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Bodeneffektfahrzeug über dem Wasser

© Wigetworks

Weder Schiff noch Flugzeug: Warum schwimmen, wenn man fliegen kann?

Bodeneffektfahrzeuge gleiten knapp über dem Wasser. Die Theorie erlaubt es, doch der praktische Einsatz will nicht gelingen. Vorerst.

Ein seltsames Gefährt und etwas furchteinflößend: Die Flügel sitzen gleich neben dem Cockpit und tragen je vier Turbofan-Triebwerke. Doch für ein Flugzeug sind sie viel zu kurz. Weiter hinten ragen sechs Röhren aus dem Rumpf: Abschussrampen für Raketen.

Bis zu 550 Kilometer pro Stunde schnell konnte der Trumm übers Wasser jagen. Nur wenige Meter über der Oberfläche, schwer auszumachen fürs Radar und bereit, tief in fremdes Gebiet vorzudringen und seine todbringenden Waffen abzufeuern.

Das Ekranoplan der Lun-Klasse stand in den Diensten der sowjetischen Streitkräfte. Nur ein Exemplar ist erwiesenermaßen gebaut worden, womöglich waren es mehr. Dieses eine Exemplar, Mitte der Siebzigerjahre gebaut und 1987 in den Dienst der Kriegsflotte im Kaspischen Meer gestellt, sorgte im vergangenen Jahr für etliche Schlagzeilen und spektakuläre Fotos. Nachdem es jahrelang vergammelte, wurde es im Sommer 2020 nach Derbent geschleppt, wo es Exponat im Kriegsmuseum „Patriot Park“ werden soll.

Es ist ein Fossil der Militärgeschichte, imposant, mit seiner Länge von gut 70 Metern und einer Masse von bald 400 Tonnen, aber nicht mehr zeitgemäß. Doch die Technologie, die den Ekranoplan einst aus dem Kaspischen Meer emporhob und ihn knapp über den Wellen dahinjagen ließ, fasziniert Ingenieure noch immer. Mehrere Unternehmen tüfteln an kleineren Fahrzeugen, die als Boote starten und sich ab einer gewissen Geschwindigkeit aus dem Wasser heben und wenige Meter darüber gleiten.

Marktlücke zwischen Fähre und Flugzeug

„Die Physik dahinter kann rasch komplex werden, je tiefer man ins Detail geht“, sagt Stefan Levedag, Leiter des Instituts für Flugsystemtechnik im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig. Die Zusammenfassung für Laien geht so: Man benötigt eine einigermaßen ebene Oberfläche, die naturgemäß über Gewässern besser verfügbar ist als über dem Festland. Fliegt man knapp darüber, bildet sich unter den Stummelflügeln bei einer bestimmten Geschwindigkeit ein Luftkissen, das ordentlich Auftrieb verschafft. „Man kennt das von gewöhnlichen Tiefdeckerflugzeugen wie dem Airbus A320, wenn diese sich langsam dem Boden nähern“, sagt der Forscher. „Die wollen scheinbar nicht landen.“

Dieses Bodeneffekt genannte Phänomen hängt von der Flügeltiefe ab. Das ist die Distanz von der Vorderkante eines Flügels bis zur Hinterkante. Er ist am stärksten, wenn die Höhe zwischen fünf und 15 Prozent der Flügeltiefe beträgt. Darüber und darunter nimmt der Effekt ab. Bei einem Motorschaden stürzt das Gefährt also nicht abrupt ab, sondern gleitet weiter bis die Geschwindigkeit so gering ist, dass es einigermaßen sanft zurückkehrt ins Wasser. Bei geringer Höhe gibt es zudem deutlich weniger Verwirbelungen an den Flügelspitzen, so dass der Widerstand in Flugrichtung geringer ist als in größerer Höhe.

Dies alles lässt Bodeneffektfahrzeuge relativ sicher und effizient erscheinen. Mit Reisegeschwindigkeiten von deutlich über 100 Kilometer pro Stunde könnten sie als eine Art Kleinbus auf dem Wasser die Lücke zwischen Fähre und Flugzeug schließen. Diese Idee fasziniert immer wieder Unternehmer und Tüftler. Vor gut zwanzig Jahren begannen Ingenieure in Rostock, einen zweisitzigen Prototypen zu bauen, aus dem später der mehrsitzige „Seafalcon“ hervorging. Nach einem Crash im Jahr 2007 stockten die Entwicklungen.

