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Jetzt geht es darum, so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich zu impfen, sagt etwa Charite-Virologe Leif Erik Sander.

© Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild

Wann sind wir Corona endlich los?: „Ganz ausrotten werden wir das Virus trotz Impfungen nicht“

Schon im Sommer könnte Deutschland die Herdenimmunität erreichen, sagt Charité-Forscher Sander. Welche Bedingungen dafür nötig sind.

Impfen, impfen, impfen - die Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Corona-Pandemie ruhen vor allem darauf, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen zu immunisieren. Doch noch bremsen vor allem Impfstoffmangel und Organisationsprobleme in Deutschland das Voranschreiten der Impfkampagne.

Wir haben mit dem Impfstoffforscher Leif Erik Sander darüber gesprochen, wie sich die Impfungen beschleunigen lassen, ob Menschen nach der Spritze noch ansteckend sein können, wann endlich die ersehnte Herdenimmunität in Deutschland erreicht wird und wie sicher der russische Impfstoff Sputnik V ist. Sander leitet die Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie und Impfstoff-Forschung an der Medizinischen Klinik für Infektiologie und Pneumologie an der Charité Berlin.

Herr Sander, drei der vier in der EU gegen Corona zugelassenen Impfstoffe erfordern für den vollen Impfschutz zwei Spritzen, die im Abstand von einigen Wochen verabreicht werden müssen. Angesichts des derzeitigen Mangels an Impfstoffen fordern immer mehr Experten und Politiker, die Zweitimpfungen zu verschieben. Auch Sie haben als einer der ersten dafür plädiert, sich auf die Erstimpfungen zu konzentrieren, solange das Vakzin knapp ist. Wie weit lässt sich denn der Termin für die Zweitimpfung aufschieben?
Aus haftungsrechtlichen Gründen sollte man die Zweitimpfung nur soweit hinausschieben, wie das laut Zulassung höchstens möglich ist. Das heißt also zum Beispiel bei Biontech/Pfizer, dass die zweite Dosis nicht wie bisher nach genau 21 Tagen, sondern erst nach 42 Tagen gegeben werden sollte. Und das Astra Zeneca-Vakzin kann man statt nach zwei ebenso gut nach drei Monaten zum zweiten Mal verabreichen. Die Briten haben das bereits vorgemacht und damit gute Erfahrungen gesammelt.

Studien deuten darauf hin, dass bereits nach der ersten Impfung ein hoher Impfschutz besteht. Wäre es da nicht möglich, so lange ganz auf die zweite Impfung zu verzichten, bis die Phase des Impfstoffmangels vorbei ist?
Theoretisch ist das ein denkbares Szenario, das zeigen einige interessante Modellrechnungen. Allerdings ist es, wie schon gesagt, haftungsrechtlich problematisch. Außerdem wäre eine solche Diskussion auch in Kürze überholt. Denn wenn wie geplant im zweiten Quartal 70 bis 80 Millionen Impfstoffdosen geliefert werden, wird Deutschland eher vor der Herausforderung stehen, die verfügbaren Impfstoffe schnell genug zu verimpfen.

Deshalb ist es ein guter Plan, sich jetzt auf die Erstimpfungen zu fokussieren und damit schon mal bei möglichst vielen Menschen einen ersten Schutz aufzubauen, ohne die Zweitimpfungen zu vergessen, die den Schutz noch einmal verbessert.

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Was wissen wir inzwischen darüber, ob man nach einer Impfung noch Überträger der Viren sein kann?
Mehr, als noch zum Ende des vergangenen Jahres. Nach aktuellen Vorveröffentlichungen von Studiendaten verringert sich die Virenlast in der Nase oder im Rachen bei denjenigen, die sich trotz Impfung mit dem Coronavirus infizieren, so deutlich, dass es wahrscheinlich bei der Mehrzahl der Geimpften nicht mehr reicht, andere anzustecken. Man sieht an diesen Studien aber auch, dass bei einzelnen immunisierten Personen, insbesondere wenn sie trotzdem mit leichten Symptomen an Covid-19 erkranken, wegen einer höheren Viruslast die Gefahr einer Ansteckung besteht.

Das klingt nach einem "sowohl, als auch" ...
Anders gesagt: Auf Bevölkerungsebene wird die Impfung dazu führen, dass die Infektionszahlen deutlich zurückgehen. Aber auf der Ebene des Individuums besteht ein Restrisiko, dass man sich bei einem Geimpften anstecken kann. Deshalb raten wir dazu, auch bei Geimpften die Vorsichtsmaßnahmen gegen eine Infektion zunächst beizubehalten, also Hygiene, Abstand und Masken. Zumindest solange noch weite Teile der Bevölkerung ungeimpft sind.

