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Simulation einer Station auf einem fernen Planeten.

© imago images / CHROMORANGE

Traum von der ersten Geburt im All: Die Weltraumnation Asgardia trifft sich in Darmstadt

Bei einer internationalen Konferenz diskutieren Forscher, wie Leben im All gelingen könnte. Die Hintergründe erscheinen allerdings etwas seltsam.

Für manche ist es ein Traum, für andere ein Albtraum: ein Leben jenseits der Erde, in einer Raumstation oder gar auf einem anderen Himmelskörper. In unzähligen Büchern und Filmen wird diese Idee aufgegriffen und der Stoff mal euphorisch, mal düster interpretiert. Was bisher unter Science-Fiction einsortiert wird, erscheint nun zumindest denkbar. Staatliche Agenturen wie die Nasa und die Esa wollen längerfristige Aufenthalte auf Mond und Mars ermöglichen, auch Unternehmer wie SpaceX-Gründer Elon Musk sind von dieser Vision getrieben.

Längst ergründen Forscher, was extraterrestrisches Leben für den Menschen bedeutet und wie er sich vor Gefahren schützen kann. Denn, das hat man in sechs Jahrzehnten bemannter Raumfahrt gelernt, der Aufenthalt im All ist physisch und psychisch extrem anstrengend.

„Es ist höchste Zeit, dass Forscherinnen und Forscher ihre Erkenntnisse zusammentragen und diskutieren, wie Leben jenseits der Erde gelingen kann“, sagt Floris Wuyts von der Universität Antwerpen. Genau darum soll es bei der Konferenz „Paving the Road to Living in Space“ gehen, die vom 14. bis 16. Oktober in Darmstadt stattfindet.

Der Ort erscheint naheliegend, schließlich befindet sich in Darmstadt das ESOC, das Raumfahrtkontrollzentrum der Esa. Und genau dort sollte die Konferenz auch stattfinden, auf Einladung des ESOC-Direktors Rolf Densing. Doch nachdem einige seiner Mitarbeiter Kritik geäußert hatten, sind die Veranstalter in ein nahe gelegenes Kongresszentrum gewechselt, um Konflikte zu vermeiden, sagt er.

"Weltraumnation" Asgardia will kosmische Arche Noah

Die Organisatoren gehören nämlich nicht zu den staatlich finanzierten Einrichtungen oder bekannten Firmen der Branche, sondern es handelt sich um „Asgardia“, die selbst ernannte „erste Weltraumnation“. Gegründet 2017 von Igor Ashurbeyli, nach eigenen Angaben Raumfahrtwissenschaftler, Visionär und Philanthrop aus Aserbaidschan. Das gesamte Territorium Asgardias befindet sich im Weltraum, in Gestalt eines Satelliten, der kleiner ist als ein Maxipack Pampers und seit zwei Jahren in 450 Kilometern Höhe um die Erde kreist.

Bürger Asgardias kann jeder werden, der die Verfassung unterstützt. Sie fordert Gleichheit für alle, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion und so weiter. Asgardia will für „dauerhaften Frieden im Weltraum sorgen“ und das „Wohlergehen der gesamten Menschheit fördern“. Mehr als eine Million Erdenbewohner ist bereits beigetreten, ist in einer Broschüre zu lesen, die wie eine Mischung aus Raumfahrtmagazin und „Der Wachtturm“ daherkommt. Um die Hauptmission Asgardias zu erfüllen, die Geburt des ersten Menschen im All, müssen drei wissenschaftliche und technologische Herausforderungen gelöst werden: künstliche Schwerkraft, Schutz vor Weltraumstrahlung und die Schaffung einer kosmischen „Arche Noah“, steht auf Seite 8 der Broschüre geschrieben.

Igor Ashurbeyli, der Begründer der "ersten Weltraumnation" 2018 in Wien bei einer Argardia-Veranstaltung.
Igor Ashurbeyli, der Begründer der "ersten Weltraumnation" 2018 in Wien bei einer Asgardia-Veranstaltung.

© Lisi Niesner/REUTERS

Dafür ist Floris Wuyts zuständig – als Wissenschaftsminister. Die Konferenz, deren Präsident er ist, soll ein erster Schritt dahin sein. Das Programm sieht solide aus, Expertinnen und Experten von Nasa, Esa und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sind gelistet, vom Massachusetts Institute of Technology und der Russischen Akademie der Wissenschaften. „Es wird keine Nebenveranstaltungen geben, alle Teilnehmer müssen sich gegenseitig zuhören“, erläutert Wuyts. „Das soll den Horizont erweitern und helfen, die eigene Forschung besser im Zusammenhang zu sehen.“

Wuyts wird über die Wirkung fehlender Schwerkraft sprechen, die er an 50 Astronauten untersucht hat. „Knochen, Muskeln, das Herz-Kreislauf-System, das Gehirn – all das hat sich über Jahrmillionen bei dauerhaft vorhandener Schwerkraft entwickelt.“ Fehlt sie, werden die Körperfunktionen beeinträchtigt. „Daher brauchen wir bei langen Aufenthalten im All eine künstlich erzeugte Schwerkraft, zum Beispiel durch Raumstationen, die wie in einem Stanley-Kubrick-Film einem rotierenden Donut ähneln.“

Der Vorteil von Asgardia gegenüber herkömmlichen Raumfahrtagenturen besteht seiner Meinung nach darin, dass eben nicht nur jene Fachleute angesprochen werden, die üblicherweise mit Nasa oder Esa kooperieren, sondern alle. „Wenn man wirklich alle Fachleute erreichen kann, sind die Chancen größer, wirkliche Fortschritte zu erzielen.“

Kongressplakat der Asgardia-Tagung in Darmstadt 2019.
Abgehoben. Bei der ersten Asgardia-Konferenz soll es darum gehen, "den Weg zum Leben ins All zu ebnen".

