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Das größte Laufwasserkraftwerk der Welt lässt diese Flusslandschaft des Xingu langsam austrocknen.

© Leandro Sousa

Wasserkraft in Amazonien: Die trübe Bilanz des Belo-Monte-Kraftwerks

Wasserkraft soll Brasilien mit klimafreundlichem Strom versorgen. Doch ein Fließkraftwerk in Amazonien verursacht erhebliche Treibhausgas-Emissionen.

Natur- und Klimaschützer wissen, dass Wasserkraftwerke nicht immer so nachhaltig sind, wie ihre Betreiber es darstellen. So produzieren die vom aufgestauten Wasser überfluteten Gebiete relativ große Mengen von Treibhausgasen und trüben so die Klimabilanz.

Zwar lässt sich durchaus messen, welche Mengen von Kohlendioxid und des noch erheblich stärkeren Treibhausgases Methan aus den unter Wasser stehenden Gebieten freigesetzt werden. Nur fehlt sehr häufig ein Vergleich mit den natürlichen Emissionen vor dem Fluten des Stausees.

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Emissionen unter Wasser

Den liefern nun Dailson Bertassoli Jr. von der Universität von São Paulo in Brasilien und sein Team. In der Zeitschrift „Science Advances“ berichten die Wissenschaftler:innen, dass die Treibhausgas-Emissionen nach dem Bau des Belo-Monte-Staudamms im Amazonasgebiet und dem Füllen des Stausees im Jahr 2016 dort zwei- bis dreimal höher sind als zuvor.

Dieses Ergebnis überrascht den Geschäftsführer der Fluss-Schutz-Organisation Riverwatch in Wien Ulrich Eichelmann kaum: „Uns war klar, dass es so kommen würde.“ Immerhin gelangt pro Megawattstunde produzierter Energie umgerechnet mit 15 bis 55 Kilogramm Kohlendioxid nur rund ein Zehntel der Treibhausgasemissionen eines Gaskraftwerks in die Luft. Damit beeinflusst das Belo-Monte-Kraftwerk das Klima ähnlich stark wie die Photovoltaik und Windkraftanlagen. Das klingt zunächst einmal gar nicht so schlecht. Nur trübt sich die Bilanz bei näherem Hinschauen gleich aus mehreren Gründen.

So dürfte die Anlage in den kommenden Jahrzehnten bis zu 38 Prozent weniger Energie liefern, weil die Flüsse des Amazonas-Gebietes aufgrund des Klimawandels und des Abholzens der Wälder weniger Wasser führen werden. Dadurch nehmen die pro Megawattstunde freigesetzten Treibhausgasmengen zu. Dabei ist Belo Monte das derzeit viertgrößte Wasserkraftwerk und gleichzeitig das größte Laufwasserkraftwerk der Welt. Dieser Typ gilt als besonders nachhaltig, weil seine Stauseen deutlich kleiner sind als bei Speicherkraftwerken.

Überluteter Regenwald, austrocknende Flussläufe

Das Belo-Monte-Kraftwerk staut vor einer rund einhundert Kilometer langen Schleife des Xingu-Flusses das Wasser mit einem Damm auf und leitet einen Teil davon durch zwei Kanäle unterhalb der Schleife wieder in den Flusslauf. Kurz davor staut ein weiterer Damm das abgeleitete Wasser auf und schickt es durch 18 Francis-Turbinen. Da die Abkürzung das Gefälle und damit die Fließenergie vergrößert, liefert das Kraftwerk mit 11,2 Gigawatt eine ähnliche Leistung wie acht oder neun große Kernkraftwerke in Deutschland und leistet so einen großen Beitrag zur Energieversorgung Brasiliens.

Allerdings bedecken die entstandenen Stauseen mit 516 Quadratkilometern eine Fläche von der Größe des Bodensees. In diesen Fluten sind 122 Quadratkilometer Regenwald und 175 Quadratkilometer Weide- und anderes Agrarland versunken. Am Grund dieses Gewässers fehlt der Sauerstoff, daher produzieren Mikroorganismen Methan. Dieses Gas heizt das Klima viel stärker an als Kohlendioxid. Daher sind solche Wasserkraftwerke bei weitem nicht so klimafreundlich, wie es auf den ersten Blick scheint.

Diese Wälder versanken in den Fluten der Stauseen für das größte Laufwasserkraftwerk der Welt am Rio Xingu in Amazonien.
Diese Wälder versanken in den Fluten der Stauseen für das größte Laufwasserkraftwerk der Welt am Rio Xingu in Amazonien.

© Leandro Sousa

„Dazu kommen noch die enormen Auswirkungen solcher Wasserkraftwerke auf die Umwelt“, erklärt Riverwatch-Geschäftsführer Eichelmann, der Belo Monte mehrmals besucht hat. So fließt der Xingu in seiner 100 Kilometer langen Schleife über ungezählte Wasserfälle und Stromschnellen an tausenden von Inseln vorbei und gilt als eine der größten Naturschönheiten des Amazonasbeckens. Weil aber große Wassermengen zum Kraftwerk abgeleitet werden, wird dort das Wasser langsam knapp und die Landschaft ändert sich grundlegend.

Eingriffe ins Ökosystem

„30.000 Schildkröten haben bisher in den Sandinseln der Xingu-Fluss-Schleife ihre Eier vergraben“, berichtet Eichelmann. Der oberhalb liegende Staudamm hält aber auch den Sand zurück, den Inselchen fehlt der Nachschub und mit der Zeit trägt das Wasser einen der weltgrößten Brutplätze für Schildkröten ab. Ebenfalls gefährdet sind viele Fischarten, von denen etliche nur dort vorkommen. Möglicherweise könnte allein das Belo-Monte-Kraftwerk das Aussterben hunderter Arten verursachen.

Noch schlimmer trifft es die Menschen, von denen mehr als 20.000 umgesiedelt wurden. Für die im Regenwald lebenden Einheimischen ist das eine Katastrophe, weil sie ihre Heimat und mit dem Wald auch ihren Lebensunterhalt verlieren.

Das Belo-Monte-Kraftwerk ist nur der Anfang. Brasilien plant Hunderte weiterer solcher Kraftwerke, um den Energiebedarf des Landes zu bedienen. Etliche davon dürften klimaschädlicher sein als Belo Monte, befürchten Bertassoli und sein Team. „Wir bitten daher die Verantwortlichen darüber nachzudenken, ob andere Formen der Energiegewinnung nicht nachhaltiger als der Eingriff in den natürlichen Lauf der Flüsse sind.“

Auch diese Aufforderung ist für Eichelmann nichts Neues. Genau das gleiche fordern Riverwatch und andere Fluss-Schutzorganisationen bereits seit Jahrzehnten.

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