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Studierende sitzen sich in einer Bibliothek auf zwei Sofas gegenüber und arbeiten mit Laptops und Büchern.

© Getty Images/iStockphoto

Vor dem Start des Sommersemesters: Den Aufbruch in eine andere Hochschulwelt wagen

Die Digitalisierung läuft, trotzdem haben Studierende in den "Coronasemestern" gelitten. Ein Gastbeitrag zu einer neuen Präsenzkultur und anderen Reformen.

Die seit mehr als zwei Jahren andauernde Pandemie wirkte in den Hochschulen wie ein Katalysator für zentrale Prozesse – insbesondere bei der Digitalisierung. In kürzester Zeit stellten die Hochschulen von Präsenz- auf digitale Lehre um: Übungen, Seminare und Vorlesungen wurden dabei ebenso in digitale Formate übersetzt wie Prüfungen und Informationsveranstaltungen.

Einer Studie des Stifterverbandes und der Unternehmensberatung McKinsey zufolge erhöhte sich der Anteil digitaler Lehrangebote an deutschen Hochschulen innerhalb von lediglich 30 Tagen von 12 auf 91 Prozent. Dieser radikale Schwenk gelang vor allem dank des Engagements und der Kreativität der Lehrenden wie auch der sie unterstützenden IT-Einheiten.

Zugleich wurde aber deutlich, dass es hinsichtlich der Digitalisierung einen enormen Unterstützungsbedarf gibt, von der technischen Infrastruktur bis zur Weiterbildung der Lehrenden. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sah sich hier in ihren wiederholten Forderungen nach einer zusätzlichen Finanzierung durch Bund und Länder bestätigt.

Die von ihr vorgeschlagene „Digitalisierungspauschale“ in Höhe von jährlich 92 Euro pro Student bzw. Studentin entspräche einem Gesamtbetrag von rund 270 Millionen Euro jährlich. Erfreulicherweise hat die neue Bundesregierung zugesagt, ein Unterstützungsprogramm für die Digitalisierung der Hochschulen aufzulegen. Wir warten gespannt auf die Einzelheiten dieses Programms, das der Koalitionsvertrag noch nicht näher beschreibt.

Längere Regelstudienzeit und Hilfe für internationale Studierende

Neben der zügigen und insgesamt geglückten Umstellung der Hochschullehre auf digitale Formate gab es auch andere erfreuliche Entwicklungen, die meist in kontinuierlicher Abstimmung mit den Ländern und anderen Partnern erreicht wurden, etwa die Verlängerung der Regelstudienzeit während der „Pandemiesemester“ oder Lösungen für die Probleme internationaler Studierender, beispielsweise bei Fragen der Krankenversicherung.

Ein Porträtfoto.
Peter-André Alt ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK).

© David Ausserhofer/HRK

Ein Porträtbild.
Oliver Günther ist Präsident der Universität Potsdam und HRK-Vizepräsident für Governance, Lehre und Studium.

© Ernst Kaczinski/Universität Potsdam

Insgesamt zeigten die Hochschulen und alle Gruppen, die in ihnen zusammenwirken, ein hohes Maß an Resilienz im Umgang mit der Pandemie und ihren Auswirkungen. Dank der sehr hohen Impfbereitschaft von Mitarbeiter:Innen und Studierenden wurde keine Hochschule zu einem Hot Spot des Infektionsgeschehens.

Die nahezu vollständige Umstellung des hochschulischen Lebens auf digitale Formate hatte aber auch negative Effekte. Dazu zählen in erster Linie die psychosozialen Folgen der erzwungenen Isolierung für die Studierenden. Viele junge Menschen, die 2020 ein Studium aufnahmen, haben nach vier Corona-Semestern bis heute noch kein normales Leben an einer Hochschule, auf einem Campus, kennengelernt.

Reformbedarf in der Lehre, beim Bafög - und mehr

Dazu kamen ökonomische Härten für Studierende, die ihre Jobs verloren und für die das Nothilfe-Angebot des Bundes sehr spät kam. Darüber hinaus machte die Pandemie wie unter dem Vergrößerungsglas einen grundsätzlicheren Reform- und Verbesserungsbedarf in der Hochschullehre deutlich.

Er bestand teilweise schon lange, trat nun aber umso drängender zu Tage: etwa die unbedingt erforderliche Reform des Bafög, des Kapazitätsrechts und der Lehrverpflichtungsverordnungen. Noch immer leiden digitale Prüfungen unter einem ungeregelten rechtlichen Rahmen, und auch für den Hochschulbau ergeben sich angesichts neuer Lehrformen mit veränderten Raumbedarfen ganz neue Forderungen.

Vor dem Hintergrund dieser teils guten, teils schwierigen Erfahrungen richten die Hochschulen nun den Blick nach vorn. Dabei gilt es, Antworten für die Hochschule „post Corona“ zu entwickeln. Hier kann es weder um eine Rückkehr zu fast 100 Prozent Präsenzkultur wie vor der Pandemie noch um eine undifferenzierte Volldigitalisierung der Hochschullehre gehen.

Wie werden neue Präsenzkulturen organisiert?

Auf dem Weg zur neuen Hochschule nach der Pandemie sind grundsätzliche Fragen zu diskutieren: Wie können neue, hybride Lehrformate unter didaktischen Aspekten gestaltet, wie können Präsenzkulturen neu organisiert werden? Wie müssen die Räume beschaffen sein, die für dieses neue Lehren und Lernen den Wechsel von Präsenz und virtuellen Phasen auf dem Campus ermöglichen?

Die Debatte sollte die Grundstrukturen der Hochschulen erfassen, etwa im Hinblick auf die bauliche Konzeptionierung und Weiterentwicklung der Infrastruktur oder in Bezug auf die veralteten Verordnungen zur Lehrverpflichtung, die den aktuellen Anforderungen nicht entsprechen.

Eine erste Bilanz der hier skizzierten Erfahrungen und Erwartungen ist am kommenden Montag im Rahmen einer Konferenz der HRK an der Universität Potsdam zu ziehen. Deren Titel „Aufbruch in eine andere Hochschulwelt!“ unterstreicht den Optimismus, mit dem wir die neuen Herausforderungen angehen.

Wenn wir die richtigen Schlussfolgerungen aus den vergangenen zwei Jahren ziehen, beherzt neue Wege wagen und von der Politik die dazu nötigen Mittel erhalten, kann nach zwei Jahren Pandemie ein umfassender Erneuerungsschub für die Hochschulen in Gang kommen.

Peter-André Alt; Oliver Günther

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