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Gegen den derzeitigen Coronavirus aus China gibt es keinen Impfstoff. In Tübingen wird eine Vakzintechnologie entwickelt, die in kurzer Zeit Millionen Impfdosen produzieren könnte.

© Curevac

Therapieansätze gegen das Wuhan-Virus: Deutsche Forscher entwickeln Impfstoffe gegen Coronaviren

Jahrelang war das Interesse an der Erforschung von Coronaviren gering. Jetzt schaut die Welt, was aus den Biologie-Labors gegen die Seuche helfen könnte.

Nun ist das Coronavirus, wie zu erwarten, auch in Deutschland angekommen. Spätestens jetzt dürfte auch all jenen, die sich für Forschung „nicht interessieren“ klar sein, wie wichtig eine starke und gutfinanzierte Wissenschaftslandschaft ist, die ständig nach neuen Impfstoffen und Medikamenten selbst gegen vermeintlich „obskure“ Krankheiten sucht.

Und tatsächlich haben deutsche Wissenschaftler sogar mehr als nur Ideen, wie sich die Viruserkrankung behandeln lassen könnte und wie Menschen vor einer Infektion künftig geschützt werden könnten.

Da ist beispielsweise die Tübinger Firma Curevac. Sie entwickelt Impfstoffe, deren Herstellung nicht wie die bisherige Vakzinproduktion Monate und Jahre braucht, sondern binnen sechs bis sieben Wochen bewerkstelligt werden könnte. Sollte sich der Ausbruch weiter, weltweit, ausbreiten, wie Forscher es derzeit für wahrscheinlich halten, wäre ein Impfstoff dringend nötig.

Der Weg zum Impfstoff ist lang – gibt es Abkürzungen?

Um einen Impfstoff herzustellen, braucht es ein Stück vom Virus, etwa ein Protein aus der Hülle des Erregers. Wird dieses Protein in den Körper eines Menschen gespritzt, reagieren bestimmte Immunzellen im Blut, produzieren Antikörper und beseitigen den Eindringling. Außerdem „merken” sich die Zellen das Virusprotein.

Greifen nun Viren den Körper an, in deren Hülle dieses Protein vorkommt, erkennen die Immunzellen es wieder und reagieren sehr viel schneller und können den Körper so gut schützen, dass er nicht mehr erkrankt.

Der Haken ist, dass die Produktion der Proteine in großen Mengen, also für viele Millionen Impfdosen, Zeit kostet. Mitunter muss erst eine Fabrik gebaut werden, in der Zellkulturen das Protein in ausreichender Menge produzieren. Insbesondere während einer Epidemie wie jetzt in China ist Zeit jedoch knapp.

Hintergrund über das Coronavirus:

Curevacs Technik spart diese Phase ein. Der Biologe und Firmengründer Ingmar Hoerr entdeckte während seiner Doktorarbeit an der Universität Tübingen, dass es ausreicht, die Bauanleitung für ein Protein in den Körper zu spritzen, die so genannte Boten-RNA, um eine Immunreaktion auszulösen. Offenbar übersetzen die Zellen diese Boten-RNA selbst in das Protein, das dann von Immunzellen als fremd erkannt wird und das Immungedächtnis aufbaut.

„Diese Technik ist für verschiedene Erreger immer die gleiche”, sagt Mariola Fotin-Mleczek, Vorstandsmitglied von Curevac. Selbst wenn das Virus völlig neu ist, so wie Coronavirus 2019-nCoV, lässt sich im Prinzip immer die zu einem Virusprotein passende RNA produzieren, um einen Impfstoff daraus zu machen.

„Wir müssen nur die Erbgut-Sequenz des Virus kennen und wir müssen eine Vorstellung davon haben, welches Virus-Protein eine Immunreaktion hervorruft und Schutz gegen die Viren vermitteln kann.”

Beim Coronavirus weiß man aufgrund der Erfahrungen mit dem eng verwandten Sars-Virus, ebenfalls ein Coronavirus, das 2002/2003 eine Epidemie auslöste, dass ein Glycoprotein des Virus sich als Impfstoff eignen könnte. Wie man die RNA, die für dieses Glycoprotein kodiert, dann verpackt und schützt, damit sie unbeschadet in die Zellen gelangt und die Immunreaktion auslöst, das hat die Firma in den vergangenen Jahren bereits geklärt.

Ebenso stehen die Kapazitäten bereit, um ausreichend Impfdosen für Millionen Menschen zu produzieren. Denn während verschiedene Proteine immer auch verschiedene chemische Eigenschaften haben, unterscheiden sich RNA-Moleküle chemisch kaum voneinander, die vier Erbgutbausteine sind nur in anderer Reihenfolge angeordnet. Die Produktion könnte sogar mit mobilen Geräten, einem „RNA-Drucker“ in den betroffenen Regionen produziert werden.

 Gegen Tollwut funktioniert die RNA-Vakzine offenbar bereits

Dass die RNA-Vakzine grundsätzlich funktioniert, haben die Tübinger bereits gezeigt. In einer Phase I-Studie testeten sie eine RNA als Tollwut-Impfstoff bei gesunden Probanden. Nach nur zwei Injektionen von jeweils einem Tausendstel Milligramm der RNA in den Muskel konnte eine Immunantwort beobachtet werden, messbar an den schützenden Antikörpern gegen Tollwutviren, die der Körper in allen Fällen aufgrund der Impfung gebildet hatte.

Auch Tests mit RNA als Impfschutz gegen Coronaviren gibt es bereits. Versuchstiere wurden daraufhin gegen Mers, die im Nahen Osten verbreitete Coronavirus-Variante aus Kamelen, immun.

