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Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde der Lausitzer Energie Bergbau AG (LEAG).

© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB

Update

Weil der Klimawandel krank macht: Deutsche Ärzte fordern einen nationalen Hitzeschutzplan

Der Klimawandel wird gravierende Gesundheitsfolgen haben. Allergien, Infektionen und neue Erreger werden laut einem neuen Report zunehmen – auch in Deutschland.

Mit Blick auf den neuen globalen Bericht zum Thema Klimawandel und Gesundheit haben deutsche Mediziner einen nationalen Hitzeschutzplan gefordert. Häufigkeit, Dauer und Intensität von Hitzewellen nähmen weiter zu, warnte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, am Donnerstag in Berlin. Das erfordere besser vorbereitete Rettungsdienste, Kliniken, Alten- und Pflegeheime. Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels würden nicht irgendwann in weit entfernten Weltgegenden spürbar, sondern hier und heute.

Die medizinische Fachzeitschrift „The Lancet“ hatte am Donnerstag einen globalen Bericht zum Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit vorgelegt (hier als PDF). Demnach schädigt der Klimawandel bereits heute die Gesundheit vieler Menschen, insbesondere die von Kindern. Bei einem Weiterwirtschaften wie bisher „wird das Leben jedes heute geborenen Kindes tiefgreifend vom Klimawandel beeinträchtigt werden“, berichtet das Konsortium The Lancet Countdown, zu dem rund 100 Experten gehören.

Einen halben Monat vor der UN-Klimakonferenz in Madrid bilanzieren die Experten aus 35 Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Universitäten die aktuellen und künftigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. Gehe der CO2-Ausstoß weiter wie bisher, werde ein derzeit geborenes Kind an seinem 71. Geburtstag im Schnitt in einer um 4 Grad wärmeren Welt leben.

Mehr Herzinfarkte und Todesfälle

„Das Thema Gesundheit spielte beim Klimawandel lange keine Rolle“, erläuterte Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Berliner Charité. Das habe sich geändert. Schon heute sind Auswirkungen auch hierzulande zu spüren, wie ein zusätzlicher Bericht von Wissenschaftlern für Deutschland belegt.

Nach einer Analyse des Helmholtz Zentrums München gibt es bereits jetzt mehr Herzinfarkte und Todesfälle infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen an heißen Tagen. Das Problem kann nach dem „The Lancet“-Bericht noch ganz andere Dimensionen bekommen: Wenn sich nichts am Ausstoß von Treibhausgasen ändert, rechnen die Forscher bis zum Ende dieses Jahrhunderts mit jährlich fünf zusätzlichen Hitzewellen in Norddeutschland und mit bis zu 30 mehr in Süddeutschland.

In Alten- und Pflegeheimen sei künftig mehr Personal nötig, etwa um sicherzustellen, dass Senioren ausreichend trinken, sagte Reinhardt. Neben Hitzschlägen drohe sonst akutes Nierenversagen durch Flüssigkeitsmangel. Am stärksten durch Hitze gefährdet seien neben älteren Menschen Säuglinge, chronisch Kranke und Arbeitskräfte im Freien, darunter Bauarbeiter und Landwirte. „Wir begreifen es als unsere ärztliche Pflicht, diese Auswirkungen klar zu benennen und entsprechende Maßnahmen einzufordern.“

Tropische Viren nahen

Zecken und Mücken als Überträger tropischer Infektionskrankheiten spielen mit steigenden Temperaturen auch in unseren Breiten zunehmend eine Rolle. West-Nil-Fieber wurde in diesem Jahr erstmals bei Menschen in Deutschland festgestellt, die sich mit dem Virus nicht bei Reisen im Ausland, sondern beim Stich heimischer Mücken ansteckten. Zika-Infektionen durch dort heimische Tigermücken wurden erstmals aus Südfrankreich gemeldet. Die Mücken können auch Dengue- und Chikungunyaviren übertragen.

Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig sagte, deutsche Ärzte müssten zunehmend von Mücken übertragene Erreger „auf dem Schirm“ haben. „So blieben dieses Jahr zum Beispiel die meisten West-Nil-Virus-Infektionen unerkannt, weil bei Grippe-ähnlichen Symptomen niemand an diesen Erreger dachte.“ Nötig seien Fortbildungen und gute Testsysteme.

Allergieforscher Torsten Zuberbier von der Charité in Berlin begrüßt den Report grundsätzlich. Es fehle jedoch ein wichtiger Aspekt, der auch die Schulleistungen betreffe: Durch den Klimawandel habe sich Pollenflug verstärkt und die Blütezeit verlängert. Zudem breiteten sich allergene Pflanzenarten wie etwa Ambrosia in Europa weiter aus. Daher sei es unverständlich, dass der Report Allergien komplett ignoriere.

Zunehmende Klima-Gefahr in der Ostsee

Eine Gruppe von Bakterien, die Vibrionen, werde eine zunehmende Gefahr, auch in der Ostsee, heißt es in dem Lancet-Report auch. Die Erreger können Magen-Darm- und Wundinfektionen verursachen. Seit den 1980er Jahren habe sich aufgrund höherer Wassertemperaturen die Anzahl der Tage verdoppelt, an denen man sich mit Vibrionen in der Ostsee anstecken kann. 2018 waren es 107 Tage.

Kinder seien von den Auswirkungen des Klimawandel am stärksten betroffen, betonte Nick Watts, der Chef des Lancet-Konsortiums. Ihr Körper und ihr Immunsystem entwickele sich noch und Schäden in der Kindheit könnten bleiben. Auch Ernterückgänge durch den Klimawandel und infolgedessen Unterernährung träfen sie am schlimmsten, schreiben die Forscher. Dazu hätten Menschen in 77 Prozent der Länder zunehmend mit Waldbränden und ähnlichen Feuern zu kämpfen. Die Luftverschmutzung insgesamt habe 2016 weltweit zu 7 Millionen Todesfällen geführt, 2,9 Millionen davon habe Feinstaub verursacht.

In Deutschland trug die Feinstaubbelastung (PM 2,5) 2016 laut Bericht zu über 44 800 frühzeitigen Todesfällen bei, 8000 davon seien auf die Verbrennung von Kohle zurückzuführen. Feinstaub stammt unter anderem auch aus dem Verkehr und der Industrie.

Computerbildschirm mit Krebsdiagnose (Symbolbild).
Computerbildschirm mit Krebsdiagnose (Symbolbild).

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Würde die Erderwärmung dagegen auf 1,5 Grad begrenzt - wie im Pariser Klimaabkommen gewünscht - und Versprechen der Länder eingehalten, sehe es anders aus, so die Forscher. Ein Kind in England könnte dann mit sechs Jahren den Kohleausstieg erleben, in Frankreich mit 21 Jahren den Abschied von Benzin- und Dieselautos und alle heute Geborenen weltweit könnten mit 31 Jahren erleben, dass nur noch so viel CO2 produziert wird, wie von der Natur oder mit technischen Mitteln aufgenommen werden kann. Zugleich könnte die Luft reiner und die Infrastruktur besser sein.

„Eine nie dagewesene Herausforderung verlangt eine nie dagewesene Reaktion und es benötigt die Mitarbeit der 7,5 Milliarden derzeit lebenden Menschen, um sicherzustellen, dass ein heute geborenes Kind nicht durch ein sich wandelndes Klima bestimmt wird“, betonen die Autoren.

Forderungen

Basierend auf ihren Ausführungen, formulieren die Lancet-Autoren vier Kernforderungen:

  • Eine schnelle und komplette Abkehr vom Kohlestrom weltweit
  • Eine Sicherheit dafür, dass die reichen Staaten den ärmeren ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar an Klimaunterstützung zu geben
  • Den öffentlichen Verkehr sowie das Gehen und Radfahren zu fördern, etwas mit mehr Radwegen
  • In Gesundheitssysteme investieren, damit sie durch die Erderwärmung geschädigten Menschen helfen können und nicht zusammenbrechen (dpa)

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