Leif Erik Sander leitet die Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie und Impfstoff-Forschung an der Medizinischen Klinik für Infektiologie und Pneumologie an der Charité Berlin.
Leif Erik Sander leitet die Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie und Impfstoff-Forschung an der Medizinischen Klinik für Infektiologie und Pneumologie an der Charité Berlin.

© promo

Ein etwas ernüchternder Befund.
Nein, das sehe ich ganz anders. Es gibt generell nur sehr wenige Impfungen, die eine sterile Immunität erreichen, nach der also bei allen Geimpften kein Risiko mehr besteht, jemanden mit dem Erreger anzustecken. Und das gilt in der Regel nur für Erkrankungen, bei denen sich die Erreger im Körper verteilen beispielsweise über das Blut oder die Lymphe. Ein Beispiel dafür ist die Impfung gegen Masern. Aber bei Erkrankungen, bei der sich die Krankheitserreger fast ausschließlich in den Atemwegen vermehren, wie etwa bei der Grippe, und bei denen die Erreger direkt über Tröpfchen oder Sekret aus den Schleimhäuten übertragen werden, gibt es häufig keine sterile Immunität durch die Impfung.

Vor diesem Hintergrund ist die Impfung gegen das Coronavirus ein riesengroßer Erfolg. Sonst gäbe es nicht diesen jetzt beim Impfweltmeister Israel beobachteten Effekt, das mit einer hohen Durchimpfungsrate in einer Bevölkerungsgruppe auch die Infektionszahlen so deutlich zurückgehen. Das ist wesentlich mehr, als man hätte erwarten dürfen.

Immer wieder geistern neue Zahlen zur Herdenimmunität durch die Schlagzeilen. Sie reichen von 60 Prozent bis hin zu mehr als 80 Prozent. Ab welchem Durchimpfungsgrad kann man davon sprechen, dass die Ausbreitung des Virus unterbrochen ist, weil es keine Infektionskette mehr aufbauen kann?
Die Herdenimmunitätsschwelle kann man bei vielen Infektionskrankheiten relativ grob anhand des R-Werts ausrechnen - also am statistischen Maß, das beschreibt wie viele weitere Menschen ein einzelner Infizierter ansteckt. Das heißt, je ansteckender eine Erkrankung ist, desto höher liegt der Schwellenwert für eine Herdenimmunität.

Wir wissen aber, dass der R-Wert beim Coronavirus ein dynamischer Wert ist, der vor allem durch die verschiedenen Eindämmungsmaßnahmen und Kontaktbeschränkungen beeinflusst wird. Schon allein deshalb gibt es keine feste Zahl für die Herdenimmunität, nach dem Moto bis zu dieser Quote müssen wir impfen, dann wird alles gut.

Bei Corona wird das ein fließender Übergang sein, bei dem wir erst im Nachhinein wissen, dass die Herdenimmunität erreicht ist, weil die Ausbreitung des Virus plötzlich eingedämmt ist. Der Wert wird sich über den Daumen gepeilt aber schon in dem genannten Korridor von 60 bis 80 Prozent bewegen.

Werden wir das Virus dann endlich los sein?
Ganz ausrotten werden wir das Coronavirus auch mit sehr hohen Impfquoten nicht mehr. Das Virus wird sich immer wieder in ungeimpften Bevölkerungsgruppen zurückmelden und vielleicht auch bei den Geimpften auf niedrigem Niveau zirkulieren. Es wird ein endemisches Virus werden, also immer mal wieder in begrenzten Arealen oder Gruppen ausbrechen und darunter wahrscheinlich auch immer wieder sporadisch schwere Krankheitsverläufe verursachen.

Auf lange Sicht wird es einfach als ein Erkältungsvirus zirkulieren. Aber durch die Impfungen wird das Virus nicht mehr dazu führen können, dass eine flächendeckende Überlastung des Gesundheitssystems droht.

Die Studiendaten über den russischen Impfstoff Sputnik V sind überzeugend, sagt Leif Erik Sander.
Die Studiendaten über den russischen Impfstoff Sputnik V sind überzeugend, sagt Leif Erik Sander.

© Jesus Vargas/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der russische Impfstoff Sputnik V wird nun auch von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) geprüft. Ungarn hat dem Impfstoff eine Sonderzulassung erteilt und will Sputnik V kaufen. Zuvor aber gab es immer wieder Zweifel. Was hat sich geändert?
Wir wissen inzwischen mehr. Die Daten zur Phase 3 Studie für den Impfstoff, die jetzt in der Fachzeitschrift Lancet publiziert wurden, sind insgesamt überzeugend. Das Verfahren funktioniert ohnehin. Sputnik V ist wie die Produkte von AstraZeneca oder Johnson & Johnson nämlich ein Vektorimpfstoff.

