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Annette Schavan erhält von Rektor Peter Dominiak die Ehrendoktorwürde der Uni Lübeck.

© dpa

Urteilsbegründung zu Schavans Doktorentzug: Die Richter verteidigen die Werte der Wissenschaft

Annette Schavans aberkannter Doktortitel: In der jetzt veröffentlichten schriftlichen Begründung ihres Urteils verteidigen die Richter die Werte der Wissenschaft - und heben stark auf das Gebot der Redlichkeit ab.

Recht wird für sie auch in der nächsten Instanz nicht zu Gerechtigkeit werden, hat Annette Schavan in der vergangenen Woche erklärt: Die Gerichte folgten in Plagiatsverfahren eben nicht den „Grundregeln der Wissenschaftsethik“. Darum wolle sie auch nicht weiter mit rechtlichen Mitteln um ihren Doktorgrad kämpfen, schrieb Schavan. „Zahlreiche Wissenschaftler, die sich mit meiner Dissertation eingehend beschäftigt haben“, sind „zu gänzlich anderen Bewertungen der Vorwürfe kommen“.

Tatsächlich hatten nicht nur Schavans politische Freunde ihre Dissertation „Person und Gewissen“ aus dem Jahr 1980 monatelang heftig verteidigt. Auch mehrere bekanntere Professoren und sogar die Leiter der großen Forschungsorganisationen hatten die Universität Düsseldorf angegriffen oder zumindest schwere Zweifel an ihrem Vorgehen erweckt. Namentlich beruft Schavan sich in der Erklärung auf Wolfgang Marquardt, den Vorsitzenden des Wissenschaftsrats. Er sieht Plagiatsverfahren an den Universitäten offenbar vor einschneidenden Veränderungen, da sie den gelebten Werten der Wissenschaft nicht gut entsprechen: „Die kommenden Verfahren werden anders ablaufen als die vergangenen“, zitiert Schavan ihn aus der „Zeit“.

Die Chancengleichheit verlangt eine eigenständige Leistung

Wenn so einflussreiche Professoren das Prozedere der Düsseldorfer Fakultät für sehr fragwürdig halten - wie rechtfertigt dann das Düsseldorfer Verwaltungsgericht sein Urteil vom 20. März?

Die schriftliche Begründung des Urteils ist nunmehr veröffentlicht (hier das Urteil im Volltext, Aktenzeichen 15 K 2271/13). Die Richter heben darin vor allem auf den altmodisch wirkenden Begriff der „Redlichkeit“ ab: Es sei das „Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit“, aus dem sich die Anforderungen „an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens“ ergeben, erklären sie. Die wissenschaftliche Redlichkeit erfordere, „geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommene Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden“. „Eigenständig und unverfälscht“ müsse eine Prüfungsleistung auch mit Blick auf das Grundgesetz zustande kommen: Das verlange der Grundsatz der Chancengleichheit.

Schavan selbst hatte als Doktorandin die geltenden Regeln anerkannt, indem sie „schriftlich an Eides Statt“ versicherte, „dass ich die vorgelegte Dissertation (…) selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst (…) habe“, wie aus dem Urteil hervorgeht. Über 30 Jahre später weckte ein Plagiatsjäger den Verdacht, Schavan könnte sich daran nicht gehalten haben. Dutzende verdächtig anmutender Textstellen waren für jedermann im Internet einsehbar. Die Materialsammlung wurde Schavans Alma mater, der Universität Düsseldorf, von einem anonymen Absender zugesandt. Der Dekan der zuständigen Fakultät brachte eine Vorprüfung in Gang. Schavan selbst bat die Uni, die Arbeit zu prüfen.

Das Uni-Gutachten wurde durchgestochen - für die Richter nicht relevant

In monatelanger Recherche sammelte nunmehr der Düsseldorfer Judaistik-Professor Stefan Rohrbacher Passagen, deren fremde Herkunft Schavan nicht ordnungsgemäß belegt hatte. Dass Rohrbachers Synopse an den „Spiegel“ durchgestochen wurde, macht das Verfahren nicht ungültig, stellen die Richter fest. Es befand sich überhaupt erst in der Vorphase, denn der Fakultätsrat war mit der Sache noch nicht befasst. Die Durchstecherei verweise aber ohnehin keineswegs darauf, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich geurteilt hätten. Überhaupt gebe es für die von Schavan den 15 Mitgliedern des Rats unterstellte Befangenheit „objektiv keine Anhaltspunkte“.

Das Gericht hat selbst alle Stellen überprüft

Schavan hat vorsätzlich getäuscht, lautet bekanntermaßen das Urteil der Fakultät und auch der Richter. Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, es habe selbst alle 60 von Rohrbacher angeführten Fundstellen einzeln überprüft. Sie seien „in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen“. Auf fünfeinhalb Seiten referiert das Gericht, an welchen Stellen sich die Fundorte befinden und benennt die Werke, aus denen Schavan ohne Quellenangabe abgeschrieben hat.

