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Hand hält Smartphone mit Corona-Warnapp vor Schulklasse.

© imago images/Michael Weber

Update

Von Bildungsbehörde unterdrückte Corona-Studie: Einzelne Person löste Masseninfektion an Hamburger Schule aus

Ein Massenausbruch an einer Hamburger Schule geht auf eine Person zurück: Das zeigen Genomsequenzierungen. Die Studie wird nun durch "Frag den Staat" öffentlich.

Fast 40 Corona-Infizierte an der Hamburger Heinrich-Hertz-Schule: Als das im September bekannt wurde, war das einer der ersten größeren Ausbrüche an einer Schule in Deutschland. Damals hieß es von den Behörden: Viele Schülerinnen und Schüler hätten sich außerhalb der Schule angesteckt. Doch jetzt stellt sich heraus: Das stimmte nicht. Der Ausbruch ist ganz im Gegenteil überwiegend auf eine Person zurückzuführen, über die sich das Coronavirus dann an der Schule ausbreitete.

Das geht aus einer Auskunft der Hamburger Arbeits,- Sozial- und Gesundheitsbehörde hervor, die kurz vor Weihnachten auf der Plattform „Frag den Staat“ veröffentlicht wurde (die Anfrage findet sich hier). Demnach haben das Heinrich-Pette-Institut (HPI) und das Uniklinikum Eppendorf im September in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt Hamburg-Nord den Ausbruch an der Heinrich-Hertz-Schule, einer Stadtteilschule ab der 5. Klasse, untersucht.

"Höchstwahrscheinlich auf eine Infektionsquelle zurückzuführen"

Die Forschenden hätten dadurch die folgenden Erkenntnisse gewonnen, heißt es weiter: „Infektionen/Übertragungen haben in der Schule stattgefunden.“ In den untersuchten und verwertbaren Proben sei eine hohe Anzahl von identischen Genomsequenzen identifiziert worden. „Daher ist die überwiegende Mehrzahl der Übertragungen höchstwahrscheinlich auf eine einzige Infektionsquelle zurückzuführen. Die Möglichkeit, dass der Ausbruch aus unabhängigen Einträgen resultiert kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.“

Adam Grundhoff, der zuständige Virologe am HPI, ergänzte auf Nachfrage am Montag, das Ergebnis sei auch deswegen so eindeutig, weil die betreffende Genomsignatur zu dem Zeitpunkt im Hamburg noch nicht in Erscheinung getreten sei: „Das ist also auf eine Quelle zurückzuführen.“

Insgesamt seien „unter 30“ Fälle rekonstruierbar gewesen, die praktisch alle diese Genomsignatur aufwiesen. Er gehe aber nicht davon aus, dass alle Ausbrüche in Schulen so verlaufen: „Das ist sicher heterogener.“ Geplant sei, die Analyse in eine größere Studie einfließen zu lassen. Mit der Analyse sei man Anfang Oktober fertig gewesen, er könne aber nicht sagen, wann die Ergebnisse vom Gesundheitsamt weiterkommuniziert wurden.

Politisch brisantes Ergebnis

Politisch brisant ist das Ergebnis der Analyse nicht nur, weil es dem Mantra der Kultusministerinnen und Kultusminister widerspricht, dass Schulen keine Infektionstreiber der Pandemie sind.

Anfang Januar will die Kultusministerkonferenz beraten, wie es mit dem Schulen nach dem Lockdown weitergehen soll. Bislang sieht es so aus, als ob die KMK keine Änderung ihrer Strategie plant und weiter auf die schnellstmögliche Wiederaufnahme des Regelbetriebs ohne größere Schutzmaßnahmen setzt, vom Lüften abgesehen. Die Studie dürfte das schwieriger machen.

Heikel könnte die Studie auch für Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) werden. Denn es drängt sich der Eindruck auf, dass Rabes Schulbehörde die Veröffentlichung der Studie unterdrücken wollte.  

Deren Ergebnisse gelangten jetzt nur an die Öffentlichkeit, weil eine Nutzerin auf „Frag den Staat“ unter Berufung auf das Hamburger Transparenzgesetz danach fragte. Es war dann nicht etwa die angefragte Schulbehörde, die antwortete, sondern eben die Gesundheitsbehörde.

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Zuvor hatte die Schulbehörde die Resultate Studie noch als nicht relevant abgetan – und zwar in einem Artikel der „Zeit“, in dem erstmals über die Genomsequenzierungen berichtet wurde.

