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Dargestellt ist eine Szene zur Illustration einer Fabel: Ein Löwe hat ein Huftier gerissen, zwei Füchse schauen zu.

© imago/Leemage

Von Fabeln und Erfahrungswissen: Zwei Leibniz-Preise für Berlin

Die DFG zeichnet die Arabistin Beatrice Gründler und den Kognitionspsychologen Ralph Hertwig mit dem wichtigsten deutschen Forschungspreis aus.

Der wichtigste deutsche Forschungspreis geht 2017 zwei Mal nach Berlin – an die Arabistin Beatrice Gründler von der Freien Universität und an den Kognitionspsychologen Ralph Hertwig vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Beide erhalten den jeweils mit 2,5 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Insgesamt verleiht die DFG im März 2017 zehn Leibniz-Preise.

Beatrice Gründler (52) wird für ihre Arbeiten zur „Vielstimmigkeit der arabischen Poesie und Kultur“ geehrt. Aktuell erarbeitet sie eine kritische und kommentierte Edition von „Kalila und Dimna“, eines alt-arabischen Fürstenspiegels in Form einer Fabelsammlung aus dem 8. Jahrhundert n. Chr. – eine der frühesten arabischen Prosaschriften. Dieses Projekt werde sie jetzt mit ihrem Preisgeld ausbauen, sagte Gründler dem Tagesspiegel. Die Edition ist für die FU ein Pionier-Projekt in den Digital Humanities. Der variantenreiche Text, der über Jahrhunderte kopiert, teilweise umgeschrieben und aus dem indischen Sanskrit-Original über das Persische und Arabische in alle modernen europäischen Sprachen übersetzt wurde, sei in einer klassischen Printedition nicht darstellbar, sagt Gründler. „Der Leibniz-Preis öffnet hier neue Türen.“

"Wenn man sich mit Literatur befasst, kennt man das kulturelle Umfeld"

Dabei erforscht Gründler auch die „Geschichte eines kulturellen Netzwerkes von Indien bis Europa“. Die Begegnungen arabischer und europäischer Wissenstraditionen praktiziere sie in ihrer Arbeit selbst auf vorbildliche Weise, hebt die DFG hervor. Was sie in ihrer Arbeit fasziniere, sei die Funktion, die Literatur und Dichtung immer haben, sagt Gründler. „Wenn man sich mit der Literatur befasst, kennt man das kulturelle Umfeld.“

Beatrice Gründler.
Beatrice Gründler.

© Bernd Wannenmacher

Gründler ist vor zwei Jahren an die Freie Universität Berlin gekommen – und damit nach langer Zeit nach Deutschland zurückgekehrt. Sie studierte in Straßburg, Tübingen und Harvard, lehrte unter anderem an der Yale University, zuletzt als Professorin für arabische Literatur.

Ralph Hertwig (53) habe wegweisende Arbeiten zur Psychologie des menschlichen Urteilens und Entscheidens vorgelegt, begründet die DFG die Auszeichnung. Die klassische Annahme der Ökonomen, dass ein Individuum alle verfügbaren Informationen sammelt, sie sorgfältig abwägt und akkurat einschätzt, welche Konsequenzen das eigene Handeln wahrscheinlich haben wird, habe mit der Realität oft wenig zu tun, sagt er. „Wir haben häufig wenig Zeit, begrenzte kognitive Ressourcen und unser Wissen ist unvermeidlich begrenzt. Darin kann auch eine Stärke liegen. Unter diesen schwierigen Bedingungen können wir zum Beispiel unsere Erfahrung als Ratgeber benutzen.“

Warum leben Menschen in der Nähe des Vesuvs?

Ob dabei gute Entscheidungen getroffen werden, hänge davon ab, wie transparent und schnell man eine Rückmeldung bekommt. Wer gedankenverloren über die Straße gehe, bemerke die Folgen schnell. Ein Arzt in der Notaufnahme erfahre dagegen oft erst später oder auch nie, ob seine Diagnose richtig war. Kompliziert werde es bei Risiken, die abstrakt erscheinen. „Der Vesuv gilt als gefährlichster Vulkan der Welt, schließlich schätzen Experten seine Magmakammer heute als größer ein als zu der Zeit, als Pompeji zerstört wurde“, sagt Hertwig. Doch an den letzten Ausbruch im Jahr 1944 könne sich kaum jemand erinnern. Die Anwohner machten daher trotz aller Warnungen von Vulkanologen täglich die Erfahrung, dass es ungefährlich ist, in seiner Nähe zu leben. Sie bleiben, wo sie sind. „Ähnlich ist es mit den Folgen des Klimawandels. Wir unterschätzen sie und sind mangels unmittelbarer Erfahrung kaum bereit, unser Verhalten zu ändern.“

Ralph Hertwig.
Ralph Hertwig.

© Bernhard Ludewig

Die Idee, dass Nichtwissen immer irrational sei, widerstrebt Hertwig. „Wissen und Nichtwissen haben zwei Seiten“, sagt er. Nichtwissen könne moralisch problematische Folgen haben, etwa wenn man einen HIV-Test macht und das Ergebnis nicht erfahren will. Genauso könne man sich durch strategisches Nichtwissen von Schuld reinwaschen. „Es kann aber auch eine kluge Entscheidung sein – etwa wenn es um Wissen und Nichtwissen über einen Gendefekt geht, der ein unheilbares Leiden wie Alzheimer wahrscheinlicher machen könnte.“

Die Neigung, Risiken einzugehen, hängt nicht nur vom Alter ab

Hertwig leitet als Direktor am MPI für Bildungsforschung seit 2012 den Bereich „Adaptive Rationalität“. Er interessiert sich unter anderem dafür, wie Teams zu guten Entscheidungen kommen und wie sich die Neigung, Risiken einzugehen, im Verlauf des Lebens – je nach Alter und ökonomischen Umständen – verändert. Der Kognitionspsychologe begann seine wissenschaftliche Laufbahn am MPI für psychologische Forschung in München, war Research Fellow an der Columbia University, habilitierte an der Freien Universität Berlin und erhielt dann einen Ruf an die Universität Basel. Von dort wechselte er 2012 zurück nach Berlin.

Die insgesamt zehn Preisträgerinnen und Preisträger wurden am Donnerstag vom DFG-Hauptausschuss aus 134 Vorschlägen ausgewählt. Sieben kommen aus den Naturwissenschaften, den Lebenswissenschaften und den Ingenieurswissenschaften: Lutz Ackermann, Professor für Organische Molekülchemie in Göttingen, Strukturbiologe Karl-Peter Hopfner von der LMU München, Biophysiker Frank Jülicher vom MPI für Physik komplexer technischer Systeme in Dresden, Mikrobiologe Jörg Vogel von der Uni Würzburg, Biophysiker Joachim P. Spatz vom MPI für Intelligente Systeme in Stuttgart, Materialwissenschaftlerin Britta Nestler vom KIT sowie Verfahrenstechniker Lutz Mädler von der Uni Bremen. Zu den drei Preisträgern aus den Geistes- und Sozialwissenschaften gehört neben Gründler und Hertwig die Afrikanistin Anne Storch von der Uni Köln.
Im vergangenen Jahr wurden drei Berliner ausgezeichnet, die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy (TU), die Infektionsbiologin Emmanuelle Charpentier (MPI für Infektionsbiologie) und der Jurist Christoph Möllers (HU).

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