Zwar erwähne Schavan die meisten Werke, aus denen sie die Textstellen wörtlich oder leicht abgewandelt übernommen hat, im Literaturverzeichnis der Arbeit. Doch das sei „rechtlich unerheblich“: Der Leser müsse an jeder Stelle wissen, „wer zu ihm spricht“.

"Von handwerklichen Fehlern kann keine Rede sein"

Von einem „bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot“ oder „handwerklichen Fehlern“ könne nicht die Rede sein. Das von Schavan vorgebrachte Argument, vor der Verbreitung des Computers habe man fehleranfällig mit „Zettelkästen“ gearbeitet, erkläre nicht die vielen Passagen, in denen „sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw.“

Monatelang hatten Schavan und ihre Unterstützer die offenkundig fehlenden Fußnoten öffentlich damit erklärt, diese Zitierweise sei in den achtziger Jahren üblich gewesen. Über dieses Argument setzen sich die Richter hinweg: Denn sollte es eine solche Zitierpraxis gegeben haben (wovon die Richter überhaupt nicht ausgehen, wie sie erklären), wäre sie ohnehin rechtswidrig gewesen – eben weil das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit dadurch verletzt worden wäre. Sogar abgesehen davon seien längst nicht alle beanstandeten Passagen in Schavans Dissertation mit einer vermeintlich bloß summarischen Zitierweise erklärbar.

Die Richter kritisieren Unterstützer Schavans

Die Richter kritisieren an dieser Stelle den emeritierten Philosophie-Professor, dessen Stellungnahme Schavan zu ihrer Verteidigung neben zwei weiteren externen Beurteilungen an die Uni Düsseldorf geleitet hatte. Er rede selbst „etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit“ das Wort, indem er „Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben“. Der betreffende Professor wird in dem Urteil nicht namentlich genannt. Seine Argumentation entspricht aber der, mit der der Bonner Philosoph und frühere Leiter des Cusanus-Werks Ludger Honnefelder Schavan in der „Zeit“ verteidigt hatte.

Schavan hat darauf verwiesen, sie habe im zweiten Teil ihrer Arbeit, in dem besonders viele Stellen beanstandet worden waren, ohnehin „keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert“, schreiben die Richter. Doch auch in diesem Fall ist es rechtswidrig, die Quellen nicht offenzulegen: „Denn auch die Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden.“

Es wird auf die Wissenschaftsethik gepocht

Darüber hinaus sei der zweite Teil der Arbeit vom Umfang her und auch inhaltlich für die Dissertation durchaus bedeutend, erklären die Richter und verweisen dabei auch auf das damalige Gutachten von Schavans Doktorvater: Der zweite Teil leiste „eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien“, die Verfasserin stelle dabei „durchweg die Fähigkeit (…) unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen“, heißt es dort.

Das Gericht pocht immer wieder auf die von Schavan im Urteil vermisste „Wissenschaftsethik“: Die Bedeutung von wissenschaftlicher Redlichkeit ergebe sich daraus, dass nur so die Funktionsfähigkeit der Wissenschaft gesichert werden könne. Diese sei aber ein „überragend wichtiges und verfassungsrechtlich (…) verankertes Gemeinschaftsgut“. Die Fakultät sei darum zu Recht davon ausgegangen, dass „Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind“, erklären die Richter. Auch müssten „diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben" hätten, „vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden“. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft dürfe nicht beschädigt werden, die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander, „ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist“, müsse erhalten werden.

Auch nach über 30 Jahren könne eine Fakultät darum einen Doktorgrad entziehen. Dass Schavan direkt promoviert hat, also nun keinen Studienabschluss mehr hat, ist für das Gericht kein Grund, sie zu schonen. Wer direkt promoviere, schaffe sich zeitlich einen erheblichen Vorteil gegenüber anderen Absolventen. Ein so Promovierter müsse dann in Kauf nehmen, „dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt“. Schavan könne „auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin (…) arbeiten“.

Schavan hat die Regeln gekannt, weil sie an vielen Stellen korrekt zitierte

Das Argument, Schavans Doktorväter hätten bei der Betreuung geschlampt, seien also mit Schuld, halten die Richter für irrelevant: „Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein ,Mitverschulden’ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.“ Schavan habe die Regeln gekannt, wie sie durch die zahlreichen Stellen beweise, wo sie korrekt zitiere.

Nach Meinung des Gerichts hat die Fakultät also das für die Wissenschaft unerlässliche Gebot der Redlichkeit verteidigt, indem sie der damaligen Bundesbildungsministerin den Doktorgrad wegen vorsätzlichen Täuschungen in erheblichem Umfang aberkannte. Dass die Uni dabei unsachgemäße Wege eingeschlagen hat, können die Richter nicht feststellen. Umso interessierter wird die scientific community das von Marquardt angekündigte Positionspapier des Wissenschaftsrats erwarten, das die Plagiatsverfahren der Fakultäten umkrempeln und mit Wissenschaftsethik füllen soll.

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