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Mückenplage. Am Kilombero in Tansania waren Mückenstiche in den 80er Jahren etwa 2000-mal pro Jahr infektiös. Heute übertragen sie nur noch in 18 Fällen Malaria. Insektenforscher Fredros Okumu sucht nach Wegen, die Infektionen gänzlich zu verhindern.

© Eliza Powell

Tropenmedizin: Einer gegen die Malaria in Tansania

Mit Crowdsourcing und muffigen Socken: Wie der Seuchenbekämpfer Fredros Okumu in dem ostafrikanischen Land die Malaria ausrotten will.

Am späten Nachmittag füllt sich die Fähre über den Kilombero-Fluss schnell. Mitarbeiter versperren die Straße mit einem Tor, damit niemand aus der wartenden Menge noch an Bord geht. Fredros Okumu, eigentlich ein Muster an Ruhe und Geduld, rüttelt mehr im Spaß an dem rostigen Gatter: „Ich muss unbedingt drüben sein, bevor die Sonne untergeht.“

Es sind die Gewohnheiten der Malaria-Mücke Anopheles, die den 35-jährigen Insektenforscher zur Eile treiben. Die Stechmücke bildet in der Dämmerung Schwärme, in denen sich die Insekten paaren. Nur ausgerechnet hier, am absoluten Malaria-Hotspot in Tansania, hat kein Wissenschaftler des lokalen Ifakara Health Institute (IHI) dieses Phänomen jemals beobachtet – obwohl das renommierte Zentrum für Malaria-Forschung bereits in den 50er Jahren vom Schweizer Tropenmediziner Rudolf Geigy gegründet wurde. Okumu will das auf ganz moderne Weise ändern: per Crowdsourcing. Nur wenige Tage nachdem seine Kollegen Dorfbewohner aus der Umgebung angesprochen haben, klingelte zum ersten Mal das Telefon. Der Anruf kam von der anderen Seite des Flusses. Dort wurden angeblich Schwärme gesehen.

„Wenn wir so viele Mücken auf einmal ausschalten könnten, vor der Eiablage“, sagt Okumu, als er schließlich mit einem Kescher in der Hand auf der Fähre steht, „das wäre unglaublich effizient, eine weitere Möglichkeit zur Reduktion der Malaria-Übertragungsrate.“ Und genau das ist seine Mission: ein ganzes Arsenal an Maßnahmen gegen Mücken zu entwickeln, um Malaria endgültig zu eliminieren. Seine Ideen dazu haben ihm nur vier Jahre nach der Promotion den Posten des wissenschaftlichen Direktors des IHI eingebracht. Ursprünglich hatte Okumu nach der Schule eine Ausbildung zum Fleischbeschauer angefangen. Ab und zu half er einigen Doktoranden bei ihren Malaria-Experimenten, zunächst nur, weil es ihm Spaß machte. „Dann ist mir klar geworden, dass es möglich wäre, Malaria zu meinen Lebzeiten auszurotten. Und dass ich dabei helfen kann.“

Gegen die Plage. Fredros Okumu bekämpft die Malaria mit ganz eigenen Methoden.
Gegen die Plage. Fredros Okumu bekämpft die Malaria mit ganz eigenen Methoden.

© Eliza Powell

Bis heute stirbt in Afrika etwa alle zwei Minuten ein Kind an Malaria. Fieberschübe, Blutarmut, Bewusstseinsstörungen und Organversagen sind typische Symptome. Die Erreger, einzellige Parasiten namens Plasmodium, können sich in etwa 30 verschiedene Arten von Anopheles-Mücken vermehren und durch einen Stich ins Blut der Menschen gelangen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass im vergangenen Jahr weltweit 214 Millionen neue Malaria-Fälle aufgetreten sind, überwiegend in Afrika.

Auch wenn diese Zahlen nicht danach klingen: Sie sind das Ergebnis einer großen Erfolgsgeschichte. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Krankheitsfälle um mehr als ein Drittel gefallen. Am meisten dazu beigetragen haben mit Insektiziden behandelte Moskitonetze. Den Anophelesmücken, die am liebsten nachts stechen, wird damit die Lebensgrundlage entzogen: Die Weibchen brauchen die energiereichen Blutmahlzeiten, um Eier ablegen zu können.

Die Veränderung ist auch in Ifakara deutlich spürbar. Das die Siedlung umgebende Kilombero-Tal zählte einst zu den am schlimmsten von Malaria betroffenen Regionen des gesamten Kontinents. In den 80er Jahren bekam ein Mensch in Ifakara im Durchschnitt 2000 infektiöse Mückenstiche pro Jahr. Heute sind es 18.

