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Auf der Suche nach der Ursache für rätselhaft wunde und entzündete Pfoten Berliner Eichhörnchen sind Forscher auf ein bislang unbekanntes Virus gestoßen.

© picture alliance / dpa

Virusforschung: Berliner Eichhörnchen leiden an Pocken

Forscher entdecken ein bislang unbekanntes Virus, das Jungtiere befällt und mitunter auch tötet.

Das junge Eichhörnchen ist gerade alt genug, um in seinem Baum herumzuklettern. Doch es hat Schwierigkeiten, sich dort festzuhalten. Die Pfoten sind von Entzündungen und Wundschorf übersät. In den letzten Jahren wurden immer wieder solche hilflosen Tiere in der Eichhörnchenhilfe Berlin/Brandenburg abgegeben, von denen trotz intensiver Pflege einige die Entzündungen nicht überlebten. Die Helfer konnten sich nicht erklären, welche Krankheit, welcher Erreger das Leid der Tiere ausgelöst haben könnte. „Das konnten sie auch nicht wissen, weil ein bisher der Wissenschaft völlig unbekanntes Virus die Eichhörnchen infiziert hatte“, erklärt Gudrun Wibbelt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin.

Unbekannte Pockenart

Genau deshalb steht die Tierpathologin zunächst auch selbst vor einem Rätsel, als Tanya Lenn von der Eichhörnchenhilfe sie bittet, verstorbene und lebende Tiere zu untersuchen. Gelbliche Krusten auf den Wunden deuten zwar auf Infektionen mit Bakterien hin. Tatsächlich hatten die Helfer schon vorher verschiedene Mikroorganismen gefunden, die allerdings gern dann auftreten, wenn der Körper bereits geschwächt ist durch eine andere, primäre Infektion.

Einen wichtigen Hinweis auf diesen ursächlichen Erreger lieferte zunächst das Mikroskop, unter dem Wibbelt in den Zellen von infizierten und verstorbenen Eichhörnchen runde Strukturen entdeckt. „Solche Einschlüsse sind typisch für Virusinfektionen“, sagt die IZW-Forscherin. „Dort vermehren sich diese Erreger, das sind also Virus-Fabriken.“ Die Viren selbst sind allerdings zu klein, um sie im Lichtmikroskop zu sehen. Daher schneidet Gudrun Wibbelt vorsichtig ein Stück von den Wundkrusten lebender Eichhörnchen ab. Bei den winzigen Pfoten der jungen Tiere ist das erheblich schwieriger, als es sich anhört. Unter dem Elektronenmikroskop zeichnen sich die Formen der Erreger klar ab. Daraus können Ärzte und Forscher die Gruppe ablesen, zu der ein Krankheitserreger gehört. Lang gestreckte, fadenförmige Formen sind zum Beispiel typisch für Filoviren, zu denen zum Beispiel das Ebola- und das Marburg-Virus gehören.

Eingeschleppte Epidemie aus Nordamerika

Gudrun Wibbelt aber sieht unter dem Elektronenmikroskop Formen, die eher winzig kleinen Nano-Ziegelsteinen ähneln. Diese Form schließt zum Glück den befürchteten Verdacht auf das Großbritannien-Eichhörnchen-Pockenvirus aus. Dieser Erreger war am Ende des 19. Jahrhunderts zusammen mit Grauhörnchen aus Nordamerika auf die Britischen Inseln gelangt und rafft dort seither die einheimischen Europäischen Eichhörnchen dahin. Auf dem europäischen Festland waren aber bislang weder Grauhörnchen noch deren Großbritannien-Eichhörnchen-Pockenvirus aufgetaucht.

Der Form nach ähneln die Berliner Viren eher Kuhpockenviren, die eine ganze Reihe von Säugetieren von Mäusen und anderen Nagetieren über Katzen und Elefanten bis hin zum Menschen infizieren.

Um welche Art von Viren es sich handelt, klärt in der Regel das zuständige Konsiliarlabor des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin. Der Vergleich einer Probe, wie sie Wibbelt ans RKI schickte, mit bekannten Viren dauert meist nicht lange. „Aber diesmal hörte ich von dort eine ganze Weile nichts mehr“, sagt die IZW-Forscherin. Denn erst nach einer gründlichen Analyse des Viruserbguts konnten die Experten am RKI sicher sein: Der Berliner Erreger stimmt mit keinem anderen bekannten Vertreter aus der Familie der Pockenviren überein.

Offenbar werden die Berliner Eichhörnchen von einem bisher unbekannten Pockenvirus infiziert, der mit den meisten anderen Viren dieser Gruppe nur entfernt verwandt ist, wie Analysen des RKI-Bioinformatikers Simon Tausch ergaben. „Eine solche Neuentdeckung wiederum kommt nicht alle Tage vor und schon gar nicht vor dem eigenen Labor“, meint Wibbelt.

"Berliner Pocken" keine Gefahr für Menschen

Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Berliner Pockentyp so wie Kuhpocken auf den Menschen überspringen könnte, ist gering. „Anders als Kuhpocken infizieren die meisten Pockenvirusarten nur eine bestimmte Tiergruppe“, sagt Wibbelt. Menschen sind daher wohl nicht in Gefahr, zumal das Berliner Eichhörnchenpockenvirus dazu schon genug Gelegenheit gehabt hätte, als infizierte Tiere mit den Pflegern in der Eichhörnchenhilfe in Kontakt kamen.

Auch die Gefahr, dass die Berliner Pockenviren ähnlich wie in Großbritannien massenhaft Eichhörnchen befallen, ist gering. Denn bislang trotzen die Europäischen Eichhörnchen dem Berliner Erreger offenbar. Dafür sprechen die vergleichsweise wenigen Fälle. Pro Jahr werden allenfalls zehn Jungtiere mit den typischen Symptomen zur Eichhörnchenhilfe gebracht, eher weniger. Und bisher wurde offenbar kein einziges erwachsenes Tier infiziert. Das deutet darauf hin, dass wohl nur ein kleiner Teil der Eichhörnchen an diesen Infektionen stirbt.

Gudrun Wibbelt will nun untersuchen, ob die erwachsenen Eichhörnchen immun gegen die Krankheit sind. Und ob der Erreger auch in anderen Regionen zu finden ist, aus denen bisher keine Infektionen gemeldet wurden. Das Berlin-Virus stößt also reichlich neue Forschung an.

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