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Wissen: „Untragbar, den Namen zu ändern“

100. Jubiläum des Berliner Fritz-Haber-Instituts: Fritz Stern über die Rolle des Gründungsdirektors im Ersten Weltkrieg

Herr Stern, in Ihrem Festvortrag zum 100. Gründungsjubiläum des Fritz-Haber-Instituts haben Sie seinen Namensgeber als „deutschen Patrioten und Internationalisten in der Wissenschaft beschrieben“. Sehen Sie da einen Gegensatz?

Nein. Das trifft auf englische und französische Wissenschaftler Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ebenso zu, die meisten waren Patrioten. Man hatte ein starkes Gefühl für sein Land. Wilhelminischer Hurrapatriotismus war aber nicht Fritz Habers Sache. Aus seinem Patriotismus wurde erst 1914 ein Nationalismus, der ja generell ein aggressives Element hat. Und selbstverständlich war die Wissenschaft für ihn immer ein internationales Unternehmen.

Ihre Familie stammt wie die Fritz Habers aus Breslau, Haber wurde ihr Patenonkel, ihm verdanken Sie Ihren Vornamen. Was war er für ein Mensch?

„Onkel Fritz“ war ein enger Freund der Familie. Ich habe jetzt den Briefwechsel meiner Eltern mit ihm aus dem Archiv der Columbia-Universität noch einmal gelesen. Haber war so vielseitig, auch in seinen Gefühlen, und so offen, er hat wunderbar geschrieben. Er hat meinem Vater in seiner Karriere als Mediziner Ratschläge gegeben und unterstützte meine Mutter sehr. Sie war promovierte Physikerin, hat aber im Ersten Weltkrieg einen Kindergarten eröffnet, der eine Abwandlung von Montessori war. Haber ermutigte sie Bücher darüber zu schreiben, sie widmete ihm beide.

Sie selber waren acht Jahre alt, als Fritz Haber 1934 starb.

Meine Eltern und ich lebten damals schon in Paris bei Habers Sohn und sie reisten gemeinsam nach Basel, um mit Onkel Fritz zu besprechen, wie es mit uns allen weitergehen sollte. Es war ein Schock, als plötzlich die Nachricht von seinem Tod eintraf. Bei der Einreise in die USA 1938 war ich 12 Jahre alt, der Name Fritz hatte damals nicht gerade den besten Klang. Ich hätte meinen zweiten Namen Richard führen können, habe mich aber bewusst für Fritz entschieden. Wenn man das Glück hat, nach Fritz Haber benannt zu sein, muss man auch dabei bleiben.

Sie beklagen, dass Haber zuweilen auf seinen „Chauvinismus“ reduziert wird, wollen ihn in seiner Vielschichtigkeit gewürdigt wissen. Wie aber ist Habers unbedingter Wille zu erklären, seinem Vaterland zu dienen – und sei es auch mit der Bereitstellung einer potenziellen Massenvernichtungswaffe, des Giftgases?

Mit Patriotismus und mit seinen Ambitionen. Er wusste, in diesem Krieg würde die Wissenschaft eine entscheidende Rolle spielen und wollte das an führender Stelle mitmachen. Bis 1915 entwickelte sich der entsetzliche Stellungskrieg, Hunderttausende kamen um. Haber glaubte, das Gas werde den Stellungskrieg überwinden, die Soldaten würden fliehen – und die meisten nicht am Gas sterben.

Und doch starben viele tausend Menschen daran. Darf ein Max-Planck-Institut den Namen eines Chemikers tragen, der das Giftgas erfunden und entwickelt hat?

Selbstverständlich sollte das Institut den Namen behalten, mit all seiner Problematik. Die ganze Frage der ethischen Verantwortung des Wissenschaftlers ist an Habers Beispiel dramatisch erkennbar. Das müssen wir auch den Studenten vermitteln. Mit der Erklärung, dass Haber auf der einen Seite ein großer Wissenschaftler war und auf der anderen Seite ein Mann, der im Kriege und in gewissem Grade auch nach dem Kriege die Wissenschaft als Kriegsmittel benutzt hat. Mitentscheidend ist, wie man 1933 mit Haber umgegangen ist.

Dass er wegen seiner jüdischen Herkunft vertrieben wurde, entlastet ihn?

