zum Hauptinhalt
Von den Finalistinnen 2017 sind noch zwei im Rennen um den Flug ins All: Suzanna Randall (Zweite von links) und Insa Thiele-Eich (ganz links).

© imago/Sven Simon

Wer finanziert die erste Astronautin aus Deutschland?: 50 Millionen für zehn Tage im Orbit

Nach zwölf Männern gehört endlich eine Frau aus Deutschland ins All. Darin unterstützt fast jeder die Initiative „Die Astronautin“. Nur zahlen will niemand.

Elf Männer aus Deutschland waren bisher im All, der zwölfte steht schon bereit. Frauen sucht man in der Galerie vergeblich. Das will die private Initiative „Die Astronautin“ ändern. Zwei Kandidatinnen bereiten sich derzeit vor, eine von ihnen könnte im Frühjahr 2021 zur Internationalen Raumstation ISS fliegen – wenn die Missionskosten von 50 Millionen Euro vorhanden sind.

Noch sei man weit davon entfernt, sagt Claudia Kessler, die „Die Astronautin“ gegründet hat. „Aber wir sind zuversichtlich, dass wir es schaffen.“ Sie setzt auf Spenden, Crowdfunding, vor allem aber auf die Industrie und die Bundesregierung. Wohlwollende Worte gibt es allerhand, aber ob Geld fließt, ist eine andere Frage.

Die Lage ist kompliziert: Die Bundesrepublik hat keine eigenen Astronauten, formal gehören sie dem Astronautenkorps der Europäischen Raumfahrtagentur Esa an. Dort verweist man bei der Frage nach Frauen im All gern auf Samantha Cristoforetti, eine Italienerin, die 2015 auf der ISS war.

Eine Deutsche ist bisher nicht im Astronautenkorps, daher die Initiative von Claudia Kessler. „Es ist eine Schande für Deutschland, dass bisher ausnahmslos Männer geflogen sind und keine Frau“, sagt sie. Neben der gesellschaftspolitischen Dimension sieht sie auch die wissenschaftliche. „Untersuchungen der Nasa zeigen, dass der weibliche Körper sich während eines Raumflugs anders verändert als der männliche, vom Herzkreislaufsystem über Osteoporose bis zur Schwächung der Sehkraft, die im Übrigen bei Männern stärker ausfällt“, sagt sie.

Diese Erkenntnisse seien für Langzeitmissionen wichtig, aber auch für die Behandlung vieler Menschen auf der Erde. Doch die US-Agentur gebe keine genaueren Daten dazu heraus. Deutsche Mediziner an der Charité oder der Sporthochschule Köln, die daran forschen, würden daher auf eine der beiden „Astronautinnen“ hoffen.

Flugoption im Frühjahr 2021

Laut Kessler wurde über die Firma Axiom Space eine Flugoption für zehn Tage ISS im Frühjahr 2021 reserviert. Der Start erfolgt nicht mit den bekannten russischen „Sojus“-Raumschiffen, sondern mit „Crew Dragon“, der derzeit in der Entwicklung befindlichen Kapsel für Personentransport des US-Unternehmens SpaceX. „Es ist ein rein kommerzieller Flug“, sagt Kessler. „An Bord der ISS wird unsere Astronautin als Wissenschaftsastronautin (visiting scientist) tätig sein und Experimente ausführen.“

Zehn Tage Forschung für 50 Millionen Euro? Diese Frage kommt häufiger, wenn man sich in der deutschen Raumfahrtbranche zur „Astronautin“ umhört. Die Initiative polarisiert. Skeptiker führen an, dass – trotz guter Absicht – der Aufwand zu groß sei. Dieser müsse ja auch den Steuerzahlern vermittelt werden. So sagte etwa der voraussichtlich zwölfte deutsche Raumfahrer, Matthias Maurer, kürzlich, dass er es begrüße, wenn eine Frau aus Deutschland ins All fliege, es aber viel lohnender sei, das über die Esa zu organisieren, die Halbjahresmissionen auf der Raumstation mache. Allerdings hat Maurer seinen Flug ab 2021 ziemlich sicher.

