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Zu sehen sind die Rücken und Hinterköpfe von Schüler:innen, vor denen einen Lehrerin steht.

© Arne Dedert/picture alliance/dpa

Umfrage zu Gewalt gegen Lehrkräfte: Sie werden diffamiert, belästigt, bedrängt und bedroht

Der Verband Bildung und Erziehung stellt sich schützend vor Lehrkräfte: Sie seien häufiger als in den Vorjahren psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt.

Ein Grundschüler, der seinen Stuhl nach dem Lehrer wirft, Sekundarschüler, die ihre Lehrerin in der Chatgruppe mobben: Von solchen Übergriffen berichten 34 Prozent der Schulleitungen in Deutschland - bezogen auf körperliche Gewalt - beziehungsweise sogar 61 Prozent hinsichtlich "direkter psychischer Gewalt".

Angesichts dieser Ergebnisse einer Umfrage unter rund 1302 Schulleitungen bundesweit fordert der Verband Bildung und Erziehung (VBE), dass Lehrkräfte konsequent durch Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen und Psychologen unterstützt werden müssten (die komplette Umfrage finden Sie hier).

"Erschütternd" sei der starke Anstieg der Zahlen gegenüber einer Vorgängerumfrage von 2018, erklärte Udo Beckmann, der Bundesvorsitzende des VBE, bei der Präsentation der Umfrage am Donnerstag. Die Schulministerien müssten Gewaltvorkommnisse endlich systematisch erfassen, die Statistiken veröffentlichen und mit massiven Investitionen in multiprofessionelle Teams, kleinere Lerngruppen und die Fortbildung reagieren.

Gefragt wurde nach Vorfällen in den letzten fünf Jahren

Die vom VBE bei Forsa in Auftrag gegebene und vor den coronabedingten Schulschließungen durchgeführte Umfrage zeige nicht, wie viele Gewaltfälle es gebe, sagt Beckmann. Das wäre die Aufgabe der Ministerien. Die Schulleitungen wurden vielmehr nach Fällen gefragt, die in den vergangenen fünf Jahren an ihrer Schule aufgetreten seien. Darauf könnten sie nach schulinternen Dokumentationen, aber auch nach ihrer Erinnerung geantwortet haben, so Beckmann.

Gefragt wurde nach verbalen oder körperlichen Übergriffen von Schülern auf Lehrkräfte - und nicht andersherum, ebenso wenig wie nach Mobbing unter den Lehrkräften.

[Lesen Sie hier unseren Bericht über Diskriminierung an Berliner Schulen: Lehrer sind häufiger Täter als Opfer]

Aus den vorlegten Zahlen jedenfalls lässt sich eine Steigerung der Gewaltvorfälle gegen Lehrkräfte seit 2018 ablesen, als der VBE erstmals Schulleitungen dazu befragt hatte. So berichteten vor zwei Jahren 48 Prozent von direkter psychischer Gewalt, aktuell sind es 61 Prozent.

Dabei geht es um Fälle, in denen Lehrkräfte direkt beschimpft, bedroht, beleidigt oder belästigt wurden. Diese Form der Gewalt tritt der Umfrage zufolge mit 73 Prozent gehäuft an Sekundar- oder Oberschulen unterhalb des Gymnasiums auf.

Körperliche Gewalt vor allem an Grundschulen

Über das Internet diffamiert, belästigt, bedrängt, bedroht oder genötigt wurden Lehrkräfte an 32 Prozent der Schulen, wieder sind die vom VBE als Haupt-, Real- und Gesamtschulen bezeichneten Schulformen dabei führend (an Grundschulen waren es 20 Prozent, an Gymnasien 46 Prozent). 2018 lag der Durchschnittswert auch hierbei mit 20 Prozent deutlich niedriger.

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Die körperlichen Übergriffe (2020 im Schnitt mit 34 Prozent beziffert, 2018 mit 26 Prozent) häufen sich mit 40 Prozent an den Grundschulen. An den Sekundarschulen liegen sie bei 21 Prozent, an den Gymnasien bei nur sieben Prozent.

Eine Erklärung dafür könnte sein, dass jüngere Kinder "ihre Emotionen noch nicht so gut kontrollieren" könnten, kommentiert der VBE-Vorsitzende Beckmann. Sie wüssten sich manchmal nicht anders zu helfen. Auf Nachfrage bestätigte er die "enorme Herausforderung" der Lehrkräfte durch eine stark gestiegene Zahl von Kindern mit Defiziten in der emotional-sozialen Entwicklung.

[Lesen Sie auch unseren Kommentar zur Vorgängerumfrage von 2018: Gewalt gegen Lehrkräfte - Endlich genau hinschauen]

Gerade für diese Gruppe seien kleine Lerngruppen und zusätzliche Kräfte im Unterricht förderlich. Insgesamt jedoch werde die "Herausforderung der Lehrkräfte im Bereich Erziehung immer größer", sagt Beckmann. Im Umgang mit solchen Auseinandersetzungen rät er Lehrerinnen und Lehrern, das Gespräch mit den Eltern im Beisein ihrer Kinder zu suchen und letztere insbesondere zu fragen, warum sie sich so verhalten.

Eltern sind oft nicht bereit, mit der Schule zu kooperieren

Schülerinnen und Schüler sollten dabei erfahren, dass Eltern und Lehrkräfte nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten. Häufig ist aber offenbar das Gegenteil der Fall: 69 Prozent der Schulleitungen geben an, dass sich Eltern bei Gewaltvorfällen nicht kooperationswillig zeigten, bei den Schülern seien 63 Prozent uneinsichtig.

Inzwischen fühlen sich die Rektoren und Rektorinnen zunehmend hilflos, wenn es um Gewalt gegen Lehrkräfte geht: Erklärten 2018 noch 87 Prozent, dass sie ihre Lehrkräfte ausreichend unterstützen könnten, sind es aktuell nur noch 56 Prozent. Auch ihnen fehle die professionelle Unterstützung durch dafür ausgebildetes Personal, moniert der VBE.

Neben einem verbesserten Personalschlüssel für kleinere Lerngruppen fordert der Verband mehr Aufmerksamkeit für das Thema Gewalt und Gewaltprävention in der Lehrkräfteausbildung. Fehlen würde auch ein breites Fortbildungsangebot zum Umgang mit der Heterogenität der Schülerschaft und zum Verhalten in Konfliktsituationen.

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