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Geimpft wird in Berlin durchaus, wie etwa die Mitarbeiter im Krankenhaus Bethel. Der Impfgipfel soll klären, wie Deutschland an mehr Impfdosen kommen kann.

© Kay Nietfeld/dpa

Über den Impfgipfel hinaus: Wie mehr Corona-Impfstoff produziert und an Mutanten angepasst werden kann

Beim Gipfel streitet die Politik darüber, wie man an mehr Impfstoffdosen kommt. Doch das nächste Problem wartet schon: Wirken die Vakzine gegen die Mutanten?

Vor ein paar Monaten noch hätte niemand damit gerechnet, dass es schon Ende 2020, keine 12 Monate nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie, einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben würde. Noch nie zuvor wurde ein Impfstoff so schnell entwickelt, geprüft, zugelassen und verimpft – zumal es ein Impfstoff gegen einen völlig neuartigen Erreger ist. Jahre, mitunter Jahrzehnte dauert das sonst – oder klappt wie bei der HIV-Pandemie gar nicht.

Gegen Covid-19 sind in der EU inzwischen drei Impfstoffe zugelassen und weitere werden bald folgen. Doch die Außergewöhnlichkeit dieser Tatsache ist längst vergessen. Jetzt wird darüber gestritten, was nicht nach jenen Plänen und Verträgen läuft, die zu Zeiten entstanden, als noch niemand wissen konnte, ob überhaupt und welcher der Impfstoffkandidaten wie wirken wird und produziert werden kann.

Dass anfangs zu wenig Impfdosen für alle zur Verfügung stehen würden, war und ist so klar wie trivial. Und das wäre auch dann so gewesen, wenn die EU ein paar Wochen früher und mehr bestellt und Firmen mit mehr staatlicher Unterstützung noch frühzeitiger begonnen hätten noch mehr Produktionskapazitäten aufzubauen. Denn der Ausbau von Kapazitäten hat Grenzen.

Umrüstung und Zwangslizenzierung lösen das Problem sicher nicht

Auf dem Impfgipfel von Bund und Ländern wird heute dennoch besprochen, wie man mehr Impfstoff herbeiregieren könnte. Vorschläge aus den Parteien gab es im Vorfeld viele. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider etwa hatte die Idee, dass Pharmaunternehmen ihre Produktionsanlagen doch einfach „umrüsten“ mögen, von Anti-Baby-Pille auf Impfstoff zum Beispiel. Achim Kessler von der Linken fordert „Zwangslizenzierungen“, damit auch jene Firmen Corona-Impfstoffe produzieren dürften, die die Technologie nicht entwickelt haben und es daher meist auch nicht können. FDP-Chef Christian Lindner wiederum will eine „Krisenproduktion“, was auch immer das heißt.

Jenseits des grünen Tisches sieht die Realität allerdings anders aus. „Die Vorstellung“, sagt Florian von der Mülbe von Curevac, „dass ein Pharmaunternehmen, selbst wenn es bereits eigene Impfstoffe produziert, mal eben auf eine andere, neue Technologie umstellen könnte, die ist etwas… einfach.“ Einfach ist es eben gerade nicht, erklärt der Mitbegründer und Produktionschef des Tübinger Biotechunternehmens, das wie Biontech und Moderna einen auf RNA basierenden Impfstoff entwickelt. Obwohl die Ergebnisse der finalen Prüfung und die Zulassung des Curevac-Impfstoffs wohl erst im zweiten Quartal zu erwarten sind, produziert die Firma schon jetzt Millionen von Impfstoffdosen.

„Das ist ein recht komplexer Prozess“, sagt von der Mülbe, und es dauere normalerweise mindestens 12 bis 18 Monate, die dafür nötigen Techniken und Abläufe an einem neuen Standort oder in einer anderen Firma zu etablieren. Mit Wacker, einem von mehreren Kooperationspartnern, will es von der Mülbe jetzt innerhalb von vier bis fünf Monaten schaffen. „Aber diese Zeit braucht es auch“, nicht nur, um die nötigen Reaktoren für die Produktion und die Aufreinigungsgerätschaften für die Impfstoffe zum Laufen zu bringen, sondern auch, um Qualität und Sicherheit garantieren zu können. „Dazu gehören auch Genehmigungen von behördlicher Seite, die das zwar in diesen Tagen sehr schnell bearbeiten, aber Abkürzungen gibt es da nun mal nicht.“

Am Montag wurde bekannt, dass der Pharmakonzern Bayer in die Produktion des Curevac-Impfstoffs einsteigt. Die Unternehmen arbeiten bereits seit Anfang Januar zusammen, Bayer soll nun auch die Produktion unterstützen.

