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Sars-CoV-2 unterwirft befallene Zellen seiner eigenen Vermehrung. Die meisten sterben durch die Produktion neuer Viren ab.

© NIAID

Umstrittene Grundlagenforschung: „Jede Art von RNA in der Zelle hat das Potenzial, bis ins Erbgut zu kommen“

Der renommierte Molekularbiologe Rudolf Jaenisch über seine Forschungsergebnisse, die bisherigem Wissen über das Coronavirus direkt widersprechen.

Bei einigen Covid-19-Genesenen sind noch Wochen nach Abklingen der Infektion Erbgutreste von Sars-CoV-2 nachweisbar. Die Idee, dass das daran liegen könnte, dass Coronaviren in die menschliche DNA einwandern, ist ziemlich unorthodox. Wie kamen Sie darauf, das zu untersuchen?
Ich saß mit meinem alten Freund und Kollegen Rick Young auf einer winzigen Insel in Maine bei einem Glas Wein und wir ließen die Gedanken entspannt umherfliegen. Wir hatten von genesenen Covid-Patienten gehört, bei denen auch noch Wochen nach der Erkrankung Spuren von Sars-CoV-2-Erbgut entdeckt wurden, und überlegten, woran das liegen könnte. Weil wir uns beide früher mit Retroviren beschäftigt hatten, die sich ganz regulär in Erbgut ihrer Wirte einbauen, kamen wir schließlich auf diese Idee: Was, wenn Sars-CoV-2 das auch schafft?

Aber Sars-CoV-2 ist kein Retrovirus, ihm fehlen die Werkzeuge, um das Viruserbgut, RNA, in DNA umzuschreiben und dann in die menschliche DNA einzufügen. Wie sollen die Coronaviren das ohne diese Spezialausstattung machen?
Mit Elementen im menschlichen Erbgut, die dort von früheren Retrovirusinfektionen übrig geblieben sind – etwa das Retrotransposon LINE1, ein Stück Erbgut, dass sich selbst vervielfältigen kann. Es enthält den Bauplan für ein Protein namens Reverse Transkriptase, das RNA in DNA umschreiben kann. Das macht das Enzym mit dem LINE1-Bauplan und mit menschlichen RNA-Schnipseln, die gerade in der Nähe sind – oder eben auch mit Virus-RNA-Stücken, wenn das Ganze in infizierten Zellen passiert. Sie werden an die LINE1-Sequenz angehängt, mit der Folge, dass sie ins menschliche Erbgut eingebaut werden können.

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Das wissen Sie sicher?
Ja. Wir haben den ganzen Weg nachvollzogen. Ursprünglich hatten wir nur Misch-RNAs bei Infizierten nachgewiesen, teils Virus, teils Mensch. Viele Kollegen hat das noch nicht überzeugt. Wie sich herausstellte, können sich Virus-RNA und Menschen-RNA auch dann zusammentun, während man sie aus den Zellen isoliert. In dem Fall wäre unser Befund nichts weiter als ein Labor-Artefakt, das in der Natur aber nicht vorkommt. Deswegen haben wir in den letzten Monaten sehr aufwändig verschiedene Stufen des Einbauprozesses in den Zellen abgeklopft. Unter anderem suchten wir auch direkt in der DNA von Zellen, die wir zuvor mit den Viren infiziert und gleichzeitig mit LINE1-Elementen versorgt hatten. Dort fanden wir nicht nur die Virussequenzen wieder, sondern direkt daneben auch Abschnitte, die nur bei einem Einbau durch das Retrotransposon entstanden sein können.

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Aber wenn Sie Zellen mit extra viel LINE1 ausstatten und Schnipsel von Virus-Erbgut dann in die DNA eingebaut werden, heißt das ja nicht, dass das auch unter natürlichen Bedingungen, ohne diesen biochemischen Schubser passiert.
Stimmt, deswegen haben wir auch infizierte Zellen ohne künstliche Erhöhung der LINE1-Elemente untersucht. Sie hatten weniger eingebaute Viren-Erbgutschnipsel, aber sie hatten sie auch.

Welche Bestandteile des Viruserbguts werden denn eingebaut?
Am häufigsten haben wir Bestandteile des N-Proteins gefunden – das ist das Protein im Inneren der Viren, das hilft, ihre RNA zu verpacken. Es ist logisch, dass das am häufigsten auftaucht, eine Frage der Wahrscheinlichkeit, denn von dieser RNA gibt es die allermeisten Kopien, während die Viren zusammengebaut werden.

