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Grünes gedeiht in der Nahostregion nur dort, wo Wasser aus dem Karstgestein austritt – oder künstlich bewässert wird. Doch die Grundwasservorräte werden rar.

© Irina Engelhardt/privat

Wasserknappheit in Israel: Kühlmittel für eine hitzige Region

Wasser ist im Nahen Osten ein Politikum. Irina Engelhardt forscht, damit es gerechter genutzt werden kann.

„Es ist ein unwirkliches Bild“, sagt Irina Engelhardt, wenn sie die Landschaft Israels beschreibt: „Da sind grüne Ackerflächen und große Bäume, wo von Natur aus gar keine wachsen dürften.“ Eigentlich sei im Halbwüstenklima des Nahen Ostens nur karger Bewuchs möglich, weiß die Hydrogeologin der Technischen Universität Berlin. Das Grün, obwohl es selbstverständlich einen schönen Anblick bietet, sei nur mit umfangreichen Bewässerungen möglich. Mit schwerwiegenden Folgen: Der Grundwasserspiegel sinkt, Quellen versiegen und ganze Flüsse fallen trocken – sogar der Jordan. Um die Versorgung zu sichern, muss Wasser teuer aufbereitet, entsalzt und über weite Strecken herangeschafft werden. Darüber hinaus werden sogar fossile, das heißt nicht erneuerbare Grundwasservorkommen genutzt. „Gerade bei einer wachsenden Bevölkerungszahl und weiteren Klimaveränderungen werden sich die Probleme verschärfen“, befürchtet die Forscherin. Und will dazu beitragen, dass die vorhandenen Wasserressourcen der Region effektiver genutzt werden. Das Projekt „MedWater“, das Engelhardt leitet und an dem mehrere Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Israel, den Palästinensischen Autonomiegebieten, Frankreich und Italien beteiligt sind, soll Wege finden, möglichst viele Menschen zu versorgen und auch den oft einzigartigen Ökosystemen im Mittelmeerraum ein Überleben zu ermöglichen.

Ein Konto, auf das keiner mehr einzahlt, sondern von dem nur noch abgehoben wird

Das Grundwasser in trockenen Regionen ist seit Langem ihr Forschungsschwerpunkt. „Begonnen hat meine Leidenschaft für die Geowissenschaften aber ganz klassisch mit Touren in Steinbrüchen des Harz, wo ich als Schulkind Fossilien und Gesteine gesammelt habe“, erzählt die gebürtige Hannoveranerin. Ein Foto der Harzer Schmalspurbahn, das in ihrem Büro an der TU, drei Stockwerke über dem Ernst-Reuter-Platz, steht, erinnert sie bis heute an diese ersten Ausflüge in faszinierende Landschaften und die Wissenschaft. Nach dem Geologiestudium in Hannover und Halle promovierte Engelhardt in Tübingen und arbeitete einige Jahre in einem Ingenieurbüro in der Schweiz, bevor sie für ihre Habilitation an der TU Darmstadt ein Grundwassermodell für Saudi-Arabien entwickelte. „Dort sind die Bedingungen extrem, denn es fällt praktisch kein Niederschlag, sodass die Menschen also fast ausschließlich Wasser nutzen, das vor Hunderten oder Tausenden von Jahren in den Untergrund eingesickert ist – wie ein Bankkonto, auf das man nichts mehr einzahlt, sondern von dem man nur noch abhebt.“ Um zu verstehen, wie sich das „Bankkonto“, also die Grundwasserleiter in der Tiefe entwickelt, haben Engelhardt und ihre Kolleginnen und Kollegen Daten von Grundwasserständen mit Prognosen zur Klimaentwicklung und Landnutzung verknüpft. „Dort, wo heute Wüste ist, sah es vor 7000 bis 8000 Jahren ganz anders aus“, sagt die Forscherin. Mit durchschnittlich 350 Millimetern habe es mehr Niederschlag gegeben als 2018 in Brandenburg. Das Land war grün, die unterirdischen Speicher waren gut gefüllt, an etlichen Quellen blühte das Leben und die frühen Hochkulturen konnten sich entwickeln. Doch dann änderte sich das Klima. „Es fiel weniger Regen und vor etwa 4000 Jahren schließlich versiegten immer mehr Quellen und mit ihnen verschwanden auch die Kulturen vielfach wieder“, sagt Engelhardt. „Mittlerweile ist der Mensch und seine massive Grundwasserförderung der dominierende Faktor.“

Ein unterirdischer Wasserspeicher, der „Western Mountain Aquifer“

Mehrmals im Jahr bereist Engelhardt für das MedWater-Projekt die Länder des Nahen Ostens. Ziel sei es, einen wichtigen Grundwasserleiter, den „Western Mountain Aquifer“, zu kartieren und zu modellieren. „Wir wollen damit ein Werkzeug entwickeln, mit dem Wasserbehörden ermitteln können, wie der unterirdische Speicher auf veränderte Niederschläge und auf unterschiedliche Nutzungen – etwa durch Landwirtschaft und Trinkwassergewinnung – reagiert und wie die Nutzung am besten daraufhin angepasst werden sollte.“ Erstmals sollen auch die Ökosysteme um die Quellaustritte berücksichtigt werden, wo sich häufig seltene Pflanzen angesiedelt haben, die man erhalten möchte.