Befürworter argumentieren, dass eine Frau im Weltraum ein starkes Signal für Gleichberechtigung sei. Und dass sie hoffentlich mehr Frauen in die Raumfahrtindustrie lockt. Die hat nämlich ein Fachkräfteproblem: In den nächsten Jahren gehen die Babyboomer in Rente, schon jetzt sei der Markt leer, sagt ein Branchenkenner, der anonym bleiben möchte. „All die MINT-Initiativen haben praktisch nichts gebracht, die Frauenquote ist weiterhin sehr niedrig. Eine Astronautin könnte den Boost bringen, den wir brauchen, um unsere Stellen zu besetzen.“

Raumfahrtszene gespalten in der Frauenfrage

Wie stark die Raumfahrtszene in der Frauenfrage gespalten ist, zeigte sich Ende Oktober beim Weltraumkongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Dieser forderte gar von der Regierung, dafür zu sorgen, dass eine Deutsche bei einer Nasa-Mondmission im Jahr 2024 mitreist. Die eine Hälfte des Publikums klatschte euphorisch, die andere behielt die Hände im Schoß.

Unermüdlich reisen Kessler und die beiden Kandidatinnen, die Meteorologin Insa Thiele-Eich und die Astrophysikerin Suzanna Randall, durchs Land, treffen Politiker, Medienleute und Wirtschaftsvertreter. Firmen wie Airbus und OHB unterstützen mit Geld, Technik und personellen Ressourcen, berichtet Kessler. In Einrichtungen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt findet die medizinische Vorbereitung statt.

Spitzenpolitiker wie Arbeitsminister Hubertus Heil, Forschungsministerin Anja Karliczek oder Familienministerin (und qua Amt zuständig für Gleichstellung) Franziska Giffey hätten in persönlichen Treffen Unterstützung zugesagt, berichtet Kessler. Es handle sich um eine „ideelle Unterstützung“, erklärt eine Sprecherin Giffeys auf Anfrage. Für Raumfahrt sei das Bundeswirtschaftsministerium zuständig.

Das Haus von Peter Altmaier hat eine Machbarkeitsuntersuchung sowie den Entwurf eines Wissenschafts- und Outreachprogramms für die ISS-Mission einer privaten deutschen Astronautin per Zuwendung in Höhe von rund 337 000 Euro gefördert, teilt es auf Anfrage mit. Es betont aber auch, dass „Die Astronautin“ privaten Charakter habe und daher keine Finanzzusagen für die Mission gemacht worden seien.

Umweg über die ESA

Für die Idee, eine Frau ins All zu bringen, könnte sich nun eine weitere Option ergeben: eine neue Auswahlrunde für das europäische Astronautenkorps. „Darüber werden die Esa-Mitgliedsstaaten im Rahmen der nächsten Esa-Ministerratskonferenz am 27. und 28. November 2019 in Sevilla entscheiden“, sagt Marco Trovatello vom Esa-Astronautenzentrum in Köln. „Abhängig von dieser Entscheidung gehen wir davon aus, dass das Bewerbungs- und Auswahlverfahren Ende des Jahres 2020 beginnen könnte.“

Für den Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, Thomas Jarzombek, ist das grundsätzlich die bevorzugte Variante. „Ich unterstütze die Idee ausdrücklich, als Nächstes eine Deutsche in das Astronautenkorps der Esa aufzunehmen“, sagt er. „Bis dahin müssen aber alle Astronauten des aktuellen Korps auch ihren Flug bekommen, denn sie haben sich in einer harten Bestenauslese durchgesetzt und jahrelang für diese Mission trainiert.“

Jedoch ist nicht sicher, ob sich bei der neuen Auswahlrunde eine Frau aus Deutschland durchsetzen wird. Darauf weist der ehemalige Astronaut Ulrich Walter, heute an der TU München, hin. Er rät, mit einem besonderen Beitrag Deutschlands, etwa einem wichtigen Bauteil für ein Nasa-Raumschiff, sich einen Platz bei den Amerikanern „zu erkaufen“. „Das wird bei der Esa nicht gern gesehen, aber Italien hat das auch gemacht.“

Alternativ ließe sich vielleicht auch mit der Esa vereinbaren, dass bei deren Auswahl am Ende eine Deutsche ins Finale kommt. „Es werden sich wieder Tausende bewerben“, sagt er. „Am Ende sind zehn oder zwanzig übrig, die alle sehr gut geeignet sind. Die letzte Auswahl ist dann stark politisch getrieben, etwa davon, welches Land die höchsten Esa-Beiträge zahlt.“ Eine Chance für Deutschland.

Zur Startseite