Curevac steht auch bereits mit dem Paul-Ehrlich-Institut in Kontakt, um zu besprechen, wie sich die Technologie der Tübinger möglichst rasch weiterentwickeln lässt, um so rasch wie möglich einen Impfstoff gegen Coronaviren zur Verfügung zu haben.

So müsse geklärt werden, ob und inwieweit die Daten über die Verträglichkeit des RNA-Impfstoffs gegen Tollwut ausreicht, um mit einem RNA-Impfstoff gegen Coronaviren auch ohne präklinische Tests sogleich Tests an Menschen durchzuführen – wenn doch die Wirksubstanz wieder RNA ist.

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„Das Interesse ist riesig, in dieser besonderen Situation neue Technologien zu nutzen, die ihre Sicherheit in Tests am Menschen bereits bewiesen haben und schnell produziert werden können”, sagt Lidia Oostvogels, Entwicklungschefin für Impfstoffe bei Curevac.

Sowohl die Impfstoff-Initiative „CEPI“ (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations), als auch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung unterstützen Curevacs Ansatz – auch weil die Technologie in Ländern geringeren Einkommens einsetzbar ist, RNA schnell und günstig zu produzieren ist und selbst in tropischer Hitze nicht gekühlt werden muss.

 Medikamente gegen die Viren gibt es noch nicht

Aber selbst wenn erste Tests eines RNA-Impfstoffs gegen Coronaviren am Menschen bald stattfinden sollten, wird es sicher noch Monate dauern, bis die Wirksamkeit festgestellt, große Mengen produziert und ein Impfstoff eingesetzt werden kann. Oder länger, wenn es Probleme geben sollte. “Wir sind noch immer in einer frühen Entwicklungsphase”, sagt Oostvogels.

Solange es noch keinen Impfschutz gibt, sind die Ärzte gefragt. Bislang können sie für die Patienten wenig mehr tun, als ihnen Flüssigkeit zuzuführen, sie zu beatmen und mit anderen Methoden den Selbstheilungsprozess, den Kampf des Immunsystems gegen die Viren zu unterstützen. Doch antivirale Medikamente, die auch gegen Coronaviren wirken könnten, sind bereits in Entwicklung – ebenfalls von einer Tübinger Biotech-Firma.

Anstatt Viren mit irgendwelchen Wirkstoffen direkt zu bekämpfen, gegen die die Erreger ohnehin rasch resistent würden, konzentriert sich die Forschung von Atriva auf körpereigene Stoffe (MEK genannt) in den Zellen, ohne die sich Viren wie Influenza, Sars, Mers und andere Viren mit RNA-Erbgut nicht vermehren können.

Die Firma entwickelt Wirkstoffe (MEK-Hemmstoffe), die diese vom Virus unbedingt benötigten Zellsubstanzen blockieren - und damit auch die Virusvermehrung. Ein Hemmstoff hat sich bereits in einer Phase-I-Studie an Menschen als sicher und verträglich herausgestellt. Nun soll noch in diesem oder Anfang nächsten Jahres gezeigt werden, ob der Hemmstoff “ATR002” Patienten wirksam helfen kann, die mit Influenza-Viren infiziert sind. 

Eine Studie mit Coronaviren ist nicht geplant, aber womöglich wären einzelne Heilversuche bei Patienten, denen keine anderen Optionen bleiben, sinnvoll, meint der Virologe Stephan Ludwig von der Universität Münster, einer der Entwickler der Atriva-Technologie. „Solche Möglichkeiten müssen jetzt diskutiert werden mit den jeweiligen Verantwortlichen in den Kliniken.”

Erste Hinweise, dass ein Hemmstoff Coronaviren stoppen könnte

Aus Zellkulturen gebe es erste Hinweise, dass die Technik auch gegen Coronaviren wirkt, sagt Ludwig. Das Medikament habe eine zweiarmige Aktivität. „Mit dem einen Arm agiert es direkt gegen den Erreger und mit dem anderen moduliert es das Immunsystem in einer günstigen Art und Weise.“

Es bremse eine überschießende Immunreaktion, wie sie bei hochpathogenen Erregern wie Sars auftreten. „Damit besteht die Chance, dass der Wirkstoff auch gegen Coronaviren wirksam ist“, sagt Ludwig und betont sofort, dass das aber nur „ein erster Hinweis sei – nicht mehr“.

Er stehe in Kontakt mit Coronavirus-Experten wie Christian Drosten an der Charité, um Proben zu bekommen, „damit wir unseren Wirkstoff direkt gegen das neue Coronavirus testen können.”

Und das möglichst schnell. „Dringlich sind diese Dinge immer und es wäre auch schon nach der Sars-Epidemie dringlich gewesen, Arzneien und Impfstoffe gegen Sars-Coronaviren zu entwickeln.” Auf der anderen Seite müsse man natürlich die gesetzlichen Vorgaben einhalten für die Entwicklung sicherer Medikamente.

Ludwig hofft, dass die derzeitige Coronavirus-Epidemie, so katastrophal sie für die Betroffenen ist, jetzt bessere Möglichkeiten für die Forschung und Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen schafft: „Was so eine Situation mit sich bringt, ist, dass dann auch Finanzierungen eher möglich sind, als das sonst der Fall ist.” Vor der Sars-Epidemie habe die Forschung an Coronaviren ein Schattendasein geführt, mit Sars wurde sie interessant und spätestens jetzt ist sie im Fokus aller Welt.

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