Trotzdem ist die Krankheit nach wie vor allgegenwärtig. Zu jedem Zeitpunkt haben zehn bis 14 Prozent der Einwohner des Kilombero-Tals Erreger im Blut. „Es ist eigentlich überraschend, dass wir hier immer noch so viel Malaria haben“, sagt Fredros Okumu. Von dem Zeitpunkt, wo eine Mücke bei einer Blutmahlzeit Malaria-Erreger von einem Menschen aufnimmt, bis sie diese Erreger durch ihren Speichel wieder an andere Menschen weitergeben kann, vergehen etwa zwölf Tage. In der freien Natur überlebt allerdings kaum ein Anopheles-Moskito länger als 20 Tage. „Es können also eigentlich nur sehr wenige Mücken sein, die offenbar aber sehr viele Krankheitsfälle verursachen.“

Einwohner als menschliche Köder

Okumu und sein Team sind diesem Widerspruch mit Unterstützung der Bevölkerung auf den Grund gegangen. Gegen eine kleine Aufwandsentschädigung setzen sich Einwohner als menschlicher Köder stundenlang unter ein Moskitonetz mit angeschlossener Falle, um Daten über die Mückendichte zu verschiedenen Uhrzeiten zu gewinnen. Andere führen Buch darüber, was genau sie und sämtliche Familienmitglieder in Halbstundenintervallen zwischen sechs Uhr abends und sechs Uhr morgens tun. Ein weiterer Trumpf der Wissenschaftler: Sie verfügen über eine der größten Versuchsanlagen für Experimente mit Mücken weltweit. In den riesigen Gewächshäusern von „Moskito City“, wie das Gelände genannt wird, können die natürlichen Lebensverhältnisse der Insekten nachgestellt werden, inklusive kleiner Tümpel, Bananenstauden und Hütten, in denen sogar freiwillige Helfer übernachten.

Verschiedene Puzzlesteine beginnen, sich zu einem Bild zusammenzusetzen, das erklärt, wie die verbliebenen Malaria-Fälle zustande kommen. „Noch vor sechs, sieben Jahren waren 90 Prozent aller Anopheles-Mücken, die wir hier gefangen haben, von der Art Anopheles gambiae sensu strictu. Sehr effiziente Malaria-Überträger, die nur Menschen stechen, und zwar nur nachts, innerhalb der Häuser. Diese Art ist heute aufgrund der Moskitonetze so gut wie verschwunden“, sagt Fredros Okumu. Dafür haben sich andere der insgesamt rund 400 Anopheles-Subspezies breitgemacht: die beiden dominierenden Arten sind jetzt Anopheles arabiensis und Anopheles funestus.

Die "Bruce-Willis-Mücke" ist besonders gefürchtet

Die IHI-Forscher nennen sie „Bruce Willis unter den Anopheles-Mücken“, weil sie so flexibel, vielseitig und vor allem nicht totzukriegen sind. Anopheles arabiensis sticht auch Hühner oder Kühe, wenn sie nicht an Menschen herankommt. Anopheles funestus ist zwar viel seltener, trägt dafür aber häufiger als andere Arten Plasmodien in sich. Die Funestus-Mücken leben auch länger, sie stechen besonders aggressiv und sind gegen fast alle Insektizide resistent. Beide Arten, A. arabiensis und A. funestas, sind bereits in der Dämmerung aktiv und bleiben es, bis die Sonne aufgeht. Tatsächlich zeigen die Crowdsourcing-Daten, wie sehr sich die Insekten an die Menschen angepasst haben: Ihre Dichte erreicht in Ifakara zwischen acht und neun Uhr abends einen Höhepunkt – den Umfragen zufolge gehen die meisten Einwohner zwischen neun und zehn ins Bett. Ein zweiter Mücken-Peak tritt gegen fünf Uhr morgens auf, der Zeit, wo sehr viele Leute aufstehen.

Um Malaria komplett zurückzudrängen, wie es sich die Vereinten Nationen bis 2030 zum Ziel gesetzt haben, müssen Menschen also auch außerhalb ihrer Betten vor Mückenstichen sicher sein. Doch wie soll das gehen, in Ländern wie Tansania, wo das monatliche Durchschnittseinkommen bei 75 US-Dollar liegt? Die meisten Häuser und Hütten sind so klein, dass das Leben draußen stattfindet. Viele Menschen können sich nicht einmal Kerzen für ein schummriges Licht am Abend leisten. Schutzmaßnahmen müssen günstig, langlebig und wartungsarm sein, um hier eine spürbare Wirkung zu erzielen.

