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So ähnlich könnten die Vorfahren der Neandertaler vor 300.000 Jahren mit Wurfstöcken Pferde in sumpfige Stellen getrieben haben, wo sie diese gefährlichen Gegner mit Wurfspeeren oder Stoßlanzen erlegen konnten.

© Zeichnung: Benoit Clarys

Waffenarsenal der Altsteinzeit: Prähistorischer Wurfstock entdeckt

Vor 300.000 Jahren wurde im heutigen Niedersachsen schon mit Wurfstöcken gejagt - wohl von Vorfahren der Neandertaler.

Ein sorgfältig gearbeiteter, leicht gekrümmter Stock mit einer Länge von 64,5 Zentimetern und einem Durchmesser bis zu 2,9 Zentimetern erweitert das Waffenarsenal, mit dem Menschen vor rund 300.000 Jahren im heutigen Deutschland auf die Jagd gingen.

„Mit einem solchen Wurfstock konnten die Vorfahren der Neandertaler zum Beispiel Singschwäne treffen, die damals auf einem See im heutigen Niedersachsen schwammen“, erklärt Jordi Serangeli vom Senckenberg-Zentrum für menschliche Evolution und Paläoumwelt der Universität Tübingen.

Wurfspeere, Lanzen, Wurfstöcke

Der Archäologe leitet die vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur finanzierten Ausgrabungen in einem bis 2016 betriebenen Braunkohle-Revier in der Nähe des Städtchens Schöningen. Im benachbarten Sachsen-Anhalt wurden bereits neun perfekte Wurfspeere und eine Stoßlanze aus dieser Zeit geborgen. Offensichtlich nutzten die Jäger damals also sehr unterschiedliche Waffen, berichten Jordi Serangeli, Nicholas Conard und Gerlinde Bigga von der Universität Tübingen, sowie Veerle Rots von der Universität im belgischen Lüttich jetzt in der Zeitschrift "Nature Ecology and Evolution".

Wurfspeere und die Stoßlanze setzten die Vorfahren der Neandertaler wohl eher bei der Jagd auf große Tiere wie Pferde ein, die in Schöningen offensichtlich einen großen Teil ihrer Beute ausmachten. „Kleinere Tiere jagten sie dagegen mit dem Wurfstock“, sagt Serangeli.

Diese Waffe wurde noch in jüngerer Vergangenheit in Nordamerika, Afrika und Australien verwendet, um Kaninchen oder Vögel zu jagen. „Allerdings zersetzt Holz sich normalerweise im Boden rasch und schon nach wenigen Jahrtausenden ist kaum noch etwas übrig“, schildert der Forscher ein altes Problem der Archäologie: Werkzeuge aus Stein überdauern oft sogar Jahrmillionen, in der Altsteinzeit benutzte Gegenstände aus Holz aber finden Archäologen nur in extrem seltenen Ausnahmefällen.

Zufall half bei Konservierung der Waffe

In Schöningen hatte sich nach einem Rückzug der Gletscher der Eiszeit in einer Senke ein See gebildet, an dessen sumpfigen Ufern die Steinzeitmenschen gern jagten. Blieb ein Speer oder ein Wurfstock aus Holz an diesem Ufer zurück, wurde er rasch unter angespültem Sediment begraben.

Seither stecken diese Relikte der Altsteinzeitjäger in einem mit Wasser gesättigten Untergrund, in dem der Sauerstoff für den Abbau von Holz fehlt. 300.000 Jahre blieben daher die Speere in  Schöningen sehr gut erhalten, bis die Archäologen sie ausgruben. Sie stellten fest, dass die heutzutage bei den Olympischen Spielen eingesetzten Wettkampfspeere sich in der Form und den Flugeigenschaften kaum von den Steinzeitwaffen unterscheiden.

Auch den jetzt beschriebenen Wurfstock hatten die Steinzeitjäger sehr sorgfältig aus dem Ast einer Fichte hergestellt: Nach dem Entfernen der Seitenäste wurde die Waffe sorgfältig geglättet. Während eine Seite flach war, wurde die andere leicht gebogen.

Am Ende ähnelte der 264 Gramm schwere Wurfstock dann frappierend den „Kaninchen-Stöcken“, mit denen die Jäger Nordamerikas einst Beute machten. Nur in der Mitte ist das Holz ein wenig abgesplittert. „Offensichtlich wurde der Wurfstock also benutzt und einzelne Treffer haben ihre Spuren hinterlassen“, erklärt Serangeli. Ganz ähnliche Spuren finden sich an solchen Waffen, die in Australien noch in jüngerer Zeit verwendet wurden.

Für die Jagd auf Enten, aber auch Pferde

Natürlich haben die Forscher solche Wurfstöcke längst nachgebaut und haben damit auf Ziele geworfen. Und so auf eine Entfernung von fünf bis 30 Meter ab und zu auch getroffen. „Da gibt es aber noch reichlich Luft nach oben“, sagt Jordi Serangeli. In der Steinzeit haben sicher schon die Kinder mit diesen Stöcken ausgiebig geübt und waren daher viel treffsicherer als moderne Archäologen. Ethnologen berichten dann auch von Würfen aus jüngerer Zeit, die noch in hundert Metern Entfernung trafen.

Mit diesem in Niedersachsen ausgegrabenen Wurfstock jagten die Vorfahren der Neandertaler bereits vor 300.000 Jahren.
Mit diesem in Niedersachsen ausgegrabenen Wurfstock jagten die Vorfahren der Neandertaler bereits vor 300.000 Jahren.

© Alexander Gonschior

Auf fliegende Enten und andere Vögel schleuderten die Steinzeitmenschen ihre Wurfstöcke wohl über ihre Schulter. Weil das Holz im Flug dann senkrecht zum Boden um seinen Schwerpunkt rotierte, flog es gut gerade aus. „Wurde in einem Schwarm ein Vogel getroffen, stürzte er auf die Erde und die Jäger konnten ihn leicht töten“, erklärt Serangeli.

Auf schwimmende Schwäne oder auf dem Boden ruhende Tiere schleuderten die Vorfahren der Neandertaler ihre Wurfstöcke dagegen eher wie eine Frisbee-Scheibe, die waagerecht zum Boden rotiert. „So konnte man auch Aasfresser vom Kadaver eines verendeten Tieres vertreiben, auf dessen Fell man ein Auge geworfen hatte“, meint Jordi Serangeli.

Oder die Jäger trieben mit ihren Wurfstöcken die beim Laufen weit überlegenen Pferde auf den sumpfigen Boden am Seeufer. Dort kamen die Tiere kaum noch voran und wurden so Beute der Wurfspeere oder Stoßlanzen.

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