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Vor allem im Süden Deutschlands nimmt die Schwere von Hochwassern zu.

© Patrick Pleul/dpa

Trend über 50 Jahre: Der Klimawandel lässt Flusspegel steigen

In Teilen Europas hat das Hochwasser-Ausmaß in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen. Auch Deutschland könnten dadurch Schäden drohen.

Klimawandel bedeutet nicht nur, dass es auf der Erde immer wärmer wird, sondern auch, dass sich die Niederschlagsmengen ändern. Lassen etwa starke Regenfälle Flüsse anschwellen, kann das zu verheerenden Überschwemmungen führen. Den Schweregrad solcher Hochwasserereignisse in Europa haben Wissenschaftler jetzt analysiert.

Demnach hat das Ausmaß von Flusshochwassern in den vergangenen 50 Jahren im Nordwesten Europas inklusive Deutschland stark zugenommen, im Osten und Süden des Kontinents jedoch abgenommen. Die Hauptursache dieser Entwicklungen ist der Klimawandel. Das ist das Ergebnis der bisher umfangreichsten Studie zu diesem Thema, an der fast 50 Wissenschaftler aus 24 europäischen Staaten beteiligt waren und die am Mittwoch im Fachblatt "Nature" veröffentlicht wurde.

Daten von 3700 Messstellen

Aus früheren Untersuchungen war bereits bekannt, dass der Klimawandel das zeitliche Muster von Flusshochwassern in Europa verändert. Mit der aktuellen Studie wollten die Wissenschaftler nun herausfinden, ob auch die Schwere beeinflusst wird. Durch die paneuropäische Kooperation war es nun erstmals möglich, auf eine riesige Datenmenge zuzugreifen.

Insgesamt analysierten die Wissenschaftler um den Studienleiter Günter Blöschl von der Technischen Universität Wien Daten von rund 3700 Messstellen aus dem Zeitraum von 1960 bis 2010. Diese Messstellen zeichnen auf, wie viel Wasser ein Fluss zu einem bestimmten Zeitpunkt führt. Als Hochwasser definierten die Forscher die größte Wassermenge pro Zeiteinheit (genannt "Abfluss") im jeweiligen Jahr.

Schwerere Hochwasser im Nordwesten Europas

Die Wissenschaftler zeichnen kein einheitliches Bild für Europa. So hat im Nordosten des Kontinents das Ausmaß der Flusshochwasser im vergangenen halben Jahrhundert deutlich zugenommen. Den größten Anstieg beobachteten sie im Norden Englands und im Süden Schottlands. Dort nahm die Wassermenge bei Hochwasser gegenüber dem langjährigen Mittelwert pro Jahrzehnt um elf Prozent zu.

Die Abbildung zeigt die regionalen Hochwassertrends aller Messstellen von 1960 bis 2010. In Nordwesteuropa (1) zeigt sich mehrheitlich eine Zunahme an Hochwasserereignissen, in Südeuropa (2) und Osteuropa (3) eine Abnahme. In Deutschland nimmt die Schwere von Flusshochwassern vor allem im Süden und teils auch im Westen zu.
Die Abbildung zeigt die regionalen Hochwassertrends aller Messstellen von 1960 bis 2010. In Nordwesteuropa (1) zeigt sich mehrheitlich eine Zunahme an Hochwasserereignissen, in Südeuropa (2) und Osteuropa (3) eine Abnahme. In Deutschland nimmt die Schwere von Flusshochwassern vor allem im Süden und teils auch im Westen zu.

© Abbildung: Günter Blöschl

Eine wichtige Ursache seien Änderungen in der atmosphärischen Zirkulation, sagt Leitautor Günter Blöschl: "Die großen Tiefdruckgebiete ziehen langsamer und weiter nördlich über Europa." Sind die Böden dann nahezu gesättigt, trägt jeder weitere Niederschlag zum Anstieg der Flusspegel bei.

"Da die Winterniederschläge in Nordwesteuropa in den letzten Jahrzehnten gestiegen sind, ist auch das Ausmaß der Flusshochwasser gestiegen", sagte Bruno Merz, Hydrologe am Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) und Mitautor der Studie, dem Tagesspiegel.

