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Rasche Gewissheit. Ein Schnelltest auf eine HIV-Infektion kommt mit einer kleinen Menge Blut aus. Nach wenigen Minuten liegt das Ergebnis vor.

© dpa

Welt-Aids-Tag: HIV-Medikamente erreichen nicht alle Infizierte

Es gibt große Fortschritte in der Therapie von HIV– aber längst nicht alle Betroffenen profitieren davon. Auch bei der Bekämpfung von Hepatitis gibt es Nachholbedarf,

Die eine erlösende Nachricht zum heutigen Welt-Aids-Tag fehlt zwar: Eine Infektion mit HIV, dem Erreger der Immunschwäche Aids, ist noch nicht heilbar. In den vergangenen Jahren kamen aus der Medizin trotzdem viele gute Teil-Nachrichten. HIV hat den größten Teil seines Schreckens verloren, weil eine Infektion nicht mehr zwangsläufig mit Aids endet.

Man kann das Virus in Schach halten. Das gelingt mit einer Kombinationstherapie aus mehreren Wirkstoffen, die es auf jeweils verschiedenen Wegen schaffen, die Vermehrung des Virus im Körper zu verhindern – und die als Teamplayer in der Antiretroviralen Therapie (ART) so gut sind, dass Infizierte heute eine annähernd mit Nichtinfizierten vergleichbare Lebenserwartung haben. Die Medikamente sind zudem verträglicher geworden, ihre Anwendung deutlich einfacher. Waren es anfangs Dutzende von Pillen, die täglich geschluckt werden mussten, so kommen die meisten Betroffenen heute mit einer Tablette aus. Als neuer Bestandteil der Therapie sind die Integrasehemmer hinzugekommen. Sie verhindern, dass das Immunschwächevirus sein Erbgut in den menschlichen Zellkern einbaut. Und es wird an Depotwirkstoffen geforscht, die man einmal im Monat oder sogar nur einmal im Quartal in den Muskel spritzen kann. Um dann, wenn alles gut läuft, HIV für eine Weile zu vergessen.

In den USA und Frankreich ist die Prep schon zugelassen

Wenn bei einem Infizierten dank der Therapie das Virus in seinem Blut jahrelang unter der Nachweisgrenze bleibt, dann kann er sogar das Kondom weglassen, wie Studien belegen. Inzwischen kann man sich vor einer Infektion schützen, indem man Pillen mit Wirkstoffen aus der ART zur Präexpositionsprophylaxe (PreP) einnimmt. In den USA und in Frankreich sind sie schon zugelassen. Dass eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr sinnvoll ist, ist schon länger klar. Und dann gibt es noch Visionen wie die, das Virus mit „Genscheren“ ganz aus dem Erbgut herauszuschneiden. Das könnte die Heilung bedeuten.

Zurück in den Alltag in Deutschland im Jahr 2016. 3200 neue Fälle von HIV wurden hier im Jahr 2014 registriert. 84 000 Personen leben mit dem Virus, oft seit Jahrzehnten. Deutschland gehört damit zu den Ländern mit der niedrigsten Neuinfektionsrate. Eine gute Nachricht ist zudem, dass das Wissen über HIV gewachsen ist. Und das nicht nur bei homosexuellen Männern, für die die Infektionsgefahr besonders groß ist. Sondern auch bei Drogenabhängigen, die ebenfalls besonders gefährdet sind. Das zeigt die „Druck“-Studie des Robert Koch-Instituts (RKI), die in diesem Sommer erschienen ist. „Druck“ steht hier für „Drogen und chronische Infektionskrankheiten“.

Einige Studienteilnehmer hatten noch nie einen Test gemacht

Mehr als 2000 Konsumenten intravenöser (IV-)Drogen wie Heroin aus Berlin, Essen, Leipzig, Frankfurt am Main, Köln, Hannover, München und Hamburg wurden für diese Untersuchung in den Jahren 2011 bis 2015 zu ihrem Wissen, ihrem Schutzverhalten bezüglich HIV und anderer Infektionskrankheiten mit ähnlichen Übertragungswegen und zu Impfungen befragt. Zusätzlich wurde ihnen Blut abgenommen und auf HIV, Hepatitis B und C untersucht.