Kann das wirklich erklären, warum bei einigen Genesenen so lange noch Virus-Erbgut gefunden wird? Die PCR-Tests weisen ja nie das ganze Virus nach, sondern immer nur kurze, ein Dutzend Bausteine lange Schnipsel. Wenn nur Bruchstücke der Viren eingebaut werden, dann müsste es doch ein großer Zufall sein, dass ausgerechnet dieses Stück die kurze Sequenz enthält, die in den PCR-Tests nachgewiesen wird?
Es ist bestimmt selten, dass beides zusammenkommt. Aber das heißt nur, dass es viel mehr Fälle von Menschen geben muss, die nach der Infektion Virusbruchstücke im Erbgut einiger ihrer Zellen haben. Zum Teil werden sie nicht entdeckt, weil der Abschnitt, den die PCR nachweist, gar nicht eingebaut wurde. Und zum anderen Teil, weil es vielleicht gar nicht die Schleimhautzellen im Rachen sind, die ja beim Abstrich verwendet werden, die mit integrierten Virussequenzen überlebt haben.

Welche Zellen könnten denn die Virusbruchstücke sonst enthalten?
Das Virus kann nicht nur Lungen sondern auch viele verschiedene andere Zelltypen befallen wie Darm, Leber und Herz. Wir wissen noch nicht, ob Virus- Integration auch in diesen Zellen stattfinden kann.

Aber selbst wenn, die meisten infizierten Zellen sterben doch ohnehin ab?
Infizierte Lungenzellen scheinen fast alle zu sterben, also sind hier Veränderungen am Erbgut nur selten einmal permanent. In anderen Geweben kann das anders sein. Wir untersuchen das gerade.

Rudolf Jaenisch forschte früher in Hamburg. Heute leitet er eine Laborgruppe am Whitehead Institute in Cambridge, Massachusetts, die genetische Ursachen von Krankheiten untersucht.
Rudolf Jaenisch forschte früher in Hamburg. Heute leitet er eine Laborgruppe am Whitehead Institute in Cambridge, Massachusetts, die genetische Ursachen von Krankheiten untersucht.

© Whitehead Institute

Bei Long-Covid-Patienten wurden Antikörper gefunden, die sowohl auf die körpereigenen Zellen der Patienten als auch auf die Coronaviren reagieren. Könnte das eine Reaktion auf Misch-Proteine sein, die aufgrund des Einbaus viraler neben menschlicher Proteinbaupläne im Erbgut entstanden sind?
Die Arbeit ist mir auch aufgefallen. Angenommen, aus den mit Virusbausteinen ergänzten Menschengenen würden Proteine für die Zelloberfläche entstehen, die teils aus körpereigenen, teils aus Virenbauplänen bestehen, dann könnte man genau so eine zwiespältige Reaktion des Immunsystems erwarten. Ein Protein, das Viruseigenschaften mit den körpereigenen Gewebemerkmale kombiniert, könnte auch eine Immunreaktion provozieren, die sich gegen den eigenen Körper richtet. Könnte – es ist reine Spekulation.

Einiges spricht ja dafür, dass Long-Covid eine Autoimmunreaktion ist. Und die Ursache könnte sein, dass bei vielen Genesenen Virenreste im Erbgut herumgeistern?
Das ist, wie gesagt, reine Spekulation, noch können wir nicht einmal abschätzen, wie häufig Zellen mit so einem Vireneinbau überleben. Aber denkbar ist es.

Wenn Virus-RNA ins Erbgut gelangen kann, kann sich dann auch die RNA aus den Covid-19-Impfstoffen von Biontech und Moderna ins Genom verirren?
Ich halte das für sehr unwahrscheinlich, aber es kann nicht ausgeschlossen werden.

Aber Sie haben das nicht untersucht, Sie spekulieren hier?
Ja. Jede Art von RNA in der Zelle hat das Potenzial, bis ins Erbgut zu kommen, wahrscheinlich ist das sogar ein ganz normaler biologischer Prozess. Aber wichtig zu betonen ist, dass in einer Impfung sehr viel weniger RNA enthalten ist als bei einer Infektion entsteht – millionen- oder milliardenfach weniger. Der Einbau von Impf- RNA ist also entsprechend viel unwahrscheinlicher. Und wenn es doch passiert, würde ich mir trotzdem keine Sorgen machen. Möglicherweise wird die Impfung besser funktionieren, wenn das Impfprotein länger da ist. Auf jeden Fall ist es verglichen mit all dem, was bei einer Sars-CoV-2-Infektion im Körper passiert, ein vernachlässigbar kleines Risiko. Ich jedenfalls habe mich gerade erst vergangene Woche zum zweiten Mal impfen lassen – ohne theoretische Bauchschmerzen.

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