

Impfungen sind für das globale Gesundheitsprogramm der Gates-Stiftung zentral, sagt Projektleiter Trevor Mundel - und fördert die Entwicklung neuer Impfstoffe.

Trevor Mundel ist Mediziner und Mathematiker. Der Südafrikaner wechselte 2011 vom Pharmakonzern Novartis zur Gates-Stiftung und leitet dort das globale Gesundheitsprogramm. Das Gespräch mit ihm führte Sascha Karberg.

Herr Mundel, was sind die derzeit drängendsten Gesundheitsprobleme der Welt?

Jeder Versuch, Malaria auszurotten, würde viel verändern, insbesondere in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Auch HIV ist noch immer ein ungelöstes Problem, denn der HIV-positive Anteil der Bevölkerung steigt noch immer, wie auch die Kosten, um diese Menschen ein Leben lang mit den lebensrettenden Medikamenten gegen die Aids-Viren zu versorgen. Die Gesundheitssysteme in Europa und den USA können das leisten, in Regionen wie Süd- und Ost-Afrika stellt es allerdings ein Problem dar. Damit sind wir bei der dritten großen Herausforderung: Wie etabliert man in armen Ländern Systeme, die eine medizinische Grundversorgung sicherstellen? Egal welche nützlichen Therapien oder Impfungen auch immer entwickelt werden, es braucht eine funktionierende Infrastruktur, um diese Innovationen an die Menschen bringen zu können.

Kann das Malaria-Problem durch den Impfstoff gelöst werden, den die WHO seit Ende April einsetzt – wenn auch vorerst nur in einer Anwendungsstudie in Ghana, Kenia und Malawi an jährlich etwa 360 000 Kindern pro Jahr?

Diese Anwendungsstudie ist wichtig, um zu verstehen, ob die in klinischen Studien nachgewiesene Schutzwirkung des Malaria-Impfstoff RTS,S sich auch unter realen Bedingungen einstellt. Denn die Vakzine hat leider nur eine moderate Wirkung, etwa 40 Prozent, weshalb parallel andere Maßnahmen zur Bekämpfung von Malaria, etwa Bettnetze, nötig sind. Außerdem muss der Impfstoff den Babys in vier Dosen verabreicht werden. Das ist schwierig in Ländern, in denen schon die Versorgung mit gängigen Impfstoffen bei unter 30 Prozent der Bevölkerung liegt. Die Frage, ob der Impfstoff Malaria eindämmen helfen kann, muss die Studie also erst noch zeigen. Erst dann kann die WHO entscheiden, wie sinnvoll es ist, große Summen für eine weltweite Impfkampagne zu investieren.

Eine Krankenpflegerin in Ghana zeigt Ampullen des neuen Malaria-Impfstoffs Mosquirix oder RTS,S.
In Ghana wurde der neu zugelassene Malaria-Impfstoff Mosquirix – oder RTS,S – zuerst in der Ewin Poliklinik in Cape Coast eingesetzt.

© Cristina Aldehuela/AFP

Was, wenn sich RTS,S nicht bewährt? Fördert die Gates-Stiftung Alternativen?

Der RTS,S-Impfstoff zeigt uns zum ersten Mal, dass eine Malaria-Vakzine möglich ist. Anfangs ist die Schutzwirkung sogar recht hoch, nimmt aber später ab. Wir wissen einfach nicht, warum der Impfstoff nicht wirkt wie andere, bei denen eine einzige Impfung lebenslang hundertprozentigen Schutz ermöglicht. Offenbar hat der Malaria-Parasit viele Mechanismen, um das Immunsystem des Menschen zu unterdrücken oder zu umgehen. Aber dank RTS,S wissen wir, dass man mit einem Protein des Malariaerregers, CSP genannt, eine Immunreaktion gegen die Parasiten erreichen kann. Daher unterstützen wir Forschungen, CSP zu verbessern – etwa indem Teile des Proteins entfernt werden, die die Schutzwirkung negativ beeinflussen.

Forscher der Uni Tübingen haben mit lebenden Malaria-Parasiten, Sporozoiten, eine hundertprozentige Schutzwirkung erzielt. Warum unterstützt die Stiftung dieses Impfstoffkonzept nicht?
Dieser Ansatz war in einigen Studien sehr erfolgreich, aber es gibt Hürden, etwa die Herstellung: Es bräuchte hunderttausende von Helfern, die die Sporozoiten aus den Mücken herausholen, denn bislang lassen sich die Parasiten nicht im Labor vermehren.

Die US-Firma Sanaria meint, sie hätte das Problem gelöst.

Ich kenne keine Daten, die das belegen, jedenfalls nicht für die nötigen großen Mengen, die man für einen weltweit einsetzbaren Impfstoff bräuchte. Im übrigen gibt es ein zweites Problem: Der Sporozoiten-Impfstoff muss intravenös, in die Blutbahn, gespritzt werden, um die hohe Schutzwirkung zu erreichen. Sobald er unter die Haut gespritzt wird, verringert sich die Schutzwirkung erheblich. Und Impfstoffe weltweit intravenös zu verabreichen – das ist schwierig, wenn nicht unmöglich. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht interessiert wären an der Erforschung der Sporozoiten. Die starke Immunreaktion, die man nach dem Spritzen der Parasiten beobachten kann, lässt sich ausnutzen, um neue Proteine als Grundlage für Impfstoffe zu finden.