Dabei wird einem harmlosen Adenovirus ein Teil der Erbinformation des Coronavirus‘ eingesetzt. Gleichzeitig kann sich das Virus nicht mehr vermehren. Unser Immunsystem kann sich die charakteristischen Merkmale des Coronavirus einprägen, um dann bei einem Kontakt mit dem echten Coronavirus dieses rasch bekämpfen zu können. Bei Sputnik V werden sogar zwei unterschiedliche Adenoviren kombiniert eingesetzt und so der Impfschutz verstärkt. Auch das ist ein etabliertes Verfahren.

Aber der russische Entwickler – das staatliche Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie - ist im Gegensatz zu den großen Pharmafirmen nicht sehr bekannt.
Das Institut hat international durchaus einen soliden Ruf und arbeitet wissenschaftlich fundiert. Die Forschenden dort haben auch schon andere Vektorimpfstoffe entwickelt. Die können das.

Sputnik V ist also wirksam. Doch wie sieht es mit dessen Sicherheit aus?
Darüber wissen wir etwas weniger als über die Wirksamkeit. Aus den bisher öffentlich zugänglichen Informationen lassen sich nicht lückenlos Rückschlüsse ableiten, ob und wie oft zum Beispiel unerwünschte Nebenwirkungen auftraten. So ist unklar, ob in den Studien die Probanden nach Nebenwirkungen des Impfstoffes befragt wurden. Denn wenn Studienteilnehmer nicht immer wieder aktiv gefragt werden, ob Nebenwirkungen aufgetreten sind, werden diese unterschätzt. Doch hoffentlich stehen solche Angaben jetzt der EMA für die Überprüfung zur Verfügung.

Im zweiten Quartal 2021 dürfte die Impfknappheit zuende gehen.
Im zweiten Quartal 2021 dürfte die Impfknappheit zuende gehen.

© imago images/MiS

Plädieren Sie für eine Zulassung von Sputnik V in der EU?
Ich sehe Sputnik V als guten Impfstoff an und die EMA sollte eine Zulassung sehr sorgfältig prüfen. Aber ich denke auch, dass Sputnik V den jetzigen Impfstoffmangel in der EU nicht beheben kann. Denn zum einen ist auch in Russland die Impfquote bisher noch gering. Und zum anderen kann auch der russische Hersteller offenbar nicht beliebig viele Dosen liefern, weil die Produktion schwierig ist. Zudem muss bei Sputnik V wegen der Kombination von zwei Viren das Regime von Erst- und Zweitimpfung noch genauer befolgt werden, als bei den bisher in Europa zugelassenen Vakzinen.

Glaubt man den Ankündigungen von EU-Kommission und Bundesregierung soll bis zum Sommer auch ohne Sputnik V ausreichend Impfstoff auf dem Markt sein. 
Wir werden hoffentlich bereits im 2. Quartal tatsächlich sehen, wie die Impfstoffknappheit zu Ende geht. Dann werden wahrscheinlich um die 80 Millionen Dosen verfügbar sein. Nur stehen wir dann vor einer anderen Herausforderung: Die aktuelle Impf-Infrastruktur wird mit dem Verimpfen so großer Impfstoffmengen absehbar nicht hinterherkommen. Dabei sind wir schon jetzt in einem Wettlauf gegen die Zeit, in dem jeder Tag zählt und so viel wie möglich geimpft werden sollte.

Daher ist es meiner Meinung nach immens wichtig, schon lange etablierte Logistik für Impfungen zu nutzen. Vor allem die Einbeziehung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Ambulanzen und Betriebsmedizinischen Dienste.

Wieso?
Alle Prognosemodelle sagen voraus, dass wir im Mai und Juni in eine dritte Pandemiewelle schlittern könnten – inklusive einer Überlastung der Intensivstationen. Deshalb ist es total richtig, jetzt die Hausärzte beim Impfen mit einzubeziehen.

Und zugleich plädiere ich dafür, die Anwendung der Impfpriorisierung zu liberalisieren. Wenn wir immer erst eine langwierige Attestierung und Eingruppierung in Prioritätsstufen vornehmen müssen, verlieren wir zu viel Zeit.

Jetzt muss es darum gehen, so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich zu impfen, um das Virus zu stoppen. Wenn wir es schaffen, von den für das zweite Quartal angekündigten Dosen um die 50 bis 60 Millionen Menschen mit einer Erstimpfung zu versorgen, dann haben wir im Sommer kein Problem mehr, dann haben wir die Herdenimmunität.

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