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Mond

© ddp

Ursprungsforschung: Junge Erde stand unter Beschuss

Nicht selten wird der Mensch als die schlimmste Katastrophe bezeichnet, die dem Planeten Erde jemals widerfuhr. Verglichen mit dem, was der Himmelskörper in seiner Kindheit durchmachen musste, ist Homo sapiens – zumindest bislang – jedoch kaum mehr als eine juckende Pustel.

Bereits kurz nachdem sich die Erde vor 4,6 Milliarden Jahren zu einem Planeten zusammengeballt hatte, wurde sie von einem etwa marsgroßen Objekt getroffen. Ein beträchtlicher Teil der Erdsubstanz wurde infolge der Kollision herausgerissen und bildete den Mond. Auch später stieß der Planet immer wieder mit unterschiedlich großen Asteroiden zusammen, vor allem in der „Late Heavy Bombardement“-Phase vor rund 3,9 Milliarden Jahren. Die Aufprallenergie der Geschosse war so groß, dass sich der Planet auf weit über 100 Grad Celsius erhitzte und jegliches Leben unmöglich machte.

So steht es zumindest in den Lehrbüchern. Eine Computersimulation von Oleg Abramov und Stephen Mojzsis kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis. Wie die beiden US-Forscher im Fachmagazin „Nature“ (Band 459, Seite 419) berichten, könnten Mikroben – sofern es bereits welche gab – das heftige Bombardement durchaus überstanden haben. Die Folgen eines Einschlags hätten jeweils nur begrenzte Gebiete betroffen und es sei ausgeschlossen, dass die gesamte Erdoberfläche zeitgleich lebensfeindliche Temperaturen annahm, schreiben die Wissenschaftler von der Universität von Colorado in Boulder. Im schlimmsten Falle wäre gerade ein Drittel der Oberfläche sterilisiert worden. Darüber hinaus hätten gerade Einzeller, die in Gesteinsschichten unter der Erdoberfläche lebten, deutlich bessere Überlebenschancen.

Die beiden Forscher stützen ihre Aussagen auf ein Computermodell, mit dem sie die Folgen des kosmischen Bombardements berechneten. Um das Ausmaß des Beschusses einigermaßen genau schätzen zu können, nutzten sie Daten zur Größe und Verteilung von Einschlagkratern auf dem Mond und anderen Gesteinsplaneten unseres Sonnensystems. Denn auf der Erde sind infolge der Plattentektonik, bei der ganze Kontinente nach Jahrmillionen wieder in die Tiefe abtauchen, sämtliche Strukturen aus der Zeit vor rund vier Milliarden Jahren längst verschwunden.

Eine unvorstellbare Menge von rund 200 Billiarden Tonnen Material prasselte zu jener Zeit auf die Erde, schätzen Abramov und Mojzsis. Erstaunlicherweise hatten gerade die großen Brocken mit mehr als 100 Kilometer Durchmesser keinen größeren Einfluss auf eine eventuell vorhandene Biosphäre gehabt als kleine Fragmente. „Die großen Trümmer brachten bei ihren Einschlägen, die riesige Krater hinterließen, einen großen Teil der Energie in die tiefen Schichten der Erdkruste und bis in den darunter liegenden Erdmantel“, schreiben die Wissenschaftler. „Objekte zwischen ein und zehn Kilometer Größe hingegen erhitzten vor allem die Gesteine in den potenziell belebten Schichten bis vier Kilometer Tiefe.“

Dass auch unter der Erdoberfläche Leben möglich ist, galt lange Zeit als unmöglich. Doch immer häufiger finden Geoforscher in kilometertiefen Bergwerksstollen und Bohrungen primitive Einzeller, die ohne Photosynthese überleben. Stattdessen gewinnen die Mikroben ihre Energie beispielsweise aus Wasserstoff und Kohlenstoff.

Ob es auch in der Frühphase unseres Planeten eine weltumspannende Biosphäre gab, ist freilich nicht bewiesen. Die frühesten Hinweise auf biologische Aktivität sind nach bisherigem Kenntnisstand 3,8 Milliarden Jahren alt.

„Aber es spricht nichts mehr dagegen, dass es auch schon zuvor Lebewesen gegeben hat und sie das schwere Bombardement überlebten“, schreibt die Nasa-Evolutionsbiologin Lynn Rothschild in einem begleitenden Kommentar. Eine Verbreitung der Mikroorganismen über den Planeten ist aus ihrer Sicht kein Problem. Wind könne einen bis zwei Millimeter großen Einzeller über weite Distanzen verfrachten und so Keimzellen neuer Kolonien schaffen. Auch die Wanderung in die Tiefe ist in geologischen Zeiträumen recht schnell möglich: Mit Wasser, das durch poröses Gestein strömt, könnten Mikroben binnen 1000 Jahren eine Tiefe von zehn Kilometern erreichen, berichtet Rothschild. Die schnelle Ausbreitung sowohl über der Erde wie in tiefen Schichten hätte es ermöglicht, jene Lücken der frühen Lebewelt, die kosmische Brocken rissen, bald wieder zu schließen.

Abramovs und Mojzsis’ Berechnungen zufolge dauerte es nämlich „nur“ 100 000 Jahre, bis ein 20-Kilometer-Krater so weit abgekühlt war, dass er wieder besiedelt werden konnte. In den Zeitdimensionen jener Entwicklungsphase unseres Planeten sind die Unterbrechungen also vergleichsweise kurz.

Die neue Temperatursimulation der beiden Forscher hat für die Evolutionsmodelle der frühen Erde vor allem einen Vorteil: Es macht sie einfacher. Bislang musste man annehmen, dass das Leben in jenen 100 Millionen Jahren entstand, die zwischen dem Ende des heftigen Bombardements und den nachgewiesenen biochemischen Spuren mit einem Alter von 3,8 Milliarden Jahren liegen. Hätte es zuvor bereits Organismen gegeben, wären sie infolge der kosmischen Einschläge immer wieder ausgelöscht worden und hätten mehrfach „erfunden“ werden müssen. „Jetzt erscheint es gut möglich, dass es einen vorzeitigen Ursprung des Lebens, hunderte Millionen Jahre früher gab, dass es genügend Zeit hatte, sich zu entwickeln, und dass der Planet kontinuierlich besiedelt war“, schreibt Rothschild. Vor allem aber spricht nichts gegen die naheliegende Annahme: Das Leben ist nur einmal entstanden. Wiederkehrende „Erfindungen“ oder gar ein Import von Organismen aus dem Weltall in exakt jenem 100-Millionen-Jahre-Fenster nach dem Beschuss sind damit überflüssig.

Das Bild der Erde vor rund vier Milliarden Jahren ist nach wie vor ein Puzzle, bei dem viele Teile fehlen. Die mutmaßlichen Temperaturen auf dem jungen Planeten sind ein weiteres wichtiges Fragment. Dazu gehören beispielsweise auch die Funde von Zirkonmineralen, die in dieser Epoche entstanden und bis heute erhalten geblieben sind – die ältesten Kristalle überhaupt. Sie lassen vermuten, dass es bereits damals eine simple Erdkruste und flüssiges Wasser gab.

So wird das Bild der frühen Erde immer deutlicher. Ein Paradies war es keinesfalls. Aber eben auch keine Hitzehölle, die alles verbrannte.

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