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FU-Student Lukas Latz recherchierte für seine Masterarbeit in Russland.

© Lukas Latz

Verhängnisvolle Interviews: Berliner Student aus Russland ausgewiesen

Ein Masterstudent der FU recherchierte in Russland zu Umweltaktivisten. Dass er das Material nicht nur für seine Arbeit benutzte, hatte weitreichende Folgen.

Als plötzlich zwei Polizisten in seiner Wohnung im St. Petersburger Studentenheim standen, wusste Lukas Latz noch nicht, dass das der Beginn vom Ende seines Russlandaufenthalts sein würde. Latz studiert eigentlich an der Freien Universität Berlin (FU) Osteuropastudien, war aber bis vor Kurzem für Recherchen zu seiner Masterarbeit in Russland. Doch Mitte Juni wurde er des Landes verwiesen.

Latz war im August 2018 in das Land gereist, um Material zum Thema „Umweltaktivismus in Russland“ für seine Abschlussarbeit zu sammeln. Für diese Zeit war er als Gaststudent an der Staatlichen Universität St. Petersburg eingeschrieben. Die Uni ist langjährige Partnerin der FU.

Ein Student in doppelter Rolle

Seine Recherchen führten den Studenten auch in den Südural, nach Tscheljabinsk, einer Millionenstadt zwei Autostunden von der kasachischen Grenze entfernt. In der Nähe des Ortes soll ein Kupferbergwerk entstehen. Das Unternehmen RMK des Oligarchen Igor Altuschkin will es eröffnen.

Umweltaktivisten sind besorgt. Tscheljabinsk gehört jetzt schon zu den am stärksten verschmutzten Städten Russlands. Das Bergwerk könnte die Situation verschlimmern. Die Aktivisten fürchten um die Wasserversorgung der Stadt. Sie informieren die Bürger, kommen mit ihnen ins Gespräch. Und welche Rolle spielte Lukas Latz dabei?

Latz reiste im März 2019 nach Tscheljabinsk, machte Fotos, sprach mit den Aktivisten. "Ich habe versucht mit allen Beteiligten zu reden, auch mit den Behörden", sagt Latz. Als er in Tscheljabinsk Interviews führte, hatte er bereits die Aussicht, einen Teil des Materials als Reportage in der Wochenzeitung "Jungle World" zu veröffentlichen.

Manchmal habe er sich bei seinen Gesprächspartnern als Journalist vorgestellt. "Für die Leute ist es attraktiver, mit mir zu reden, wenn sie wissen, dass sich ein deutsches Medium für ihren Protest interessiert", erklärt Latz. Den größten Teil des Materials möchte er jedoch für seine Masterarbeit verwenden. 

Die Reportage "Freier atmen ohne Bergwerk" erschien schließlich im April dieses Jahres in der "Jungle World". 

Von den Beamten unter Druck gesetzt

Im Mai, einen Monat später, besuchten ihn zwei Beamte in seinem Wohnheim in St. Petersburg. Sie hätten ihn zwei Stunden lang verhört und ihn zur Zahlung von 4000 Rubel aufgefordert, umgerechnet ungefähr 55 Euro, erzählt Latz. Sie hätten ihm vorgeworfen, ohne Erlaubnis als Journalist gearbeitet zu haben, Interviews vorbereitet und geführt zu haben.

Man habe ihm zwei Protokolle ausgestellt. "Sie haben mich unter Druck gesetzt", sagt Latz. Er habe die Protokolle unterschrieben und damit seine Schuld eingestanden. "Das war wahrscheinlich dumm, aber ich hatte keine andere Möglichkeit." Die Beamten hätten gedroht, sonst andere Gründe zu finden, ihn abzuschieben.

Dass die Behörden durch seinen Artikel auf ihn aufmerksam geworden sind, bezweifelt Latz jedoch: "Ich glaube nicht, dass die russischen Polizisten 'Jungle World' lesen." Eventuell hätten sie ihn durch ein Foto auf Facebook gefunden, dass ihn zusammen mit einem Aktivisten zeigt. Letztendlich werde er es wahrscheinlich nie erfahren.

Einen Tag nach der Befragung im Studentenheim wird er gebeten, sich bei der Migrationsbehörde vorzustellen. Ein Beamter habe ihn vor dem Termin zweimal angerufen und ihn massiv unter Druck gesetzt, so Latz. Eigentlich habe er nicht zu dem Termin gehen wollen. Journalistische Kollegen hätten ihm davon abgeraten. Latz entschloss sich, trotzdem hinzugehen. Er fürchtete die Konsequenzen.  

Umweltthemen zu politisch für russische Behörden

Ein Mitarbeiter befragte ihn zu seinem Artikel in der "Jungle World", diskutierte mit ihm über verschiedene Passagen. "Hier schreibst du über Putins Partei 'Einiges Russland', habe der Beamte gesagt, "Du hast gesagt, du schreibst nicht über Politik." Latz hatte am Vortag ausgesagt, nur über Umweltthemen zu schreiben. Irgendwann habe er gehen wollen. Aber die Beamten hätten ihn unnötig lange in der Behörde festgehalten.

Einige Tage nach dem Termin erhielt Latz eine E-Mail von seiner Uni in St. Petersburg. Er hätte gegen russisches Recht verstoßen und würde somit exmatrikuliert. Versuche, die Uni umzustimmen, seien gescheitert, sagt der Student. Mit seiner Exmatrikulation verfiel auch sein Visum. Er musste das Land innerhalb von sieben Tagen verlassen. Zusätzlich habe er nun ein Einreiseverbot.

Das Osteuropainstitut der FU bezeichnet die Reaktion ihrer Partner-Uni in einer Pressemitteilung als "völlig überzogen und unangemessen". Es sehe darin eine Bedrohung von Forschung und Lehre und hoffe, dass für den Studenten keine weiteren Probleme daraus erwachsen.

Der Student wehrt sich gegen die russische Justiz

Latz sehe in dem Einreiseverbot einen "massiven Eingriff in meine berufliche Zukunft". Zudem habe er viele private Verbindungen nach Russland, die nun zeitweilig gekappt seien. Deshalb sei die Sache für ihn noch nicht abgeschlossen. Er habe bereits Klage gegen die Bußgelder eingelegt.

"Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass die Polizisten ein eindeutiges Ziel verfolgt haben." Laut russischem Recht kann eine Einreisesperre gegen einen Ausländer verhängt werden, wenn dieser wiederholt, das heißt mindestens zweimal, innerhalb von drei Jahren Ordnungswidrigkeiten begangen hat. Daher, so denkt Latz, habe er nicht ein, sondern zwei Bußgelder in Höhe von je 2000 Rubel erhalten.

Sollte er mit seiner Klage Erfolg haben, könnte sich das positiv auf das Einreiseverbot auswirken. Zunächst versuche er jedoch herauszufinden, auf welcher Grundlage das Verbot beruht und für welchen Zeitraum es gilt. Unterstützt werde er dabei von einer russischen Menschenrechtsorganisation. Auch die FU habe ihm zugesichert, Gespräche auf Vizepräsidentenebene mit der Uni St. Petersburg zu führen.  

Jetzt werde er erstmal seine Masterarbeit in Deutschland beenden. Er hoffe, dann bald wieder nach Russland reisen zu dürfen.

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