Um solche Zusammenhänge zwischen natürlichen Grundwasserquellen und ihrer Nutzung zu erforschen, wurde Engelhardt vor vier Jahren an die TU Berlin berufen. Obwohl sie gerade einen Lehrstuhl an der TU Bergakademie Freiberg übernommen hatte, sagte sie sofort zu. „Für die Wasserforschung ist das Umfeld hier ideal“, sagt sie. Institute der Leibniz- und der Helmholtz-Gemeinschaft sind in Berlin in der Disziplin aktiv, es gibt das Kompetenzzentrum Wasser, die forschungsaffinen Berliner Wasserbetriebe, die kooperative Berliner Senatsverwaltung und auch die Freie Universität hat einen eigenen Lehrstuhl für Hydrogeologie. Berlin sei zudem bei Kooperationspartnern in Forschungsprojekten ein beliebtes Ziel für Konferenzen. „In anderen Städten ist es manchmal ein Problem, dass die Leute nicht kommen wollen – hier nicht, ich habe ständig Besuch“, sagt Engelhardt und lacht.

Die wissenschaftliche Vernetzung ist wichtig, um die Probleme vor Ort jeweils mit Experten für die relevanten Phänomene angehen zu können. In Israel etwa besteht die geologische Schwierigkeit darin, dass es sich um einen Karst-Grundwasserleiter handelt. So werden Risse und Hohlräume in Kalkgestein bezeichnet. Im Gegensatz zu Sand und Kies, der etwa das Grundwasser unter Berlin führt, fließt das Wasser im Karst um ein Vielfaches schneller, wie in einem unterirdischen Fluss. Zwar steigt das Grundwasser im Karst nach einem starken Niederschlag binnen weniger Stunden stark an, aber ebenso schnell sinkt der Spiegel auch wieder.

„Wasser kennt keine Grenzen“

Doch es sind nicht nur geologische Probleme, mit denen sich Engelhardt auseinandersetzen muss, auch politisch ist die Arbeit anspruchsvoll. „Wasser kennt keine Grenzen“, sagt die Forscherin. „Im konkreten Fall hängen Israel und die Palästinensischen Autonomiegebiete von der gleichen Ressource ab.“ Grundwasser wird als sicherheitsrelevant betrachtet, dadurch ist es schwierig, Daten zu erhalten, wer wie viel Wasser zutage fördert – doch genau diese Zahlen braucht Engelhardt und ihr Team aus TU-Doktoranden und -Studenten.

Daher hat die Forscherin mit beiden Seiten einen Vertrag ausgehandelt, der ihr Zugang zu den Daten sichert und auch die Publikation der Ergebnisse. Um sicherzugehen, sind sie auf einem Server der TU Berlin gespeichert, sogar die Projektpartner müssen vor einer Nutzung vorher Genehmigungen einholen, erzählt Engelhardt.

Die Daten zeigen: Der Wasserbedarf in der Region ist unverändert hoch und nimmt weiter zu. Die Arbeit der Forscherinnen und Forscher ist damit besonders bedeutsam, um die knapper werdende Ressource auch künftig nachhaltig und fair nutzen zu können. „Alle Beteiligten müssen an einen Tisch und einen gemeinsamen Bewirtschaftungsplan erarbeiten, um das Wasserproblem gemeinschaftlich zu lösen“, sagt Engelhardt. „Vielleicht kann unser Modell die wissenschaftliche Grundlage dafür liefern.“

Vorbehalte müssen bei fortschreitender Wasserknappheit überdacht werden

Gerade Israel habe zahlreiche Technologien für effektive Wassernutzung entwickelt, die als Modell für Einsparmöglichkeiten benachbarter Regionen dienen können. Engelhardt nennt beispielhaft Bewässerungstechnik, die gezielt nur zu bestimmten Tageszeiten nahe den Pflanzen tropft, um Verluste durch Verdunstung gering zu halten, oder Entsalzungstechnik, um Meerwasser für Menschen genießbar zu machen.

„Auch bei der Nutzung von recyceltem Abwasser ist Israel sehr weit“, sagt sie. In Europa muss Schmutzwasser zunächst versickert werden und darf erst nach einer sogenannten Untergrundpassage für die Bewässerung der Felder eingesetzt werden. Israel entwickelt hingegen Methoden, diese natürliche Reinigung nachzubauen, um das kostbare Gut schneller nutzen zu können. „In Singapur wird sogar Trinkwasser daraus gewonnen, das gesundheitlich wirklich unbedenklich ist“, sagt Engelhardt. „Im Nahen Osten sowie in Europa gibt es jedoch etliche ethische Vorbehalte, die bei fortschreitender Wasserknappheit überdacht werden sollten.“

Denn auch am nördlichen Rand des Mittelmeers gehen die Grundwasserressourcen zurück. Landwirte greifen dort mitunter zur Selbsthilfe - mit tragischen Folgen, wie der Tod eines Jungen zu Jahresbeginn zeigte, der in Spanien in einen illegal gebohrten Brunnen fiel. „Die Forschungsergebnisse aus Nahost sollen auf ähnliche Grundwasserleiter in Frankreich und Italien übertragen werden, um auch dort die Ressourcen effektiv zu nutzen und den Verbrauch effizient zu gestalten.“

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