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Simulationsmedizin bedeutet an der Charité, dass Studierende an Puppen üben. Beim Studium an der EDU-Hochschule wird die gesamte Theorie in Online-Seminaren gelernt.

© Britta Pedersen/pa/dpa

Umstrittenes Digitalstudium: Online Arzt werden

An der privaten EDU-Hochschule mit Sitz auf Malta wird digital Medizin studiert – mit Praxisphasen in den Helios-Kliniken. An dem Modell gibt es auch Kritik.

Medizin studieren – das ist für viele ein Traum. Doch in Deutschland sind die Bewerbungskriterien an den staatlichen Unis hart.

Seit Jahren zieht es deutsche Abiturientinnen und Abiturienten deshalb zum Medizinstudium ins Ausland: Private Hochschulen in Polen, Ungarn und Rumänien bieten gegen hohe Gebühren Medizinstudiengänge an, die speziell auf deutsche Studierende zugeschnitten sind, die später wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen. Inzwischen gibt es eine zusätzliche Alternative für die, die in Deutschland keinen Studienplatz finden: Die private Hochschule EDU mit Sitz auf Malta bietet den ersten digitalen Medizinstudiengang an.

Das Besondere daran: Die Studierenden besuchen alle theoretischen Lehrveranstaltungen wie Vorlesungen und Seminare online. Sie müssen für die Lehrveranstaltungen also nicht in Malta oder überhaupt am selben Ort wie ihre Kommilitoninnen sein. Den Praxisteil ihres Studiums absolvieren sie an Lehrkrankenhäusern in Deutschland, darunter die Helios-Kliniken, auch in Berlin.

„So eine Hochschule wie unsere hat es noch nicht gegeben“, sagt Jürgen Laartz. Er ist einer der Gründer der Digital Education Holdings, dem Unternehmen, das hinter EDU steht. Seit Jahren beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten digitalen Lernens. Gemeinsam mit Andreas Hoeft, dem Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Uniklinikums Bonn, entwickelte Laartz das digitale Medizinstudium.

Gut 40 Studierende sind bei der EDU-Hochschule eingeschrieben

An der von beiden gegründeten Hochschule sind inzwischen ein dreijähriger Bachelor und ein zweijähriger Master of Medicine auf Malta staatlich akkreditiert, die zusammen zur Approbation führen. „Malta hat als erstes Mitglied der Europäischen Union eine EU-Direktive in nationales Recht umgesetzt, die rein digitale Institutionen für Höhere Bildung möglich macht“, sagt Laartz. „Deshalb haben wir unseren Standort dort.“

Im November 2018 nahmen die ersten acht Bachelor-Studierenden ihr Studium auf. Inzwischen sind gut 40 Studierende in den Medizinstudiengang eingeschrieben, 2020 sollen bis zu 200 Studierende aufgenommen werden. Günstig ist das Studium nicht: Knapp 20.000 Euro müssen die Studierenden im Jahr zahlen. „Wir suchen mit unseren Studierenden gemeinsam nach Finanzierungsmöglichkeiten“, sagt Laartz. Dafür würden Studienkredite angeboten, ebenso einige Stipendien.

Bei der Bewerbung spielt die Abiturnote keine Rolle

Bei der Zulassung spielt die Abiturnote keine Rolle. Die Bewerberinnen und Bewerber müssen sich stattdessen in einem Online-Test und einem Auswahlgespräch per Videokonferenz beweisen. Außerdem werden ihre Englischkenntnisse geprüft. Denn die meisten Kurse finden auf Englisch statt. Auch medizinische Vorerfahrungen können bei der Auswahl hilfreich sein, zum Beispiel als Pflegekraft oder Sanitäterin. Aktuell können sich Interessierte für den Studienbeginn Mitte Februar 2020 bewerben.

Tatsächlich bringen viele EDU-Studierende medizinische Praxiserfahrungen mit. So wie Daniel. In Deutschland wartete er vergeblich auf einen Medizinstudienplatz, machte in der Zwischenzeit die Ausbildung zum Sanitäter. Mit dem Studium möchte er seinen Traum vom Arztberuf verwirklichen. „An dem Studiengang hat mich von Anfang an begeistert, wie eng die Theorie mit der Praxis verbunden ist“, sagt Daniel.

8 Wochen digitale Kurse, 4 Wochen Praxis im Lehrkrankenhaus

Das Studienjahr ist in Trimester aufgeteilt, in jedem Trimester besuchen die Studierenden acht Wochen die digitalen Kurse. Daran schließen sich inhaltlich verknüpft vier Wochen Praxis in deutschen Lehrkrankenhäusern an. „Durch den direkten Praxisbezug fällt es einem viel leichter, auch die eher trockenen Sachen zu lernen wie Biochemie“, meint Daniel.

Die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis hat auch den Helios-Konzern überzeugt. „Studierende so früh im Studium und immer mehrere Wochen am Stück bei uns auf Station zu haben, ist für uns sehr reizvoll“, sagt Zineb Nouns. Sie leitet den Bereich Personalentwicklung und Talentmanagement der deutschen Helios-Kliniken.