© Asgardia space

Manchen ESOC-Mitarbeitern war die Sache trotzdem nicht geheuer. Eine „Weltraumnation“, die mit einem Staatsoberhaupt und Ministern organisiert ist, das sei ungewohnt, nennt Densing ein Argument der Kritiker. Kritisiert werde auch, dass eine Verbindung zur Rüstungsindustrie bestehe. „Aber das ist bei der institutionellen Raumfahrt genauso“, meint der ESOC-Leiter. Er sieht viele Gemeinsamkeiten wie die friedliche Nutzung des Weltraums und die astronautische Raumfahrt und habe daher Asgardia explizit eingeladen, die Konferenz im ESOC auszurichten, jedoch ohne eine finanzielle oder materielle Unterstützung vonseiten der Esa.

Auch die Strahlenbiologin Christine Hellweg vom DLR hält die Konferenz für lohnend, unter anderem weil Wissenschaftler aus unterschiedlichen Themengebieten zusammenkommen. Sie wird von ihren Forschungen zur Strahlengefahr berichten. Außerhalb des schützenden Erdmagnetfelds sind die Teilchen des Sonnenwinds sowie aus den Tiefen des Alls ein erhebliches Problem. „Sie durchdringen den Körper und können Erbgutstränge beschädigen“, sagt Hellweg.

Der Verlust an Erbinformation könne ein erster Schritt in Richtung Krebsentstehung sein oder den Stoffwechsel verändern. Auch das Gehirn werde durch hochenergetische Teilchen geschädigt. Nasa-Studien an Nagetieren hätten gezeigt, dass das Erinnerungsvermögen zurückgehe, die Tiere depressiv und weniger entscheidungsstark würden, berichtet die Forscherin. Mit Experimenten an Teilchenbeschleunigern untersucht sie, welche Prozesse zu den beobachteten Effekten führen. „Das Problem: Ich bekomme vielleicht sechs Stunden Messzeit, aber ich bräuchte sechs Monate, um realistisch die Effekte der Exposition zu messen“, sagt Hellweg. Das erschwere es, die Wirkung auf den Menschen abzuschätzen.

Warten auf den Technologie-Sprung

In jedem Fall sei eine Abschirmung notwendig – in Raumschiffen durch wassergefüllte Wände oder Kunststoffe mit einem hohen Wasserstoffanteil. Auf Himmelskörpern wie Mond und Mars sei es unbedingt hilfreich, Wohnmodule unter einer Schicht von örtlichem Sand und Gestein zu verbergen, um den Strahlenschutz zu erhöhen. „Zudem ist ein Frühwarnsystem nötig, das vor Strahlungsausbrüchen der Sonne warnt, damit die Menschen schnell geschützte Räume aufsuchen.“

Die Forscherin ist sicher, dass die strahlungsbezogenen Probleme technisch lösbar sind. Bis Menschen für längere Zeit fern der Erde leben, werde es noch mehrere Dekaden dauern, sagt sie.

Klaus Slenzka sieht das ähnlich, vor allem weil die Startkosten ins All für Mensch und Material noch immer sehr hoch seien. „Wenn es hier einen Technologiesprung gibt, kann es aber auch viel schneller gehen.“ Der Biologe leitet den Bereich Lebenswissenschaften beim Bremer Raumfahrtkonzern OHB und steht ebenfalls auf der Rednerliste der Asgardia-Konferenz.

„Ich kenne Floris Wuyts persönlich als einen guten Wissenschaftler; nun bin ich neugierig, ob da was Tragfähiges herauskommt, und will es einfach mal ausprobieren“, sagt Slenzka. Mit seinem Team forscht er an Photobioreaktoren, in denen Algen wachsen, die Sauerstoff liefern und Kohlendioxid aufnehmen. Die Idee, Menschen vorrangig mit diesem Grünzeug zu ernähren, hält er übrigens für Unsinn: „Schwer verdaulich.“ Stattdessen nutzt er die Biomasse für 3-D-Druck, um beispielsweise medizinische Geräte wie Gefäßklammern herzustellen. „Nach dem Gebrauch können sie gehäckselt und wieder in den Reaktor gegeben werden“, sagt Slenzka. Dieses Beispiel zeigt, dass Forschung für ferne Weltraumreisen durchaus schon heute auf der Erde nützlich sein können. Die Verwertung im Reaktor spare Müll, der bisher teuer entsorgt werden muss.

Neben aller Begeisterung für die Raumfahrt dürfe die ethische Dimension nicht übersehen werden, betont Slenzka. Er habe Experimente mit Fischen gemacht, die mit dem Spaceshuttle ins All geschickt wurden: Nach zehn Tagen Schwerelosigkeit seien sie komisch geschwommen, nach 16 Tagen konnten sie es gar nicht mehr. „Das zeigt, wie schnell Anpassung stattfindet.“ Wenn sich nun Menschen über zwei, drei Generationen an einem Ort mit geringerer Schwerkraft befänden, etwa Mond oder Mars, so würde das Folgen haben, sagt Slenzka. „Womöglich wären sie überfordert, wenn sie auf ihren Heimatplaneten, die Erde, kommen.“

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