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Drei Übersichtsartikel mit Ergebnissen der Mosaic-Expedition der „Polarstern“ im arktischen Packeis sind jetzt veröffentlicht worden. Weitere werden folgen.

© AWI/Lianna Nixon

Überraschung im Eismeer: Schneller als erwartet

Nicht nur die Erwärmung der Arktis schreitet unerwartet schnell voran. Auch das Forschungsschiff „Polarstern“ driftete rascher als gedacht durch den Arktischen Ozean.

Auf ihrer spektakulären Mosaic-Expedition im Jahr 2019/20 war das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ festgefroren an einer Eisscholle quer durch den Arktischen Ozean gedriftet – und zwar schneller als erwartet. Forschende des bei der Expedition federführenden Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) haben die Ursache dafür nun herausgefunden. Ihre Analyse ergab, dass besonders niedrige Temperaturen und damit verbunden anhaltende starke Winde die Eisdrift verstärkt hatten.

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„Großräumige atmosphärische Druck- und Windmuster in den Monaten Januar bis März führten zu einem besonders starken Polarwirbel um die Arktis, zusätzlich zu einem Rekord-Ozonloch in der arktischen Stratosphäre“, erklärte Matthew Shupe, Co-Leiter des AWI-Atmosphärenteams. „Wir haben dynamischeres und schneller driftendes Packeis vorgefunden als erwartet“, berichtete Marcel Nicolaus, Erstautor einer nun erschienenen Studie zum Bereich Eis.

Rund 300 Forschende aus 20 Nationen beteiligt

Ziel der Mosaic-Expedition war es, auch im Winter am Nordpol Umweltprozesse beobachten zu können, die für das Klima wichtig sind. Da der zentrale Arktische Ozean im Winter nach wie vor eisbedeckt und somit schwer erreichbar ist, war man auf die Idee gekommen, das Forschungsschiff mit dem Packeis über den Pol treiben zu lassen.

Mit Hilfe von Mess- und Forschungsstationen sammelten rund 300 Forschende aus 20 Nationen direkt auf dem Polareis große Datenmengen. Man sei mit einem „Schatz an Daten und Proben“ zurückgekehrt, der die Klimaforschung dauerhaft verändern werde, hatte Expeditionsleiter Markus Rex bei der Rückkehr geschwärmt. Die Forschenden brachten mehr als 150 Terabyte an Daten und mehrere 10 000 Proben mit. Auf der Expedition konnte der gesamte Eiszyklus vom Gefrieren bis zur Schmelze in der Arktis gemessen und dokumentiert werden.

Bis heute größte Arktisexpedition überhaupt

Nun sind als erste Ergebnisse drei Übersichtsartikel zu den physikalischen Eigenschaften von Eis, Ozean und Atmosphäre in der Fachzeitschrift „Elementa“ erschienen. Sie stellen die Bedeutung der gemeinsamen Betrachtung aller Komponenten des Klimasystems heraus, so das AWI. In den kommenden Jahren wird noch mit einer Vielzahl von weiteren Forschungsarbeiten als Ergebnis der Expedition gerechnet.

Bei der bis heute größten Arktisexpedition überhaupt wurden Daten in „nie dagewesenem Umfang“ gesammelt, so Rex. Gegenwärtig werden sie von mehreren hundert Wissenschaftler:innen in rund 300 Forschungsvorhaben weltweit ausgewertet. Allein bis 2023 werden einige hundert Fachveröffentlichungen zum Klimawandel erwartet.

Die Arktis erwärmt sich gegenwärtig mehr als doppelt so schnell wie der Rest der Erde. Die Forschungsergebnisse von Mosaic liefern erstmals ein vollständiges Bild der Klimaprozesse in der zentralen Arktis, Prozesse, die Wetter und Klima weltweit beeinflussen. Die Region ist vor allem auch Teil der Wetterküche Mitteleuropas. Die internationale Zusammenarbeit der Expeditionsteilnehmenden liefere nun zunehmend wichtige Erkenntnisse über den Klimawandel, so die Erwartung des Expeditionsleiters Rex.

Mehr über Klima-Rückkopplungen verstehen

So würden die drei nun erschienenen Übersichtsartikel als Referenzen für eine Vielzahl von zukünftigen wissenschaftlichen Arbeiten dienen. „Die physikalischen Beobachtungen sind die Grundlage für die Interpretation von biogeochemischen Kreisläufen und Ökosystemprozessen sowie für die gekoppelten Modelle, die wir nutzen, um noch mehr über Klima-Rückkopplungen und die globalen Auswirkungen des arktischen Wandels zu erfahren“, erklärte Rex. „Diese Veränderungen können Wetter und Klima weltweit beeinflussen.“ 

Die "Polarstern" trieb schneller durch das Eismeer als die Forschenden erwartet hatten.  
Die "Polarstern" trieb schneller durch das Eismeer als die Forschenden erwartet hatten.  

© Manuel Ernst

Man sei dabei, das Wissen über das arktische Klimasystem Puzzlestück für Puzzlestück aus den Messungen zusammenzusetzen, so der Polarforscher. „Wir konnten zeigen, dass sich kurzfristige atmosphärische Ereignisse – Stürme im Winter, Wärmeperioden im Frühjahr, Schmelzwasserströme im Sommer oder Niederschläge im Herbst – stark auf die Schnee- und Meereiseigenschaften in den kommenden Monaten auswirken“, berichtet Studienautor Marcel Nicolaus. „Wir fanden größere räumliche Schwankungen in der Schneebedeckung als erwartet, die auf atmosphärische Prozesse und die Struktur des darunterliegenden Meereises zurückzuführen sind.“

Auch besorgniserregende Erkenntnisse

Bei der Mosaic-Expedition der „Polarstern“ wurden aber nicht nur spannende, sondern auch „besorgniserregende Erkenntnisse“ gewonnen – etwa dass der Klimawandel in der Arktis noch stärkere Auswirkungen hat als bislang befürchtet. Während der Expedition hatte sich im Frühjahr 2020 das Eis der Arktis schneller zurückgezogen als jemals zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen, berichtete Markus Rex von der Potsdamer Forschungsstelle des AWI.

Das Eis sei nur noch halb so dick wie vor fast 130 Jahren gewesen. Dadurch habe sich die Eisdecke im Herbst viel später geschlossen und die eisfreie Zeit im Sommer verlängerte sich. Die Forschenden stellten zudem fest, dass die Temperaturen während des Expeditionswinters 2019/2020 in der Arktis fast durchgehend um zehn Grad höher lagen als bei Nansens Arktisexpedition im Jahr 1893.

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