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Pferde und Esel, hier ein asiatischer Kulan, graben nach Wasser - ein Verhalten, das weitreichende Folgen für Wüsten-Ökosysteme haben kann.

© Petra Kaczensky

Wasserversorgung für ein ganzes Ökosystem: Wie Pferde und Esel Wüsten beleben

Verwilderte Pferde und Esel graben in nordamerikanischen Wüsten Wasserlöcher. Das hilft auch anderen Arten.

Die Szene scheint nicht weiter aufregend zu sein: Ein paar verwilderte Pferde und Esel scharren in der Mojave-Wüste mit ihren Hufen so lange im Sand, bis sie in ein, zwei Metern Tiefe das Grundwasser erreichen. Dann saufen sie und ziehen von dannen.

Sind das verwilderte Nutztiere, die das empfindliche Ökosystem Wüste stören? Im Gegenteil, schreibt eine Gruppe von Forscher:innen jetzt im Fachblatt „Science“. Die Brunnen stillen nicht nur den Durst der Pferde und Esel, auch Maultierhirsche, Rotluchse und andere Spezies nutzen die Wasserquelle. Das Grabe-Verhalten erhöht letztlich sogar die Artenvielfalt in den „durchlöcherten“ Regionen im Vergleich zu anderen Wüstenregionen.

Mit Kamerafallen die Artenvielfalt bestimmt

Erick Lundgren von der Technischen Universität Sydney und der Universität Aarhus und sein Team kamen dem Phänomen durch Fotofallen auf die Spur, die sie an den Wasserlöchern installierten. Sie zählten 57 Wirbeltierarten, die dort ihren Durst stillten - Arten, die weniger als hundert Gramm wiegen, nicht mitgezählt, denn sie sind zu leicht, um die Kameras auszulösen.

Sie beobachteten, dass in den Sommermonaten, wenn die natürlichen Wasserquellen versiegen, vielerorts nur noch die von den wilden Pferden oder Eseln gegrabenen Löcher übrigbleiben. Dann finden sich sich dort auch Arten ein, die sonst die natürlichen Quellen bevorzugen, etwa Maultierhirsche, die ohne offen zugängliches Trinkwasser nicht überleben können. Aber auch Arten, die ihren Wasserbedarf sonst über Knollen, Triebe, Schlangen und Echsen decken können, wie das Halsband-Pekari, müssen in besonders heißen Perioden auf die Brunnen zurückgreifen.

Ein verwilderter Esel gräbt in der Sonora-Wüste in Nordamerika ein Wasserloch, von dem auch andere Arten profitieren.
Ein verwilderter Esel gräbt in der Sonora-Wüste in Nordamerika ein Wasserloch, von dem auch andere Arten profitieren.

© E. Lundgren

Auch die Pflanzenvielfalt beeinflussen die Grabungen. An etlichen von Pferden und Eseln ausgebuddelten, aber verlassenen Wasserlöchern wurzeln Bäume wie die Frémont-Pappel oder die Goodding-Weide deutlich häufiger als an feuchten Flussufern der gleichen Trockengebiete. Denn dort haben die Keimlinge zu viel Konkurrenz durch rasch wachsende Gräser.

Könnten Pferde und Esel die Artenvielfalt von Wüsten erhalten helfen?

Besonders wichtig ist die Rolle von Pferden und Eseln als Brunnen-Gräber in Regionen, in denen es zwar Flüsse gibt, diese aber nur an wenigen Tagen im Jahr nach den seltenen Regenfällen Wasser führen. Der Grund dieser ausgetrockneten Flusstäler besteht meist aus Sand und Kies, der Grundwasserspiegel liegt häufig nicht allzu tief. Genau dort können die scharrenden Hufen die bis zu zwei Meter tiefen Wasserlöcher am besten graben.

Maultierhirsche trinken in der Sonora-Wüst in Nordamerika aus einem Wasserloch, das verwilderte Pferd und Esel gegraben haben.
Maultierhirsche trinken in der Sonora-Wüst in Nordamerika aus einem Wasserloch, das verwilderte Pferd und Esel gegraben haben.

© E. Lundgren

Im Zuge des Klimawandels könnten sich solche Trockenregionen auf der Erde vergrößern, Flüsse versiegen, Temperaturen im Sommer steigen und so die Lebensbedingungen vieler Pflanzen- und Tierarten verschlechtern. Wild lebende Pferde und Esel und die von ihnen gegrabenen Wasserlöcher könnten dem drohenden Verlust der Artenvielfalt entgegenwirken, hoffen Erick Lundgren und sein Team.

Jörg Melzheimer vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) warnt vor voreiligen Schlussfolgerungen. In Namibia haben Wasserlöcher, die etwa von Farmern gegraben wurden, keinen guten Einfluss auf das Ökosystem.

Ursprünglich wanderten viele Tiere den Regenfällen und dem damit einhergehenden Nahrungsangebot hinterher. Doch seit es die Brunnen der Farmer gibt, sparen sich viele die mühselige Wanderung und bleiben, stellte Melzheimer fest, der seit zwanzig Jahren Wüsten-Ökosysteme beobachtet. Das könnte dazu führen, dass die Vegetation überbeansprucht wird - mit negativen Folgen für das Ökosystem Wüste.

Wasserlöcher, wie sie verwilderte Pferde in der Sonora-Wüste in Nordamerika graben, steigern die Artenvielfalt in der Region.
Wasserlöcher, wie sie verwilderte Pferde in der Sonora-Wüste in Nordamerika graben, steigern die Artenvielfalt in der Region.

© E. Lundgren

Langfristigere Forschung nötig

Wüsten sind äußerst empfindliche Ökosysteme, die leicht so stark gestört werden können, dass eine Rückkehr in den ursprünglichen Zustand kaum noch möglich ist. Völlig anders verhalte sich dagegen ein Wald in Mitteleuropa, sagt Melzheimer. Den könne man zwar abholzen und in Ackerland umwandeln. „Doch so wie eine Kugel in einer Schüssel immer wieder zur zur Mitte zurückrollt, kehrt auch der Wald in Mitteleuropa nach wenigen Jahrzehnten wieder zurück, wenn man diese Bewirtschaftung aufgibt“, sagt Melzheimer. „Dreht man die Schüssel um und setzt die Kugel oben drauf, ist dieses System ähnlich fragil wie eine Wüste.“ Schon ein kleiner Anstoß genüge, die Kugel rolle runter und komme aus eigener Kraft nicht mehr zurück, „so wie eine einmal gestörte Wüste unter Umständen nie mehr zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt“, sagt Melzheimer.

Um zu beurteilen, ob die Brunnen grabenden Esel und Pferde das Ökosystem in den nordamerikanischen Wüsten so verändern, dass es in einen neuen Zustand kippt, aus dem es nicht mehr zur Wüste zurückkehren kann, sollten die Auswirkungen ihrer Grabungen also viel länger als drei Jahre beobachtet werden, empfiehlt der IZW-Forscher. Schließlich können solche negativen Effekte oft erst nach Jahrzehnten auftreten. Dann aber wäre das fragile Ökosystem Wüste wohl bereits unwiderruflich zerstört.

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