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Ein Doktorhut, der in die Luft geworfen wurde, schwebt vor weißen Wolken am blauen Himmel.

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Umgang mit Plagiatsfällen: Milde für falsche Doktoren an der TU Berlin

Auch Berliner Unis wollen Plagiatsfälle möglichst unauffällig erledigen. So ließ es die TU Berlin zu, dass zwei Beschuldigte ihre Doktorgrade zurückgaben. Aus Sicht von Experten dürften die Fälle damit nicht erledigt sein.

Zwei Ingenieure, denen im Internetportal VroniPlag Wiki Plagiate vorgeworfen werden, gaben jüngst ihren Doktorgrad nebst Urkunde an die Technische Universität Berlin zurück. Das wurde bekannt, nachdem zwei Mitwirkende des Portals, Debora Weber-Wulff und Gerhard Dannemann, im Tagesspiegel beklagt hatten, dass Universitäten unwillig über Plagiate aufklärten – und die noch anhängigen Fälle an der TU monierten. Mit der Titelrückgabe betrachtete die TU die Fälle nun wie berichtet als abgeschlossen. Doch damit macht es sich die Uni zu leicht, kritisieren die Juraprofessoren und Plagiatsexperten Klaus F. Gärditz und Volker Rieble.

Es sei juristisch unhaltbar, dass eine Universität die Zurückgabe von Doktortiteln akzeptiere, ohne den Fall selbst abschließend aufzuklären. Wenn sich ein Plagiatsverdacht bestätige, müsse der Titel in einem universitären Verfahren entzogen werden, sagen die Experten. Das belegten auch erfolglose Rückzieher des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg und anderer Plagiatoren.

Ein Plagiatsverfahren und damit den Titelentzug vermieden

Von den beiden Berlinern hätte einer, der Expolitiker Jürgen Goldschmidt, seine Doktorarbeit schon Mitte 2013 mit richtigen Zitaten erneut vorlegen müssen, um einem Titelentzug zu entgehen. Der andere verzichtete auf seinen akademischen Grad „noch vor Abschluss“ eines Prüfverfahrens wegen Plagiatsvorwürfen, wie eine Unisprecherin auf Nachfrage bestätigt. Die vordergründig einvernehmliche Erledigung der Fälle soll die Fakultät offenbar von einem weiteren Arbeitsaufwand entlasten. Und den beiden Ingenieuren scheint die TU ein konsequentes Plagiatsverfahren und den Titelentzug ersparen zu wollen. Der Rechtsgelehrte Paul Laband formulierte es vor mehr als hundert Jahren so: „Die Verleihung eines Titels hebt den dadurch Ausgezeichneten in der allgemeinen Achtung bei Weitem nicht in dem Grade, wie ihn die Entziehung des Titels herabsetzt.“

Die Fakultät müsste ihr Verwaltungshandeln korrigieren

Aus Riebles Sicht aber ist eine Fakultät, die einen von ihr verliehenen Doktorgrad nachträglich überprüft, zur „Korrektur rechtswidrigen Verwaltungshandelns“ verpflichtet, wenn ein Plagiat vorliegt. Dann „nimmt sie zurück, was sie nie hätte erteilen dürfen“. Diese behördliche Fehlerkorrektur könne sie dem falschen Doktor naturgemäß nicht selbst überlassen. Riebles Kollege Gärditz sagt: Der Betroffene habe „keine Dispositionsbefugnis“ über seinen Doktorgrad, jedenfalls nicht im laufenden Verfahren.

Prominente Fälle, in denen ein "freiwilliger" Verzicht nichts half

Es gibt dazu prominente Präzedenzfälle. So hatte Guttenberg Anfang 2011 zwar für sich „die Entscheidung“ getroffen, „den Doktortitel nicht mehr zu führen“. Das erübrigte aber nicht die Rücknahme durch die Uni Bayreuth. Auch der Berliner CDU-Politiker Florian Graf verlor 2012 durch einseitig hoheitlichen Beschluss der Uni Potsdam seinen Doktor – obgleich er zuvor darum „gebeten“ hatte.

Einen weiteren Fall von offenbar schleppender Bearbeitung gibt es an der Freien Universität Berlin. Seit gut anderthalb Jahren sind der FU Plagiatsvorwürfe gegen die Dissertation eines Autorenduos bekannt, die der Plagiatsjäger Stefan Weber dokumentiert hat. Doch weder ihm noch den Medien will die FU Auskunft zum Stand des Verfahrens geben. Auf Nachfrage erklärt die Uni: „Wie der Fachbereich mit den Vorwürfen bisher umgegangen ist und ob die Gutachter die Vorwürfe für stichhaltig halten, können wir aufgrund eines überwiegenden schutzwürdigen privaten Interesses nicht beantworten.“ Für den Rechtsexperten Gärditz ist dieser Standpunkt haltlos: Weil eine Dissertation der Veröffentlichungspflicht unterliegt, bestehe ein „gesteigertes öffentliches Interesse und ein reduziertes privates Geheimhaltungsinteresse“. Die Universität müsse zumindest darüber Auskunft geben, wie das Prüfverfahren beendet wurde oder ob es immer noch läuft.

Glaubwürdigkeit der Uni sollte mehr wiegen als Diskretion

Wie Milde bei Plagiatsfällen zu weitreichenden Störungen im Wissenschaftsbetrieb führen kann, erweist sich jetzt auch an einem juristischen Promotionsvorhaben in zwei Versuchen: erst ohne Erfolg an der Humboldt-Universität, dann mit der gleichen Arbeit und mit Erfolg in Innsbruck. Die ganze Geschichte fiel zehn Jahre lang nicht auf, bis VroniPlag Wiki dem Autor, inzwischen Fachhochschulprofessor in Heilbronn, Wissenschaftsbetrug an beiden Unis vorwarf. Davon geht auch ein jetzt veröffentlichtes Gutachten internationaler Experten aus, das die Forschung an der Innsbrucker Juristenfakultät kritisch beleuchtet. „Amtsverschwiegenheit, Datenschutz und Persönlichkeitsrechte“ Betroffener, die in Österreich praktisch absolut gelten, müssten wegen der „Glaubwürdigkeit der Universität“ in Plagiatsfällen wie diesem hinter dem Aufklärungsanspruch der Öffentlichkeit zurückstehen, heißt es im Gutachten. Gefragt, wie die Uni sich dazu stelle, beruft sich der Rektor gegenüber dem Tagesspiegel auf die „Amtsverschwiegenheit“.

Schon das Zurückziehen vor der Promotion ist problematisch

Ursprünglich waren schon den Berliner Doktorvätern massive Plagiate aufgefallen, mit denen sie die Arbeit nicht promovieren wollten. Sie waren aber einverstanden, dass der Kandidat seinen Antrag zurückzog. Streng genommen hätte die Fakultät das laufende Verfahren jedoch auch bis zum „Durchgefallen“ fortsetzen können, betont der Experte Rieble. Dann hätte der Bewerber beim zweiten Versuch das frühere Scheitern angeben müssen. Der Innsbrucker Doktorvater aber versichert, von der Vorgeschichte nichts gewusst zu haben.

Ein Verfahren zum Widerruf des Doktortitels stellte die Uni Innsbruck vor ein paar Monaten ein, wie gewohnt ohne Begründung nach außen. Dank des festsitzenden Doktorhutes „ergeben sich auch keine Veränderungen im bestehenden Status des Professors an der Hochschule Heilbronn“, erklärt deren Sprecherin.

Hermann Horstkotte

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