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DNA als Vorlage, Millionen Kopien RNA

So komplex die Details, so simpel ist das Prinzip der Herstellung der RNA-Impfstoffe – fast so einfach wie das Kopieren im Büro. Als Vorlage dient ein Stück DNA, das Gen, das die Bauanleitung für den „Stachel“ des Coronavirus, das S-Protein, enthält. Anhand dieser Vorlage erstellt ein Enzym, die RNA-Polymerase, eine RNA-Kopie der DNA-Bauanleitung, und dann noch eine und noch eine bis Abermilliarden von RNA-Kopien vorliegen, die dann alleinig die Information über das S-Protein enthalten. Diese RNA-Moleküle werden gereinigt, etwa von den DNA-Vorlagen, und dann in ein Transportmittel „verpackt“, das ihnen den Weg in die Zellen im Körper der Geimpften erleichtern soll: Lipid-Nanopartikel. Diese winzigen Fetttröpfchen, Millionstel Millimeter klein, tragen in ihrem Inneren die RNA-Moleküle.

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Sobald gespritzt, verschmelzen sie im Körper mit den Zellmembranen und die RNA gelangt in die Zelle. Dort wird die Bauanleitung abgelesen und das Stachelprotein von Sars-CoV-2 produziert. Darauf reagiert die Körperabwehr und baut in Form von Antikörpern und T-Zellen Immunität gegen jedes Virus auf, das ein solches Stachelprotein besitzt. Der Körper des Geimpften baut seinen Impfstoff also gewissermaßen selbst.

Schon 2006 hat Curevac, als erste Biotech-Firma überhaupt, diesen Produktionsprozess, der vorher nur im Labormaßstab funktionierte, auf „GMP-Niveau“ gehoben – jenen „Good-Manufacturing-Practice“-Standard, den jede Arzneimittelproduktion erfüllen muss, damit Menschen mit dem Produkt behandelt werden dürfen. Auch die Produktionsmenge optimierten Curevac, Biontech und Moderna schon, bevor die Pandemie begann. Das seien „noch immer keine rauchenden Schlote, aber wir können jetzt Millionen von Impfstoffdosen innerhalb kurzer Zeit produzieren“, sagt von der Mülbe. Um die Kapazitäten zu erhöhen, wird das Verfahren nun „multipliziert“, also in Form eines Netzwerks auf verschiedene Partner wie etwa Wacker verteilt. „Da sind wir gut im Plan.“

Innerhalb von vier bis sechs Wochen an Mutanten anpassbar

Die „Besonderheit der RNA-Technologie“ käme vor allem dann zum Tragen, sagt von der Mülbe, wenn die Impfstoffe an neue Virusmutanten angepasst werden müssen – etwa die südafrikanische, vor denen die bisherigen Impfstoffe ersten Forschungsergebnissen zufolge nur vermindert schützen. Man müsse einfach nur die Bauanleitung, die Sequenz der RNA ein wenig verändern. Das gehe „sehr schnell“. Innerhalb von vier bis sechs Wochen könne ein angepasster Impfstoff in die Produktion gehen. „Das geht mit keiner anderen Technologie.“

[Welche Virusmutanten kursieren, welche Mutationen machen sie mehr oder weniger gefährlich? Wirken die Impfstoffe noch gegen sie? Unser FAQ zu den Sars-CoV-2-Varianten beantwortet wichtige Fragen.] 

Bei der zweitschnellsten Corona-Impfstoff-Technologie, dem so genannten „Vektorimpfstoff“ von Astrazeneca, dauert es zwangsläufig länger. Zwar kann auch hier die Bauanleitung für das Stachelprotein einfach redigiert und in den „Vektor“, ein verändertes Adenovirus aus Schimpansen, eingesetzt werden. Doch dann müssen mit diesen Vektoren erst Zellkulturen infiziert werden, die Zellen müssen wachsen, Fermenter mit diesen Zellen müssen angeimpft werden – ein Prozess, der eher Monate als Wochen dauert. Das gilt auch für den Impfstoff von Johnson & Johnson, der ebenfalls in Zellkulturen gezüchtet wird. „Der Prozess der RNA-Synthese ist zellfrei, wir müssen nicht auf Zelllinien zurückgreifen und können sofort loslegen“, sagt von der Mülbe.

Abkürzung für Prüfung und Zulassung möglich?

Der richtige Zeitpunkt, mit der Entwicklung angepasster Impfstoffe zu beginnen, scheint bereits gekommen. Zwar halten sich die Impfstoffhersteller diesbezüglich noch bedeckt, doch das Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) habe solche Entwicklungen „bereits angeregt und Kenntnis davon, dass Impfstoffanpassungen konzipiert werden“, äußerte sich Klaus Cichutek, Leiter des PEI, gegenüber dem Tagesspiegel.