Studierende könnten so auch frühzeitig mit dem Krankenhausalltag außerhalb des universitären Betriebs bekannt gemacht werden. Nouns hofft, auch potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen zu können.

Doch ob Absolventinnen und Absolventen mit dem Medizin-Abschluss von EDU tatsächlich die Approbation in Deutschland erhalten werden, ist nicht sicher. Bei solchen Anerkennungen handelt es sich immer um Einzelfallentscheidungen.

Ärztekammer und Fakultätentag betrachten den Studiengang mit "Skepsis"

Vor dieser Unsicherheit warnten die Bundesärztekammer und der Medizinische Fakultätentag in einer Erklärung zum Studienstart vor gut einem Jahr. Mit „Skepsis“ betrachte man den Studiengang: Man könne „studierwilligen jungen Menschen nur dringend empfehlen, dieses Studienangebot sorgfältig auf seine Tragfähigkeit und vor allem auf die Ermöglichung des angestrebten Studienziels ,Ärztin’/,Arzt’ zu prüfen“.

Laartz ist hingegen überzeugt, dass sich sein Konzept durchsetzen wird. „Das Studium der Humanmedizin auf Bachelor- und Masterbasis ist international längst Standard. Der EU-Mitgliedsstaat Malta hat unsere Studiengänge lizenziert.“ Er sei daher „sehr zuversichtlich“, dass die Gleichwertigkeit des Studiums im Rahmen der Regeln der Europäischen Union zur Berufsanerkennung bescheinigt werde. Auch im Referentenentwurf zur neuen Approbationsordnung finde sich das Studienmodell wieder.

Bundesärztekammer und Fakultätentag kritisierten auch den Aufbau und Inhalt des Medizin-Studiengangs: „Bislang bleibt offen, wie neben der ausreichenden Vermittlung des erforderlichen akademischen Wissens auch die Kompetenzen in der ärztlichen Kommunikation, der interprofessionellen Zusammenarbeit im Team, der wissenschaftlichen Praxis sowie auch der ambulanten Versorgung sichergestellt werden sollen.“

Dem widerspricht Laartz. „Wir haben uns bei unserem Curriculum unter anderem stark an dem deutschen, dem niederländischen, dem schweizerischen und dem englischen Lernzielkatalog orientiert.“ Man arbeite bei der Qualitätssicherung mit den Unis Bern und Maastricht zusammen, die Qualität sei dementsprechend hoch. Das sei durch das Akkreditierungsverfahren bestätigt worden.

Online lernen - aber Anwesenheitspflicht gibt es bei den virtuellen Seminaren dennoch.
Online lernen - aber Anwesenheitspflicht gibt es bei den virtuellen Seminaren dennoch.

© imago images/Westend61

Bei der Vermittlung der Lernziele legt EDU besonderen Wert auf problemorientiertes und kollaboratives Lernen, sagt Laartz. Das werde durch die persönliche Atmosphäre und kleine Gruppengröße möglich. In den Online-Veranstaltungen gilt Anwesenheitspflicht, die Teilnehmerzahl ist beschränkt. An den Seminaren nehmen sechs Studierende teil, an Vorlesungen etwa 20. Die Studierenden müssen etwa jede Woche eigenständig im virtuellen Klassenzimmer Patientenfälle bearbeiten und später im Seminar präsentieren.

Kommilitonen nur per Videochat sehen? Am Anfang ungewohnt

Daniel ist mit seinem Studium zufrieden. Seine Kommilitonen und Dozenten nur per Videochat zu sehen, sei am Anfang etwas ungewohnt, aber das ändere sich schnell. Gemeinsame Freizeit mit seinen Kommilitonen zu verbringen, vermisst er nicht. Das Wichtigste sei für ihn das Studium, das gelte für die anderen Studierenden auch. „Man merkt, dass alle hundertprozentig bei der Sache sind.“

Das habe sich auch bei seinem ersten Praktikum im Helios-Klinikum Erfurt gezeigt. „Als wir unser Anästhesie-Praktikum gemacht haben, waren gleichzeitig auch Studierende aus deutschen Medizinstudiengängen da“, erzählt er. „Und meine Kommilitonen und ich haben gemerkt, dass wir ihnen in nichts nachstehen.“ Das bestätigt Zineb Nouns: „Wir sind sehr zufrieden mit den EDU-Studierenden.“ Zudem schätze Helios, dass die Ärztinnen und Ärzte nach dem Praktikum der EDU-Studierenden Feedback geben könnten, das von der Hochschule direkt für die nächste Studien-Kohorte berücksichtigt werde.

Künftig sollen die Praxisphasen nicht auf Deutschland beschränkt sein, das Studium weltweit verfügbar werden. Laartz und seine Mitarbeiter planen, Lehrkrankenhäuser in anderen Ländern in den Studiengang aufzunehmen. Erst einmal in Europa – möglichst bald aber auch in Afrika.

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