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Extremsportler: Simone Moro beim Bergsteigen in den italienischen Alpen.

© imago images / Aurora Photos

„Wenn deine Nummer gezogen wird, bist du am Arsch“: Wie ein Extremsportler die Coronakrise erlebt

Simone Moro gilt als einer der besten Bergsteiger der Welt. Seine Heimat ist ein Zentrum der Coronakrise. Das Virus macht selbst vor seinesgleichen nicht Halt.

Ein Kletterpartner ist bereits an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorben. Ein weiterer kämpfe derzeit „um sein Leben“, wie Simone Moro per Mail berichtet. Der Extrembergsteiger lebt in Bergamo, wo das Coronavirus am stärksten verbreitet ist und die meisten Menschenleben in Italien gefordert hat.

Nach Auskunft des Bürgermeisters sollen allein vergangene Woche 400 Menschen in Bergamo und Umgebung gestorben sein, was dem Vierfachen der üblichen Sterblichkeit entspricht. Nur 91 davon waren positiv auf das Virus getestet worden. Aus Bergamo gingen Bilder um die Welt, auf denen Militärfahrzeuge die zahlreichen Leichen aus der Stadt transportierten.

„Das ist eine Lotterie“, sagt Moro. „Wenn deine Nummer gezogen wird, bist du am Arsch.“

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Moro selbst setzte sich noch rechtzeitig nach Auer ab, drei Tage, bevor Bergamo von der Außenwelt abgeriegelt wurde. „Ich bin meinem Riecher gefolgt“, sagt er, „wie ich auch in den Bergen meinem Instinkt gehorche. Da ich ahnte, dass ich gezwungen sein könnte, mein Haus nicht mehr verlassen zu dürfen, bin ich zu meinem Sohn gefahren, um bei ihm zu sein.“

Der Junge lebt mit seiner Mutter im Etschtal südlich von Bozen. In Bergamo ließ der Extremkletterer seine betagte Mutter sowie seinen Bruder und dessen Familie zurück. Ihnen gehe es gut, sagt Moro.

Seine Fitness und Ausdauer sind legendär

Der 53-Jährige blonde Italiener, der äußerlich an Peter Fonda erinnert, war eigentlich schon zu alt für extreme Herausforderungen, als er 2009 seinen ersten Achttausender im Winter bestieg. Seither gelangen ihm drei solcher Winterbesteigungen, was niemand vor ihm geschafft hat.

Zuletzt stand er im Februar 2016 auf dem Gipfel des Nanga Parbat. Da war er bereits 49 Jahre alt. Seine Fitness und Ausdauer sind legendär. Ob ihn seine physische Kraft vor dem Virus schütze?

„Ehrlich gesagt, glaube ich das“, antwortet Moro, „aber ich sehe auch Tag für Tag Leute krank werden, die körperlich gut beieinander sind.“

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Winterbesteigungen finden nicht nur in der kältesten Periode des Jahres statt, Wetterumschwünge ereignen sich schnell, Schönwetterphasen enden abrupt, der Wind ist selbst an guten Tagen zermürbend und kann einen Bergsteiger aus der Wand fegen.

Das erfordert einander ausschließende Eigenschaften: man muss sehr schnell klettern und lange warten können. Moro verbindet diese beiden Fähigkeiten wie kaum ein anderer. Deshalb fühlt er sich jetzt, und das soll nicht zynisch klingen, pudelwohl in seiner Isolation.

Die Saison sollte im April starten - eigentlich

„Ich bin ein Typ, der drei Monate eingeschneit und bei Minus 30 Grad in einem kleinen Zelt ausharren kann, deshalb leide ich kein bisschen. Zuhause kann ich fit bleiben und an Kraft sogar gewinnen, indem ich Gewichte stemme, Klimmzüge mache, sehr viele Klimmzüge, Liegestütze und Dehnübungen. All das zweimal am Tag in einer angenehmen Umgebung. Als Felskletterer weiß ich genau“, fährt er fort, „dass mich diese lange Phase intensiven Trainings am Ende so gut in Form bringt, um gleich wieder schwierige Touren bewältigen zu können, wenn die Pandemie überstanden ist.“

Darüber hinaus arbeitet Moro an seinem neuen Buch und erledigt am Computer die vielen Dinge, „die sonst liegenbleiben“.

Schon vor Jahren traf Moro Vorsorge für den Fall, dass er seine bergsteigerischen Ziele nicht mehr würde umsetzen können. Als leidenschaftlicher Helikopterpilot beteiligt er sich seit längerem an Rettungsmissionen im Himalaja. Niemand außer ihm ist mit einem kleinen Hubschrauber je in Höhen von über sechstausend Meter vorgedrungen.

Die Saison sollte im April wieder losgehen. Doch das Land hat seine Grenzen geschlossen. Moro muss seine Pläne ändern. „Ich habe allerdings so viele Optionen“, sagt er, „dass ich beschäftigt bleiben werde. Was Expeditionen anbelangt, konzentriere ich mich auf den nächsten Winter.“

Seine eigene Helikopter-Firma bietet Flüge in die Alpen an. Er hofft, dass ihm das ein gewisses Einkommen sichert. Doch sagt er auch, dass sein Geschäftsmodell durch die Absage von Vorträgen und durch das Ausbleiben von Rettungsflügen momentan zum Erliegen gekommen sei.

„Mit dem Geld, das die italienische Wirtschaft gerade verliert, könnte sie bestimmt die Schulden des Landes begleichen“, sagt er und denkt, dass die Krise nach der Krise epochale Auswirkungen haben werde. Wen kümmert da noch, dass einer schnell klettern kann.

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