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Die Humboldt-Universität.

© Imago / Schöning

Uni in Zeiten der Pandemie: Präsenz als Aufbruch

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität setzt auf Präsenzbetrieb - als Votum für Diskurs. Ein Gastbeitrag.

Stefan Grundmann ist Dekan der Juristischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin.

500 Studierende und ein volles Auditorium Maximum – das gab es in Mitte seit zwei Jahren nicht mehr und ebenso wenig darüber hinaus, in fast ganz Europa. Als die Türen schlossen im März 2020, war noch nicht abzusehen, dass die Universitäten einer der Orte werden würden, die am längsten und umfassendsten geschlossen sein sollten und für so lange Zeit.

Zwei Jahre bedeutet in Juristischen Fakultäten die halbe Regelstudienzeit, in anderen Fächern noch mehr. Studentinnen und Studenten scheinen als so gefestigte Menschen gesehen worden zu sein, aber auch so wenig auf Zusammenarbeit angewiesen und so wenig zentral für wirtschaftliche und gesellschaftliche Abläufe, dass ihnen diese Lockdowns problemlos zugemutet werden konnten.

Über die Jugend wurde in der Pandemie wenig diskutiert

Letztlich wurde viel zu wenig über diese Gruppe – die Jugend, die in zehn Jahren Zukunft gestalten soll – diskutiert. Politik, Gesellschaft und auch Universitäten selbst ergriffen allzu selten ihre Partei. Die Zukunftsgeneration blieb eine Marginalie im Ringen um Corona-Öffnungen. Umgekehrt für viele die schönste, freieste, kreativste Zeit des Lebens, die Blüte der Jugend – eine Generation erlebte sie im Lockdown.

Was ging verloren? Natürlich die Studentenparties und –feten, viel beschrieben, mit den spektakulären Lockdown-Durchbrüchen. Freilich in gleichem Maße die intensiven Bibliotheksstunden, die Diskussionen in den Korridoren, die vielen erst die Augen öffnen. Gespräche mit Professorinnen und Professoren, Seminare am Abend, Lektürezirkel zuhause, über einen politischen Roman, ein gefeiertes Sachbuch.

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Für das Recht ist die Sicht nochmals besonders. Verloren gingen nämlich auch die beiden Foren, die der Rechtsstaat sich über ein Jahrtausend erkämpfen musste – deren Spiegelung in den Vorlesungssälen: Wir sind stolz, dass unsere Parlamente (Gesetzgeber) nicht mehr hinter verschlossenen Türen tagen („Kabinettspolitik“).

Und wir halten es für zentral, dass Gerichte vor den Augen der Öffentlichkeit judizieren. Kerningredienzen demokratisch-rechtsstaatlichen Lebens. Dafür muss ausgebildet werden, das muss im Einüben rechtsstaatlicher Diskurse im Universitätsalltag immer wieder gespiegelt werden. Demokratisch-rechtsstaatliches Leben ist undenkbar ohne öffentlichen Diskurs.

Der Autor: Stefan Grundmann, Dekan der Juristischen Fakultät der HU.
Der Autor: Stefan Grundmann, Dekan der Juristischen Fakultät der HU.

© privat

Für eine pluralistische Gesellschaft, die wir sind und sein wollen, als welche (EU-)Europa sich im Art. 2 EU-Vertrag auch definiert, ist eines unverzichtbar: das Forum, die Umgangsformen, mit denen diese Pluralität verhandelt und geordnet wird. Und das ist der öffentliche Diskurs. Dies zu verlieren, erschiene schon zu viel. Doch es ging noch mehr verloren. Dies war – nicht zuletzt und ganz persönlich – die Leichtigkeit, viel von der Freude, der Leidenschaft für die Sache.

Alles ist längst nicht zurückgewonnen, aber vieles. Die Juristische Fakultät der HU wollte nicht mehr zuschauen – befeuert auch durch den Elan protestierender Studentinnen und Studenten in Mitte und andernorts, anschwellend über den Frühsommer. Denn sie hatten Recht. Sie forderten Gleichbehandlung, Teilhabe am Leben und Lernen in Präsenz.

Die Universität erstmals erleben

Im Oktober füllten sich wieder die Auditorien, für alle Altersklassen im Jurastudium: für die ganz Neuen, die zwar mit Masken, sonst aber wie eh und je, ein Studium mit Professorinnen und Professoren beginnen durften, denen sie Fragen stellen, denen sie widersprechen durften, denen sie – wie auch untereinander – auch wieder antworten mussten. Zwar hinter Masken, aber Personen und nicht mehr schwarze Kacheln.

Und ebenso für die älteren Jahrgänge, die Universität erstmals wirklich erleben durften. Im Austausch, im Diskurs. Zwar verblieben pandemische Entwicklungen. Doch in einer freiheitlichen Gesellschaft erschien es nicht mehr verhältnismäßig, das hohe Gut der Öffentlichkeit zurücktreten zu lassen gegenüber einer Gefahr, die aufgrund Impfmöglichkeiten seit Frühjahr 2022 als weitestgehend „selbstgewählt“ erschien.

Der Juristischen Fakultät war es die Anstrengung wert, doppelt zu planen, digital und in Präsenz – immer unter dem Damoklesschwert, nochmals alles umwerfen zu müssen. Die ganze Fakultät hat zusammengestanden. Der Juristischen Fakultät war es das wert, zur Absicherung systematisch Kontrollen durchzuführen, morgens hierfür die Lehrstühle aktivieren, die Gefahr durch konsequente 3G-Strategie zu minimieren. Meist wurden Impfquoten von 95 bis 100 Prozent festgestellt.

Mit Streaming gegen Ausgrenzung

Es war es der Fakultät auch wert, mit Streaming-Equipment alles zu tun, dass diese Öffnung nicht Ausgrenzung brachte. Denn eines sollte das Votum für Präsenz nicht sein. Es war ein Votum für Diskurs, aber kein Votum für Diskurs nur mit einem Teil. Ob der Lernerfolg zuhause der gleiche sein wird, wissen wir nicht.

Jedenfalls jedoch sollte das Votum für Präsenz gerade nicht eine Tendenz bestärken: diejenige, dass die Fähigkeit zum respektvollen Diskurs miteinander in unserer Gesellschaft stark gelitten hat. Es werden wieder Politiker, die nach bestem Wissen und Gewissen handeln, als Schwerverbrecher diffamiert. Gegensätzliche Meinungen werden gesellschaftlich kaum noch ausgehalten Das Votum für Präsenz war eines für Diskurs und Verständnis.

Denn das Wichtigste, was anders wird, ist der Diskurs, der soziale Umgang, die Nähe. In diesem Sinne waren all die – erfolgreichen – Bemühungen um Präsenz intendiert. Die Fakultät hatte auch Glück, musste keine massenhaften Impfdurchbrüche erleben. Dafür ist sie, vor allem auch ihren Studierenden, herzlich dankbar. Präsenz als Aufbruch.

Stefan Gr, mann

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