Weniger Niederschlag, mehr Sturzfluten

Anders ist die Situation im Süden und Osten Europas. Dort führen die Flüsse bei Hochwasser immer weniger Wasser. In Teilen Russlands ging die Menge pro Jahrzehnt gar um 23 Prozent zurück. "In Russland ist die Temperatur um rund zwei Grad gestiegen", sagt Blöschl. Das bedeute weniger Schnee, und damit sinke auch die Hochwassergefahr. Das liegt daran, dass im Winter mehr Niederschlag als Regen und weniger als Schnee fällt. Deshalb fließt ein Teil des Wassers schon im Winter ab und verursacht dann im Frühjahr bei der Schneeschmelze kein Hochwasser.

In Südeuropa dagegen fällt weniger Niederschlag als früher, durch steigende Temperaturen verdunstet zusätzlich immer mehr Wasser aus den Böden, was sich auch auf die Flusspegel auswirkt. Merz betont, dass parallel zu diesem Trend in Süd- und Osteuropa immer mehr Sturzfluten zu erwarten seien. Diese kurzanhaltenden, kleinräumigen Niederschläge werden oft durch Gewitter ausgelöst und werden vom Klimawandel beeinflusst, etwa weil warme Luft mehr Wasser aufnehmen kann.

Mehr Hochwasser in Süddeutschland, weniger in Berlin

Deutschland liegt Bruno Merz zufolge in einer Übergangszone. Größere Teile seien durch Winter-Hochwasser geprägt, im Süden und Osten träten die Hochwasser jedoch tendenziell im Sommer auf. "Die Beobachtungen weisen auf eine Zunahme der Hochwasserschwere im Süden und auf eine Abnahme im Nordosten Deutschlands hin", sagt Merz. Besonders in Teilen Bayerns zeigen die Daten einen deutlichen Anstieg, während im Nordosten mit Berlin und Brandenburg ein rückläufiger Trend bei der Hochwasserschwere zu verzeichnen ist.

Die Forscher schreiben, dass ihre Ergebnisse die bisher eindeutigste Verknüpfung zwischen dem Klimawandel und Hochwasserereignissen zeigen. Dabei ist es gar nicht so einfach, aus den Beobachtungsdaten den Effekt des menschengemachten Klimawandels herauszufiltern. Die Daten beinhalten daneben auch viele andere Einflüsse, etwa natürliche Klimavariationen, den Bau von Rückhaltebecken, Flussbaumaßnahmen oder Änderungen in der landwirtschaftlichen Nutzung. "Wegen der vielen Faktoren, sagt Merz, "würde man normalerweise kaum räumlich konsistente Muster erwarten." Aber genau solche Muster haben die Forscher gefunden.

Merz sagt, die Ergebnisse hätten über größere Regionen ziemlich genau zu den Veränderungen von Klimavariablen wie Niederschlag, Schneeschmelze oder Bodenfeuchte gepasst, die die Forscher erwartet hatten. "Gerade weil wir regionale Muster sehen und weil diese Muster mit Veränderungen von Klimavariablen übereinstimmen, kann es nur das Klima sein."

90 Milliarden Euro Schäden durch Flusshochwasser

Aus den Beobachtungsdaten können die Wissenschaftler keine Trends für die Zukunft ableiten. Sie halten es aber aufgrund von Klimamodellen aber für wahrscheinlich, dass sich die bisherigen Trends bei Niederschlag und Temperatur in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen. Das könnte dazu führen, dass sich das Hochwasserrisiko in vielen Gebieten Europas deutlich erhöht.

Schon jetzt verursachen über die Ufer tretende Flüsse weltweit Schäden von mehr als 90 Milliarden Euro jährlich. Das hat nicht zuletzt auch katastrophale Folgen für Hunderttausende Menschen, die dadurch ihre Existenz verlieren.

Die Autoren betonen deshalb, wie wichtig eine europaweite Langzeitüberwachung der Hochwasserereignisse ist. Außerdem müsse man zum Beispiel Bauwerke so anlegen, dass sie in 20 oder 30 Jahren mit vertretbarem Aufwand an die veränderte Situation angepasst werden könnten, sagt Merz. Auch beim Bau von Deichen und Hochwasserrückhaltebecken müsse man die neuen Erkenntnisse beachten. "Es ist notwendig, den Klimawandel beim Hochwasserschutz mitzudenken." (mit dpa)

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