Das Malaria-Problem bleibt also ungelöst. Wie sieht es mit einem HIV-Impfstoff aus?

Der Grund, warum ich HIV als eines der dringlichsten Gesundheitsprobleme der Welt genannt habe, ist die demographische Entwicklung in Afrika. Während es in Subsahara-Afrika 1990 94 Millionen Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren gab, werden es 2030 280 Millionen sein. Diese junge Bevölkerung hat das größte Infektionsrisiko, so dass 2030 etwa 4,2 Millionen von ihnen HIV-infiziert sein wird, fast 50 Prozent mehr als 2015. Muss die Frage, ob man genug Mittel aufbringen kann, um all diese Menschen lebenslang mit Medikamenten gegen HIV zu versorgen, negativ beantwortet werden, dann brauchen wir umso dringender einen Impfstoff. Zwei sind in der Entwicklung, am weitesten davon ist RV-144. 2014 hat der Impfstoff in Thailand eine gewisse Schutzwirkung gezeigt und wird jetzt, leicht verändert, in Südafrika in einer Phase-III-Studie getestet. Erste Ergebnisse soll es im nächsten Jahr geben, abgeschlossen wird die Studie aber erst in einigen Jahren. Ein zweiter Impfstoff, entwickelt von der belgischen Pharmafirma Janssen, den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA und der Gates-Stiftung, ist derzeit in einer Phase-II-Studie. In Experimenten an Affen war die Vakzine sehr erfolgreich, besser als alle anderen Impfstoffe zuvor.

Die Entwicklung von Impfstoffen ist umständlich, teuer, dauert lange. Braucht es neue, bessere Impfstoff-Technologien?

Ein Weg wäre, RNA als Impfstoff zu verwenden...

... DNA-ähnliche Moleküle, die beim Übersetzen der Geninformation in Proteine entsteht.

RNA ist sehr günstig herzustellen und muss nicht gekühlt aufbewahrt werden, wie viele andere Impfstoffe. Und vor allem ist es rasch anpassbar. Bisher bestehen Impfstoffe aus ganz unterschiedlichen Antigenen, also Proteinen, die jeweils separat produziert werden müssen. Wenn man mit RNA impft, stellt der Körper diese Proteine selbst her. Für einen neuen Impfstoff muss man also nur die Abfolge der Bausteine des RNA-Moleküls ändern. Weil es aber das gleiche Molekül bleibt, was die chemischen Eigenschaften betrifft, braucht es etwa keine neuen toxikologischen Tests.

Und wo ist der Haken?

Das Problem ist, dass die RNA-Moleküle in die Zellen transportiert werden müssen. Dafür immer die richtigen Transportvehikel zu finden, ist nicht so einfach.

Impfgegner vertrauen Vakzinen nicht und wollen sich nicht impfen lassen. In Deutschland soll nun Impfpflicht eingeführt werden, etwa gegen Masern. Was halten Sie davon?

Die Impfgegner-Bewegung ist beunruhigend und ergibt angesichts all des Wissens über Vakzine und ihren enormen Beitrag zur Gesundheit keinen Sinn. Ohne Impfungen hätten wir ohne Frage noch heute Polio-Opfer und Pocken-Tote, denn wir hatten nie wirklich wirksame Medikamente dagegen. Die Lösung dieses Problems liegt in der Aufklärung über den Wert von Impfungen. Nehmen wir das Masern-Beispiel: Die Herdenimmunität, mit der auch Ungeimpfte geschützt sind, liegt bei dieser sehr infektiösen Krankheit sehr hoch, bei über 90 Prozent. Das bedeutet, dass jeder, der sich nicht impfen lässt, sehr unsozial agiert und seine Nachbarn gefährdet. Es gibt eine gewisse soziale Pflicht, sich impfen zu lassen. Ob allerdings eine Impfpflicht funktioniert, ist strittig. Es gibt Länder mit Impfpflicht, auch in Europat, deren Impfungsraten nicht unbedingt besser sind.

Schadet das Verbreiten von Gerüchten über Impfschäden den Bemühungen, in Entwicklungsländern mittels Impfungen Krankheiten auszurotten, die es in Europa schon lange nicht mehr gibt, etwa Polio?

Auf jeden Fall. Eines der hauptsächlichen Hindernisse des WHO-Programms zur Ausrottung von Polio waren Gerüchte über angebliche Impfschäden oder dass die Regierung damit die Bevölkerung sterilisieren wolle. Solche Desinformationen erschweren unsere Bemühungen für die Verbesserung der globalen Gesundheit erheblich. In diesem Fall können „fake news“ Menschenleben kosten.

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