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Im Fokus. Jahrelang stritten wissenschaftliche Einrichtungen und ihre Bibliotheken mit Großverlagen um deren Preispolitik.

© imago/Michael Weber

Verträge mit Wissenschaftsverlagen: Die großen Unis zahlen drauf

Wegen teurer Fachmagazine boykottierten Hochschulen lange Großverlage. Nun gibt es Einigungen zwischen beiden Seiten - aber glücklich sind nicht alle.

2019 könnte das Jahr der Einigungen werden. Drei Jahre dauerte der Boykott von mehr als 700 wissenschaftlichen Einrichtungen gegen internationale Großverlage und ihre immer teurer werdenden Fachzeitschriften. Nun sind endlich erste Vereinbarungen unterzeichnet worden: im Januar 2019 ein Vertrag mit Wiley, im August eine Absichtserklärung mit Springer Nature. Fehlt nur noch der dickste Fisch im Teich – Elsevier. Auch da gehen die Gespräche in diesem Herbst weiter.

Alles in allem ein großer Erfolg für die Verhandlungsführer vom Projekt DEAL, die im Namen der deutschen Wissenschaft die neuen Nationallizenzen aushandeln. Die flächendeckende Kündigung der Zeitschriften-Abos hat Wirkung gezeigt; Proteste von Forschern, die in den Bibliotheken keine Zugänge mehr zu Journalartikeln hatten, sind ausgeblieben.

Jetzt soll alles anders werden: Geplant ist ein grundlegender Wechsel vom Subskriptionsmodell (Zahlen fürs Lesen) zu einem Open-Access-Publikationsmodell (Zahlen fürs Veröffentlichen). Langfristiges Ziel: Das Lesen soll weltweit frei und von öffentlicher Hand finanzierte Forschung nicht mehr hinter der Bezahlschranke eines kommerziellen Verlags versteckt sein.

Doch was bedeutet diese fundamentale Umstellung, deren erstes Etappenziel erreicht ist, für die einzelnen Institutionen? Vor allem für die, die viel veröffentlichen – beispielsweise die Berliner Universitäten?

Großes Ungleichgewicht zwischen kleinen und großen Einrichtungen

„Die angestrebte, publikationsbasierte Finanzierung der DEAL-Verträge führt bei Einrichtungen, die viele Artikel publizieren, zu einer deutlich höheren finanziellen Belastung als bei Einrichtungen, die wenige oder gar keine Artikel publizieren“, erklärt Andreas Degkwitz, Direktor der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität und Bundesvorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbands. Ein starkes Ungleichgewicht entstehe dadurch und das müsse ausgeräumt werden. Der Paradigmenwechsel könne nämlich nur gelingen, „wenn die Kosten für die DEAL-Verträge nicht steigen und die Finanzierung der Verträge auf einer dauerhaften und tragfähigen Kostenbeteiligung aller am DEAL-Projekt partizipierenden Einrichtungen beruht“.

Eine neue „Finanzarchitektur“ forderte vor wenigen Tagen auch „German U15“, eine gemeinsame Interessenvertretung von 15 großen deutschen Universitäten: Das Finanzierungssystem für wissenschaftliches Publizieren müsse „als Ganzes an die neue Publikationskultur“ angepasst werden.

Doch wie soll das funktionieren? Welche Budgets müssen neu verteilt und welche Umstrukturierungen angestoßen werden, damit sich durch DEAL die wissenschaftliche Landschaft nicht in Gewinner und Verlierer aufspaltet? Noch gilt mit dem Verlag Wiley ein dreijähriger Übergangsvertrag, bei dem pro Institution ein Jahresbeitrag festgelegt wurde, der sich an den zuletzt gezahlten Subskriptionskosten orientiert. Erst danach soll komplett auf das Open-Access-Bezahlmodell umgestellt werden. Abgerechnet wird dann nur noch pro publiziertem Artikel. Bis dahin muss eine Lösung her.

"Die DEAL-Verträge gehen in die richtige Richtung"

„Die DEAL-Verträge gehen absolut in die richtige Richtung, weil sie Open Access in den Mittelpunkt rücken und zu einer deutlichen Verbesserung für die Autoren führen“, betont Jürgen Christof, Direktor der Universitätsbibliothek der Technischen Universität (TU). Die stark ansteigenden Kosten für vielpublizierende Einrichtungen hält er dennoch für eine der Schattenseiten der Vereinbarung. „Derzeit gibt es in der Bibliothekslandschaft kontroverse Diskussionen, wie wir damit umgehen.“

Allein aus den Haushalten der Universitätsbibliotheken könnte das nicht finanziert werden. Christof sieht stattdessen die Politik in der Pflicht, das Thema müsse auf Landes- und Bundesebene besprochen werden. Es brauche eine faire und gut durchdachte Regelung. „Sonst besteht die Gefahr, dass forschungsstarke Einrichtungen mittelfristig aus einem DEAL-Vertrag aussteigen.“ Und das wäre das Worst-Case-Szenario.

"Wir wollen, dass Wissenschaftler im Open Access publizieren können", sagt der Leiter der FU-Unibliothek (im Bild "The Brain", die Philologische Bibliothek der FU).
"Wir wollen, dass Wissenschaftler im Open Access publizieren können", sagt der Leiter der FU-Unibliothek (im Bild "The Brain", die Philologische Bibliothek der FU).