Der „Umstellungszeitpunkt würde idealerweise frühzeitig gewählt“, so Cichutek, damit „starke Wirksamkeitseinbußen der Impfstoffe hinsichtlich der zirkulierenden Sars-CoV-2-Varianten vermieden werden können.“ Zu bedenken sei dabei, dass „die verfügbaren Herstellungskapazitäten, die derzeit für die zugelassenen Impfstoffe voll ausgelastet sind, dann entsprechend auf neue Produktionen umgestellt werden müssen.“

Am Ende müssen diese neuen, angepassten Impfstoffe jedoch auch neu zugelassen werden. Müssen sie dann wieder das gesamte, monatelange Prüfverfahren durchlaufen? „Die Zulassung kann in vieler Hinsicht auf den bereits bewerteten Unterlagen des Ursprungsimpfstoffs aufsetzen“, sagte Cichutek dem Tagesspiegel. Mit dem Rolling-Review-Verfahren, bei dem die Firmen mit Tests voranschreiten können, während die Behörde manche Unterlagen noch prüft, und den zügigen Bewertungen und Entscheidungen durch die zuständigen Gremien der Europäischen Kommission seien hier bereits bei den zugelassenen Impfstoffen „sehr kurze Zulassungszeiten“ erzielt worden.

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Cichutek verweist auf die „europäische Ebene“, also die EMA, dort gebe es „erste Diskussionen über die regulatorischen Voraussetzungen“. Eine Möglichkeit wäre ein „Immunobridging“, eine „klinische Prüfung mit begrenzter Proband:innenzahl“, so Cichutek. Beobachtet man in dieser kleinen Gruppe Geimpfter eine Immunreaktion, die mit den bisherigen, wirksamen Impfstoffen vergleichbar ist, kann man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit „eine ausreichende Immunantwort gegen die im jeweiligen Impfstoffprodukt enthaltenen Spikeprotein-Varianten sicherstellen“.

Aber zusätzlich müsse die Impfstoffqualität „selbstverständlich wieder durch Nachweise einer konsistenten Herstellung, der Spezifikationen und experimentelle Prüfungen sichergestellt werden“, so Cichutek. In jedem Fall müsse „die für eine limitierte klinische Prüfung benötigte Zeit beachtet werden, um die Wirksamkeit sowie die Verträglichkeit und Sicherheit mit einer Nachbeobachtungszeit der Geimpften von sechs Wochen festzustellen.“

Doch die Frage, ob es dann einen Impfstoff-Mix gegen alle Virusvarianten geben wird, oder zusätzlich zur bisherigen weitere Impfungen gegen die Mutanten nötig werden, ist offen. „Beides ist möglich: Entweder man impft gegen eine Virusmutante und später erneut gegen eine andere, oder man macht gleich Mischungen“, sagt von der Mülbe. „Wir prüfen verschiedene Möglichkeiten. Klar ist aber, dass es mit der RNA-Technologie prinzipiell möglich ist, verschiedene RNAs zu mischen.“ Solche RNA-Cocktails seien bereits getestet worden, auch an Menschen, wenn auch noch nicht gegen Covid-19.

Mehr RNA, mehr Schutz

Ein Cocktail aus Impfstoffkomponenten gegen mehrere Virusvarianten ist aber nur eine von mehreren Möglichkeit. So könnten jene, die bereits gegen das ursprüngliche Sars-CoV-2 geimpft wurden, bei der Zweitimpfung mit einem anderen Vakzin gegen eine der neuen Varianten geimpft werden, so dass sie danach vor beiden geschützt sind. Wer die Zweitimpfung schon bekommen hat, oder in Kürze mit dem Einmal-Impfstoff von Johnson & Johnson geimpft wird, könnte mit einer oder mehreren Auffrischimpfungen gegen Varianten immunisiert werden.

Ein Problem von Impfcocktails könnte sein, dass sie mehrere Wirkstoffe, also beispielsweise mehr RNA-Moleküle, enthalten und bei höheren Konzentrationen pro Impfdosis den Erfahrungen nach mit mehr Impf-Nebenwirkungen zu rechnen ist. „Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen“, sagt von der Mülbe. „Letztlich müssen das die Tests zeigen.“ Bisher seien die Nebenwirkungen gering und vertretbar. Wenn man jetzt gegen drei Varianten in einem Impfstoff vorgehen will, dann könnten sich die RNA-Konzentrationen verdreifachen: bei Moderna auf etwa 300 Mikrogramm und bei Biontech wohl auf 90 Mikrogramm. „In unserem Fall würde sich das auf 36 Mikrogramm summieren”, sagt von der Mülbe.

Wie verträglich das jeweils ist, und ob es überhaupt nötig ist, die Mengen so zu addieren oder ob weniger ausreicht, könne man jetzt noch nicht sagen. „Die notwendige Menge“, so PEI-Chef Cichutek, „muss so gewählt werden, dass eine akzeptable Verträglichkeit und die Sicherheit sowie die Wirksamkeit gewährleistet sind“. Zu bedenken sei, dass die Wirksamkeit der derzeitigen Impfstoffe gegen die neuen Varianten „nicht null“ sei, sondern „nur ergänzt“ werden müsse. Die ideale Zusammensetzung, um auch gegen Virusmutanten zu schützen, könne zunächst auch in Tierversuchen ermittelt werden. Florian von der Mülbe ist überzeugt, dass RNA-Impfstoffe dabei „die besten Möglichkeiten bieten, um auf das Aufkeimen neuer Virusmutanten zu reagieren“.

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