Das Fritz-Haber-Institut ist eines der wenigen Institute in Deutschland, das den Namen eines vertriebenen Juden trägt. Wenn er vollblütiger „Arier“ gewesen wäre und in allem anderen so gehandelt hätte wie Haber, könnte man fragen, ob der Institutsname wirklich notwendig ist. Aber wenn man einbezieht, wie er sich vor dem Krieg und in der Weimarer Republik für die Wissenschaft eingesetzt hat, und wenn man an sein Ende denkt, dann kommt mir die kritische Ehrung seines Namens tragbar vor. Untragbar wäre es hingegen, den Namen zu ändern.

Haber erhielt 1920 den Nobelpreis für Chemie für das Jahr 1918 – für die Ammoniak-Synthese, mit der erstmals Kunstdünger hergestellt werden konnte. Das rettete Millionen Menschenleben. Trotzdem gab es im Ausland Proteste wegen des Giftgases. Wie hat sich Haber mit seiner Rolle im Krieg auseinandergesetzt?

Ich glaube, er hat über die Zeit geschwiegen. Allerdings erlebte er eine Art Bekehrung nach 1918. Sein Urteil über das Kaiserreich und dessen Politik und dessen soziale Struktur war nach dem Krieg sehr viel kritischer als davor.

Anfang der 20er Jahre machte sich Haber gemeinsam mit Albert Einstein um die Rehabilitation der deutschen Wissenschaft verdient. War das tätige Reue?

Nein. Aber als er die Uniform auszog, wurde er wieder das, was er war, ein Impresario der Wissenschaft. Und er klammerte sich an Einstein, er wollte unbedingt, dass er in Deutschland bliebe. Die beiden waren dann recht eng befreundet. Einstein hatte zwar etwas gegen Leute, die sich wie Haber in der Kaiserzeit so sehr angepasst haben, aber er hat die Konsequenz, mit der Haber zum Militaristen wurde, nachvollziehen können. 1933/34 allerdings warf Einstein Haber ganz hart vor, zu lange an das „blonde Biest“ geglaubt zu haben. Das war noch mal ein Urteil über Habers Patriotismus.

Deutsche Universitäten und Wissenschaftsorganisationen haben erst spät begonnen, ihre Geschichte im Nationalsozialismus rückhaltlos aufzuarbeiten.

Man hätte zweifellos schon vor 30 oder 40 Jahren mit der Aufarbeitung beginnen können. Die deutsche Wissenschaft und vor allem die Universitäten hatten sich seit 1933 ja miserabel benommen, kaum jemand stellte sich vor die jüdischen Kollegen oder auch die „arischen“, die durch Anstand politisch belastet waren. Und braun, wie die meisten Universitäten nach 1945 immer noch waren, haben sich nur die allerwenigsten darum bemüht, die Emigranten zurückzuholen. Die Juden wurden noch lange als etwas Fremdes angesehen. Es gab Kontakte aus der Emigration zu integren Kollegen von früher. Aber in Deutschland jemandem zu begegnen, von dem man nicht gewusst hätte, wie er sich in der NS-Zeit verhalten hat, das war für die meisten unmöglich. Und dann gab es auch noch die Unterstellung, Ihr Emigranten habt es doch eigentlich leichter gehabt als wir.

Wie beurteilen Sie den heutigen Umgang mit der NS-Vergangenheit?

Das Unwissen greift bei uns allen um sich. Doch gerade die junge Generation kann aus den Jahren 1933 bis 1945 so viel lernen, aus dem Spektrum menschlichen Verhaltens von der völligen Selbstaufgabe an ein Regime von Verbrechern, über Mitläufer bis hin zu jenen, die keine Kompromisse gemacht haben. Zudem sind die USA und Europa jetzt in einer sehr kritischen Situation. Da kann es nichts schaden, wenn man sich an Weimar erinnert. Auf der anderen Seite ist Vorsicht geboten: Die Instrumentalisierung des Holocaust finde ich bedauernswert, denn sie kann in Amerika diejenigen stärken, die die militante Politik der Unvernunft in Israel fördern.

Das Gespräch führte Amory Burchard. Zur Geschichte des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft ist soeben ein Buch erschienen. Thomas Steinhauser, Jeremiah James, Dieter Hoffmann, Bretislav Friedrich: Hundert Jahre an der Schnittstelle von Chemie und Physik. De Gruyter, Berlin 2011. 325 Seiten, 59,95 Euro.

FRITZ STERN (85)

ist Historiker. Er wurde in Breslau geboren, emigrierte 1938 in die USA. Stern lehrte an der Columbia University. Seine Hauptwerke sind der deutschen Geschichte gewidmet.

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