Viele der Teilnehmer lebten in schwierigen Verhältnissen. Die Mehrzahl bezog Arbeitslosengeld II, etwa die Hälfte hatte keine Ausbildung, viele waren zeitweise obdachlos oder in Haft. Die meisten Teilnehmer waren wegen ihrer Sucht schon einmal in einem Programm mit Methadon gewesen oder gerade dabei. 4,9 Prozent der Teilnehmer waren HIV-positiv. Ein Fünftel von ihnen hatte noch nie einen Test gemacht, viele fielen aus allen Wolken, als sie das Ergebnis erfuhren.

Sie teilten sich wider besseren Wissens Spritzen oder Nadeln

Wie man sieht, haben wir längst das Ende der guten Nachrichten erreicht. Und es zeigten sich in der Studie weitere Missstände. Nur 55 Prozent der HIV-Infizierten erhielten zum Zeitpunkt der Befragung die lebenswichtige antiretrovirale Therapie. Zwei Drittel der Befragten kannten die Möglichkeiten zum medikamentösen Schutz nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr nicht.

Zudem gab es weitere Probleme. Zwar war die Mehrheit gut darüber informiert, dass Spritzen und Nadeln eine Infektionsquelle darstellen können. Trotzdem hatten sich zehn Prozent derjenigen, die sich im letzten Monat Drogen gespritzt hatten, Spritzen oder Nadeln mit anderen geteilt. Wider besseres Wissen, weil unbenutzte Utensilien fehlten.

Drogenabhängige sollten über Hepatitis-B-Impfung informiert werden

Weniger klar war vielen , dass man sich beim IV-Konsum von Drogen auch andere Infektionskrankheiten einfangen kann. Und dass Utensilien wie Filter, Löffel oder auch das Wasser für Injektionen unter Umständen eine Gefahr darstellen.

Ein Viertel der Teilnehmer hatte schon eine Hepatitis B durchgemacht, die in den meisten Fällen ausgeheilt war. Dabei gibt es gegen Hepatitis B das, wonach Forscher im Fall von HIV ergebnislos suchen: eine Impfung. Wir brauchen wirkungsvolle Kampagnen, die zum Impfen gegen Hepatitis B animieren, fordern die Autoren der Studie daher. Ärzte sollten sie vermehrt anbieten, auch in den Justizvollzugsanstalten sollten Hepatitis B-Impfungen, ein Test auf HIV und Hepatitis C, begleitet von einem Beratungsgespräch zur Erläuterung des Testergebnisses und Möglichkeiten der Behandlung zum Regelangebot gehören.

Die Aids-Epidemie soll bis 2030 beendet sein

Die Hepatitis C stellt, wie die Studie zeigt, zahlenmäßig das größte Problem dar. 63 Prozent der Untersuchten waren infiziert, nur 14 Prozent hatten eine Behandlung erfolgreich abgeschlossen. Möglicherweise hat sich die Situation inzwischen etwas verbessert, denn zum Zeitpunkt der Untersuchung standen einige moderne Medikamente gegen Hepatitis C noch nicht zur Verfügung, die inzwischen die Behandlung und das Leben der Betroffenen leichter machen.

Ob das ehrgeizige Ziel der Vereinten Nationen aus der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung damit erreicht werden kann? Die Hepatitis soll stärker bekämpft werden als heute. Und die Aids-Epidemie soll bis zu diesem Zeitpunkt beendet sein. Für Deutschland wurde im April der „Entwurf einer Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen“ beschlossen. Erklärtermaßen soll diese Strategie „bedarfsorientiert, integriert und sektorübergreifend“ sein. Der Plan heißt deshalb „BIS 2030“. Ein Name, der Programm ist.

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