© IMAGO

Dass der mühsam erstrittene DEAL, der weltweit Vorbildcharakter haben soll, mit einer Umverteilung verbunden sein würde, „das war immer klar“, sagt Andreas Brandtner, Leitender Direktor der Universitätsbibliothek der Freien Universität (FU). Trotzdem hält auch er die Strategie der Verhandlungsgruppe für richtig: „Wir wollen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei Verlagen Open Access publizieren können. Für die deutsche Wissenschaft entsteht dadurch größere Sichtbarkeit und mehr Reichweite.“

Open-Access-Veröffentlichungen über Drittmittelförderung?

In Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) habe sich bereits eine Arbeitsgruppe gebildet, die nach Möglichkeiten sucht, die Mehrkosten für die vielforschenden Einrichtungen aufzufangen. Eine Idee besteht darin, durch zentral organisierte Publikationsfonds einen Überblick über die Kosten zu bekommen. Eine andere Idee setzt bei der Drittmittelförderung an. Die Kosten für die Open-Access-Veröffentlichung könnten künftig direkt in die Forschungsförderung eingepreist werden.

Horst Hippler, ehemaliger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz und DEAL-Verhandlungsführer, ist zuversichtlich, dass das gelingt: „Wenn Publikationsförderung zentralisiert wird und die Kosten, die fürs Publizieren aufgebracht werden müssen, integraler Bestandteil der Forschungsförderung werden, könnte es in Zukunft für die forschungsstarken Einrichtungen sogar einfacher und günstiger werden.“ Das Geld würde dann als Overhead-Finanzierung, als zusätzlicher Aufschlag, ausgewiesen und von den staatlichen Forschungsförderern zur Verfügung gestellt. Zwei Jahre, bis zum Ende der Übergangszeit, bleiben, das Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Doch auch mit Wiley und Springer Nature muss die DEAL-Gruppe weiter verhandeln, wenn nach der Übergangsphase die eigentlichen Verträge unterschrieben werden. Aktuell hat man sich auf eine 2750 Euro-Gebühr pro Artikel für die sogenannte „Publish-and-Read“-Phase geeinigt. Darin sind die Kosten fürs Open-Access-Publizieren sowie der Lesezugriff auf Tausende Zeitschriften mitsamt Archivausgaben enthalten. Am Jahresende bekommen die Forschungseinrichtungen eine Übersicht, welche Kosten ihnen für ihr individuelles Publish-and-Read-Paket theoretisch entstanden sind. Noch dient das nur der Orientierung, denn es gilt während der Übergangszeit ja der vorab vereinbarte Fixpreis. Die Abrechnung erlaubt aber schon eine Einschätzung für die Zukunft: Worauf müssen sich die Institutionen künftig einstellen?

"Noch immer diktieren die Verlage die Preise"

„Ich sehe bei den bisherigen DEAL-Vereinbarungen unmittelbare große praktische Gewinne und strategisch eher Verluste“, resümiert Ursula Flitner, Leiterin der Medizinischen Bibliothek der Charité. Einerseits sei es gut, dass nun endlich Bewegung in die Sache gekommen sei. Vieles habe sich durch den Vertrag mit Wiley vereinfacht, vor allem für die Forschenden, die bei einem Open-Access-Artikel keine umständlichen Anträge auf Kostenübernahme stellen müssten. „Es reicht, wenn sie bei der Zeitschrift angeben, dass sie zur Charité gehören.“

Eine Einigung mit Elsevier noch in diesem Jahr? "Sportlich", sagt Horst Hippler, der die Verhandlungen für die Wissenschaft führt.
Eine Einigung mit Elsevier noch in diesem Jahr? "Sportlich", sagt Horst Hippler, der die Verhandlungen für die Wissenschaft führt.

© imago stock&people

Andererseits ist Flitner skeptisch, ob die Publish-and-Read-Gebühr nach der Übergangszeit, wenn die kostenpflichtige Lesekomponente entfällt, noch mal deutlich gesenkt wird. Für sehr wahrscheinlich hält sie das nicht: „Noch immer diktieren die Verlage den Forschungseinrichtungen die Preise, daran hat sich auch mit DEAL nichts geändert.“ Ein weiteres Problem sei, dass die öffentliche Hand auch künftig den Großteil ihrer Bibliotheksbudgets für wenige Großverlage ausgeben wird. „Was bleibt für die kleinen Verlage, für die Vielfalt der Publikationslandschaft übrig?“

Auch die German U15-Gruppe drängt auf Kostendämpfung nach der Übergangsphase: Auf dem Weg von Publish-and-Read-Modellen zu reinen Publikationsgebühren müssten „kontinuierlich substanzielle Kostensenkungen“ erreicht werden. Preissteigerungen dürften „auf keinen Fall“ akzeptiert werden.

Die Erwartungen seitens der Wissenschaft an das Verhandlungsgeschick des Projekts DEAL bleiben somit hoch. Denn was mit Wiley und Springer Nature ausgehandelt wird, könnte auch zur Blaupause für einen Vertrag mit Elsevier werden. Derzeit werden von der deutschen Verhandlungsgruppe neue Vorschläge für den letzten der drei Großverlage erarbeitet. Ob es zu einer Einigung noch in diesem Jahr kommen könnte? Horst Hippler schließt das zumindest nicht aus. „Es wäre aber zugegebenermaßen ziemlich sportlich.“ Elsevier selbst bleibt vage, eine Sprecherin betonte gegenüber dem Tagesspiegel lediglich, man sei nach Vereinbarungen, die kürzlich in Norwegen, Polen und Ungarn getroffen wurden, „optimistisch, dass wir auch in Deutschland Fortschritte machen werden“.

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