„Jeder hier ist schon mindestens einmal an Malaria erkrankt, jeder hat einen Bruder, eine Tante, einen Cousin, deren Kind an Malaria gestorben ist“, sagt Okumu. Für ihn und die Mitglieder seiner Arbeitsgruppe ist die Forschung deshalb ein direkter Weg, das Leben ihrer Familien zu verbessern. Gleichzeitig bremst niemand ihren Ideenreichtum: Nachdem eine ganze Wissenschaftlergeneration in Pension gegangen ist, haben am IHI viele junge Leute das Sagen. Die Mitglieder von Okumus Arbeitsgruppe sind alle unter 30. „Wir können alles ausprobieren und alle Fehler der Welt machen. Wir haben noch keinen Ruf zu verlieren.“

Resistenz gegen Insektizide wird immer häufiger

Also experimentieren sie. Eine Erfindung sind insektizid-getränkte Sisalmatten, die Mücken im Umkreis von bis zu fünf Metern einigermaßen zuverlässig fernhalten und in der Herstellung nur zwei Dollar kosten. Die Wirkung hält bis zu fünf Jahre an. „Ein Problem ist allerdings, dass die Mücken immer häufiger resistent gegen Insektizide werden“, sagt Nancy Matowo, eine junge Doktorandin, die mit Fredros Okumu zusammenarbeitet. WHO-Angaben zufolge sind die Überträger in 60 von 96 Ländern mit Malaria gegen mindestens eine Klasse von Verbindungen unempfindlich geworden. Äthiopien, Sudan und Afghanistan melden Moskitos, die gegen alle vier verfügbaren Klassen von Insektiziden resistent sind.

„Wir wollten deshalb eine Methode entwickeln, die Mücken sofort tötet, ohne Insektizide“, sagt Nancy Matowo. Das vorläufige Ergebnis ist die sogenannte Moskito Landing Box, ein schwarz angestrichener Kasten aus Holz, mit Lamellenöffnungen an den Seiten. Direkt hinter den Lamellen verbergen sich feine, unter Strom stehende Gitter, die Matowo und ihre Kollegen aus billigen Elektro-Fliegenklatschen ausgebaut haben. Ein kleiner Ventilator verbreitet einen nach menschlichem Schweiß riechenden Lockstoff.

Boxen locken Mücken an - und töten sie

Dazu eignen sich neben einer am IHI entwickelten Chemikalienmischung auch getragene Nylonsocken, wie Fredros Okumu vor einigen Jahren herausfand. Auch Kohlendioxid riecht für Mücken attraktiv. Das gewinnen Matowo und Okumu aus der Vergärung von Melasse mit Hefe, einem Abfallprodukt aus der Zuckerherstellung. „Sobald die Mücken, angezogen durch den Geruch, in die Box fliegen wollen, treffen sie auf das unter Spannung stehende Gitter und sterben“, erklärt Matowo. Der Strom stammt aus einer Solarzelle auf dem Deckel der Box und wird in einer Batterie zwischengespeichert. Zusätzlich kann die Box auch zwei bis drei Glühbirnen in angrenzenden Häusern speisen.

In der kontrollierten Umgebung von Moskito City erwies sich die Landing Box auf Distanzen von zehn Metern als deutlich attraktiver für Anopheles-Moskitos als Menschen. In einem Test über zwölf Nächte reduzierte die Anwesenheit einer Landing Box die Zahl der Moskitos, die versuchten, Versuchspersonen zu stechen, in jeder einzelnen Nacht um den Faktor vier. „Man muss auch bedenken, dass die Fallen unter realen Bedingungen nicht nur in unmittelbarer Nähe das Risiko von Menschen, gestochen zu werden, reduziert“, erklärt Matowo. „Die Mücken, die in der Falle getötet werden, können auch nicht mehr weiterfliegen, um jemand anders zu stechen, und sie können sich nicht mehr fortpflanzen.“ In Lupiro, einem Dorf in der Nähe von Ifakara soll nun eine Studie mit 20 Landing Boxes starten.

In der nächsten Phase der Malaria-Bekämpfung werde man Länder in Regionen mit unterschiedlichen Malaria-Übertragungsraten einteilen und für jede Region ein passendes Maßnahmenpaket schnüren, meint Fredros Okumu. Eine Intervention gegen Anopheles-Schwärme steht dabei weiterhin auf seiner Liste. Doch die wird noch eine Weile warten müssen: Als Okumu den verabredeten Ort erreicht, steht die Sonne schon tief. Die Mücken sind weg. Er wird wiederkommen.

Julia Groß

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