Neue Bestrebungen, alte Probleme

Im Mutterland des Ekranoplan gibt es ebenfalls Bestrebungen, Bodeneffektfahrzeuge zu bauen. Dazu gehören RDC Aqualines und Alekseev's Design Bureau aus Nischni Nowgorod. Weit fortgeschritten ist „Airfish-8“ von Wigetworks aus Singapur, basierend auf einer Entwicklung von Fischer Flugmechanik aus Mönchengladbach. Zwei Crewmitglieder und sechs bis acht Passagiere sollen damit rund 150 km/h schnell reisen können. Eine Schiffszulassung – die Zulassung als Flugzeug ist nicht notwendig – hat das Unternehmen bereits.

Aktuell arbeite man daran, die Genehmigung für einen gewerblichen Betrieb in Indonesien zu erhalten, teilte Wigetworks auf Anfrage mit. Eine Entscheidung gebe es aber noch nicht. Als mögliche Einsatzgebiete werden Tourismus, Transport und Küstenüberwachung genannt. Auch der Treibstoffverbrauch soll moderat sein; auf einzelne Passagiere gerechnet zumindest geringer als bei einem Highspeed-Boot.

Das US-Unternehmen Flying Ship Company will komplett auf eine Crew verzichten und plant eine Bodeneffekt-Drohne, die Fracht transportiert: billiger als mit dem Flugzeug und schneller als mit dem Schiff, so das Ziel der Entwickler. Dank hybrid-elektrischem Antrieb soll das Fahrzeug besonders umweltfreundlich sein. Noch haben die Entwickler viel Arbeit vor sich, doch der Firmenchef Bill Peterson will in den nächsten sieben Jahren ein Ergebnis präsentieren, wie er dem Fernsehsender CNN gegenüber erklärte.

Auf den Webseiten der Firmen haben die Bodeneffektfahrzeuge eine strahlende Zukunft. Auf diversen Animationen gleiten sie elegant übers Meer als sei es ein Kinderspiel. Doch so einfach ist es offenbar nicht, sonst wären die Fahrzeuge längst am Markt.

Kollisionskurs und problematische Schwingungen

DLR-Forscher Levedag zählt einige Probleme auf. „Man braucht viel Leistung, um im Wasser auf Tempo zu kommen, das sieht man an den Turbinenpaketen des Ekranoplan“, sagt er. Wenn so ein Gerät erst einmal in der Luft ist, braucht es nur noch etwa ein Zehntel dieser Leistung, andernfalls würde es rasch an Geschwindigkeit und damit an Höhe gewinnen. Es braucht also ausgefeilte Steuerungstechnik – andernfalls droht das Gerät instabil zu werden. Das heißt, es könnte zu Schwingungen kommen, die der Pilot nicht schnell genug erkennt und womöglich nicht beherrscht.

Levedag weiß wovon er spricht. Als junger Forscher hat er genau solche Schwingungen modelliert, die bei einem Prototypen wiederholt aufgetreten sind. Selbst geflogen sei er damals nicht. „Mir haben die Berichte gereicht und nachdem ich das durchgerechnet hatte, war mir klar: Das Ding will ich nicht fliegen.“ Selbstverständlich könne man eine entsprechende Steuerungstechnik entwickeln, um das in den Griff zu bekommen, sagt der Forscher. „Doch das ist sehr teuer und bei einem Flugboot mit fünf bis zehn Passagieren lohnt sich das nicht.“

Ein weiteres Problem sind laut Levedag Kurven. Das Ekranoplan konnte fast gar keine Kurven fliegen – und das bei Tempo 550. „Man stelle sich vor, ein großes Containerschiff befindet sich im Kurs und der Pilot kann nicht ausweichen.“ Moderne Konzepte scheinen das etwas besser hinzukriegen, etwa durch schwenkbare Propeller. Doch je mehr Flugtechnik befestigt wird, umso mehr Vorsicht sei geboten, meint der Wissenschaftler. „Sie ist sehr empfindlich gegenüber Salzwasser.“

So innovativ der Lückenschluss zwischen Flugzeug und Fähre erscheint, es könnte einige weitere Schwierigkeiten geben. „Die Fahrzeuge sind als Schiffe zugelassen und operieren nur in dieser Höhe. Aber sie sind um ein Vielfaches schneller und gerade in Küstenregionen, wo sie unterwegs sein sollen, gibt es schon heute viel Verkehr“, sagt Levedag. „Es ist herausfordernd, den Verkehr dieser so unterschiedlichen Fahrzeuge zu organisieren.“ Zudem müssten Betreiber eine Versicherung finden, die die genannten Risiken akzeptiert und nicht weitere teure Ergänzungen fordert.

Er könne die Ingenieure gut verstehen, die an Bodeneffektfahrzeugen arbeiten, sagt der DLR-Forscher. „Die Technik ist faszinierend, keine Frage, aber sie ist auch gefährlich. Ich glaube nicht, dass sie sich wirtschaftlich durchsetzen wird.“

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