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Eine Schülerin einer fünften Klasse der Johanniter Realschule Heitersheim sitzt während dem Unterricht in ihrem Klassenzimmer.

© Philipp von Ditfurth/dpa

Virologin zur Pandemie-Lage: „Schulschließungen werden wahrscheinlich wieder notwendig“

Die Virologin Isabella Eckerle plädiert für konsequente Schutzmaßnahmen gegen Covid-19. Ein Interview über Impfprioritäten und Bärendienste an Kindern und ihren Familien.

Isabella Eckerle leitet die Forschungsgruppe „Neu auftretende Viren“ an der Universität Genf. In einem Covid-19-Experten-Briefing sagte sie dem Science Media Center Deutschland: „Es scheint vor allem dann ein Risiko für Schulausbrüche zu geben, wenn das Gesamt-Infektionsgeschehen in der Bevölkerung zunimmt – genauso wie es gerade in Deutschland der Fall ist.“ Das war im August 2020, nach den Sommerferien. Ihr Kommentar passt aber auch zur aktuellen Lage mit steigender Inzidenz und wieder anlaufendem Schulbetrieb.

Frau Eckerle, nun sind ansteckendere Virusvarianten hinzugekommen. Wie ändert das die Lage?
Es gibt inzwischen belastbare Daten, dass diese Varianten um einiges ansteckender sind, und häufiger mit einem schweren Verlauf verbunden. In anderen Ländern sieht man auch vermehrt Ausbrüche an Schulen und in Kitas. Es ist momentan nicht zu sagen, ob es eine biologische Eigenschaft des Virus ist, vermehrt oder effektiver Kinder anzustecken, oder ob es generell die stärkere Ansteckung und die damit verbundenen höheren Gesamtzahlen sind, die zu dieser Beobachtung führen. 

Die positive Nachricht ist, dass die bisherigen Schutzmaßnahmen wie Masken, Lüften, Händehygiene, Kontaktvermeidung etc. auch gegen die Varianten wirken. Allerdings müssen sie noch konsequenter durchgesetzt werden, um die Weiterverbreitung zu stoppen.

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Kinder stehen im Impfprogramm hintenan. Müssen wir uns langfristig auf Homeschooling einstellen?
Es sind bereits die ersten Impfstoffstudien zur Prüfung an Kindern angelaufen, und auch erste Daten aus Israel zeigen ermutigende Ergebnisse bei der Impfung jüngerer Altersgruppen. Trotzdem ist wohl erst Ende des Jahres, Anfang nächsten Jahres mit einer Zulassung zu rechnen. Insofern werden die Kinder selbst nach der Durchimpfung aller erwachsenen Altersgruppen die große vulnerable Gruppe für die Infektion bleiben. 

Es gibt inzwischen auch gute Daten, die zeigen, dass man den Präsenzunterricht durchaus relativ sicher gestalten kann, wenn man alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen umsetzt: Lüften, Masken, kleinere Klassen, regelmäßige Schnelltests, Unterricht im Freien wenn möglich und so weiter. Am sichersten sind Schulen und Kitas aber, wenn insgesamt eine niedrige Inzidenz in der Bevölkerung herrscht.

Die Virologin Isabella Eckerle forscht an der Universität Genf zu neu auftretenden Viren.
Die Virologin Isabella Eckerle forscht an der Universität Genf zu neu auftretenden Viren.

© Pascal Cherpillod/HUG

Wie wirkt sich die Krankheit auf die Kinder aus?
Zwar verlaufen die allermeisten Infektionen bei Kindern mild oder sogar ganz ohne Krankheitssymptome, dennoch zeigen Daten aus Großbritannien, dass ein Teil der Kinder noch lange mit anhaltenden Beschwerden, teils über Wochen, zu kämpfen hat. Den Kindern zuliebe sollte man also trotz der Impfung in den erwachsenen Altersgruppen weiterhin versuchen, die Viruszirkulation sehr niedrig zu halten.

Wie bewerten Sie den Stand der Diskussion um die Infektiösität von Kindern, auch rückblickend?
Im Nachhinein kann man nur sagen, dass sehr viel wertvolle Zeit verloren wurde über den Sommer. Man hätte sie nutzen können, um Schulen sicherer zu gestalten. Die meisten Fachleute haben vor einer zweiten und dritten Welle gewarnt. Und auch, dass Kinder sowohl empfänglich für eine Infektion sind, und das Virus weiter übertragen können, war bereits früh sehr wahrscheinlich. 

Ob diese Ansteckungen nun genauso oft oder etwas weniger stattfinden als bei Erwachsenen und ob sich die Viruslasten minimal unterscheiden, ist meines Erachtens eine akademische Frage, aber keine, die die Notwendigkeit konsequenter Präventionsmaßnahmen an Betreuungseinrichtungen und Schulen in Frage stellt.

Es scheint aber, dass an Einschätzungen genau dazu viele Entscheidungen über Schulschließungen und-öffnungen festgemacht wurden.
Meines Erachtens haben viele Verfechter des Narratives, dass Kinder keine Rolle spielen, und man deswegen zum Kindeswohl keine Maßnahmen an Schulen ergreifen sollte, den Kindern und auch den Familien einen Bärendienst erwiesen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Schulschließungen wieder notwendig werden, wenn die dritte Welle in den nächsten Wochen an Fahrt aufnimmt.

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