Die Schulbehörde sah im Oktober "keine relevanten Ergebnisse"

Die „Zeit“ hatte vergeblich bei der Schulbehörde nach den Ergebnissen der Studie nachgesucht. „Für uns ergaben sich leider keine relevanten Erkenntnisse, aus denen sinnvolle schulische Schutzmaßnahmen abgeleitet werden könnten“, wird in dem Artikel Peter Albrecht zitiert, Sprecher von Ties Rabe. Präzise Ergebnisse müssten beim Gesundheitsamt erfragt werden, das aber ebenfalls schwieg.

Laut „Zeit“ teilte Rabes Sprecher das bereits Ende Oktober mit (der Artikel selbst erschien erst Mitte Dezember). Die Schulbehörde muss also eigentlich schon Ende Oktober von der Studie und ihren Resultaten gewusst haben.

Täuschte der Senator die Öffentlichkeit?

Sollte dem so sein, stellen sich nicht nur die Fragen, warum die Schulbehörde die Erkenntnisse als „nicht relevant“ einstufte und warum sie die Ergebnisse seitdem nicht aus eigenem Antrieb publizierte.

Senator Rabe hätte dann auch die Öffentlichkeit getäuscht, als er Mitte November eigene Daten zur Infektionslage an den Schulen präsentierte. Damals stellte Rabe die These auf, dass „die Infektionsgefahr außerhalb der Schule viel höher“ sei.

Die Genomsequenzierungen – die Übertragungen innerhalb besagter Schule in zahlreichen Fällen belegt - wurden auf der Pressekonferenz nicht erwähnt. Rabe sprach vielmehr davon, es gebe von den 372 dokumentierten Fällen 80, bei denen „vielleicht“ die Schule der Infektionsort war. Bei allen anderen könne man das ohnehin ausschließen. Auf diese Zahlen haben sich die Kultusministerinnen und Kultusminister danach immer wieder berufen, wenn es darum ging, die Schule als sicher einzustufen.

Darstellung der Schulbehörde ist schwer nachvollziehbar

Eine Anfrage des Tagesspiegels an die Schulbehörde zu den Zeitabläufen und zu der Einschätzung von Senator Ties Rabe zur Sicherheitslage an den Schulen blieb am Montagvormittag zunächst unbeantwortet.

Eine Sprecherin verwies stattdessen auf eine Pressemitteilung vom Sonntag, die die nun bekannt gewordenen Ergebnisse als „gute Nachricht“ bezeichnete.

Diese auf den ersten Blick seltsam anmutende Einschätzung wurde folgendermaßen begründet: Die Genomsequenzierungen ließen darauf schließen dass vermutlich 25 der 39 Infektionen bei dem Ausbruch in der Heinrich-Hertz-Schule passiert sein könnten. Die Schulbehörde sei bei ihrer Berechnung im November aber von 34 ausgegangen, insofern sei der Anteil der Gesamtinfektionen in Schulen sogar gesunken.

Diese Darstellung lässt sich schwer überprüfen – denn die Datengrundlage der Berechnung der Schulbehörde ist schriftlich nirgendwo nachzulesen. Auf der Pressekonferenz damals wurde wie gesagt der Ausbruch an der Heinrich-Hertz-Schule nicht erwähnt, so dass nicht klar ist, wie Senator Rabe damals auf die Summe der Infektionen kam, die „vielleicht“ innerhalb einer Schule stattfanden.

Schulbehörde will endgültige Ergebnisse erst Ende November erhalten haben

Am Montagnachmittag teilte Schulbehörde mit, die "endgültigen Ergebnisse" der HPI-Analyse seien erst am 24. November von der Gesundheitsbehörde an die Schulbehörde übermittelt worden. Die Schulbehörde habe die Tatsache der schulinternen Infektionen "grundsätzlich und speziell an der Heinrich-Hertz-Schule niemals in Frage gestellt", sondern bereits im September dargestellt, "dass es an der Heinrich-Hertz-Schule schulexterne und schulinterne Infektionen gegeben hat".

Inzwischen hält die Behörde die Ergebnisse der Analyse auch für "relevant", heißt es weiter. Allerdings lasse die Studie "keine Rückschlüsse zu, warum es an dieser einen Schule eine Vielzahl von schulinternen Infektionen gegeben hat, während an 151 weiteren Schulen trotz einzelner Kinder mit einer Corona-Erkrankung keine schulinternen Übertragungen stattfanden", erklärte eine Sprecherin: "In Bezug auf diese wichtige Frage brauchen wir weitere Studien." Das sei auch die Auffassung des Senators. Dieser betone weiterhin, dass "Schulen im Verhältnis zu anderen Lebensbereichen sichere Orte sind". Er sehe sich da "in Übereinstimmung mit RKI und Leopoldina.

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