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Bei der Akupunktur werden Nadeln an bestimmte Punkte des Körpers gestochen. Ob das hilft, ist umstritten.

© Frank Rumpenhorst/dpa

Themenschwerpunkt Alternativmedizin: Was bringen Akupunktur und Osteopathie bei Neurodermitis?

Die Verfahren sind umstritten, ihre Wirksamkeit ist zweifelhaft. An der Charité soll jetzt geprüft werden, ob sie gegen die Hautkrankheit helfen.

Marie Lemke (Name geändert) hat schon vieles versucht: Sie probierte unzählige Cremes und Salben, stellte ihre Ernährung um, hoffte ihre Haut mit Wickeln, Seeklima und Lichttherapie zu beruhigen. Aber nichts davon half auf Dauer. Die 24-jährige Berliner Studentin hat seit ihrem ersten Lebensjahr Neurodermitis. Während die Krankheit sich bei vielen Kindern bis zum Jugendalter verliert, leiden einige auch noch als Erwachsene an Ausschlag, trockener Haut und quälendem Juckreiz. Vor zwei Jahren ließ Lemke dann ihre Kortisoncreme weg. "Ich habe Kortison nicht gut vertragen. Meine Haut wurde immer dünner, ich hatte Infekte. Für mich war das keine Lösung für immer", sagt Lemke. Aber auch ohne Kortison ging es ihr nicht besser, Anfang dieses Jahres konnte sie wegen des Juckens kaum noch schlafen.

Dann sah sie in der U-Bahn eine Werbeanzeige für eine neue Studie. Gesucht wurden Erwachsene mit Neurodermitis, die bereit wären, sich durch Akupunktur oder Osteopathie behandeln zu lassen. Lemke beschloss, es einmal zu versuchen: "Vor allem Akupunktur hatte mich schon lange interessiert."

Niemand weiß, wie viele sich wirklich akupunktieren lassen

Sie rief bei der Hochschulambulanz für Naturheilkunde der Berliner Charité an. Dort läuft die Studie seit Oktober 2017 unter dem Namen "Camatop" (Komplementär- und Alternativmedizin bei atopischer Dermatitis). Sie soll prüfen, ob Akupunktur und Osteopathie gegen Neurodermitis helfen können. "Viele Patienten nehmen naturheilkundliche und komplementärmedizinische Verfahren in Anspruch, obwohl für viele dieser Verfahren die Belege einer Wirksamkeit fehlen", sagt Studienleiter Benno Brinkhaus, Professor für Naturheilkunde und Leiter der Hochschulambulanz.

Wie viele Menschen in Deutschland Akupunktur und Osteopathie in Anspruch nehmen, ist unbekannt. Das liegt auch daran, dass die Methoden in den allermeisten Fällen privat bezahlt werden müssen und daher nicht zentral gezählt werden. Lediglich aus zwei Gründen können Ärzte seit 2007 Akupunktur als Kassenleistung verschreiben: bei chronischen Schmerzen der Lendenwirbelsäule und der Kniegelenke. Trotzdem gehen Forscher davon aus, dass etwa die Hälfte der erwachsenen Deutschen in den letzten Jahren mindestens eine Methode der Alternativmedizin ausprobiert haben. Dazu gehören außer Akupunktur und Osteopathie auch homöopathische und Naturheilmittel. Allerdings: Zu den meisten Methoden der Alternativmedizin existieren keinerlei wissenschaftliche Studien, die eine Wirksamkeit belegen.

"Wenn jemand durch Akupunktur weniger Kortison braucht, wäre das ein positiver Effekt"

Mit dem Begriff "Alternativmedizin" hat das Team der Naturheilkunde-Ambulanz sowieso ein Problem: "Das, was wir tun, ist nicht alternativ zur schulmedizinischen Behandlung, sondern komplementär und ergänzend", sagt Studienkoordinatorin Gabriele Rotter. Sie ist Fachärztin für Orthopädie und hat einen Master in Osteopathie. "Die Basis unserer Behandlungen ist immer die Schulmedizin. Wir würden niemals jemandem sagen, er soll das Kortison absetzen und dann schauen wir mal. Es kann aber sein, dass jemand während der Studie weniger Kortison braucht. Das wäre ein positiver Effekt, das wollen wir herausfinden."

Kortison ist neben Pflegecremes nach wie vor das Standardmedikament bei Neurodermitis. Es wirkt, indem es die überschießende Reaktion des Immunsystems eindämmt. Dauerhaft kann es jedoch zu einer dünneren Haut, Knochenentkalkung, häufigeren Infekten und einem erhöhten Diabetesrisiko führen.

"Deshalb ist eine Langzeitbehandlung mit Kortison bei den Patienten nicht sehr beliebt. Und bei neu auf den Markt gekommenen Medikamenten ist häufig nicht klar, ob es bei längerer Einnahme zu Nebeneffekten kommt", sagt Brinkhaus. Auch darum, so seine Vermutung, interessieren sich Menschen für komplementäre Methoden. "Weil sie vermeintlich sicherer sind."

"Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Akupunktur sind kleinere Blutungen und blaue Flecken an einzelnen Einstichstellen und der Schmerz beim Nadelstich", sagt Klaus Linde, Professor am Institut für Allgemeinmedizin an der TU München und Komplementärmedizin-Forscher. "Die wichtigste, aber sehr seltene, Komplikation bei der Akupunktur ist eine Verletzung der Lunge. Insgesamt sind die Risiken aber gering."

Das Konzept widerspricht der Wissenschaft

Akupunktur zählt zur Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Sie geht davon aus, dass eine Lebensenergie existiert, die auf bestimmten Leitbahnen den Körper durchfließt und mit ihren Anteilen Yin und Yang alle Körperfunktionen beeinflusst. Krankheiten sind nach dieser Theorie die Folge eines gestörten Gleichgewichts der Energieanteile. Mit Nadelstichen an definierten Punkten soll das Gleichgewicht wieder hergestellt werden.

Dieses Konzept widerspricht jedoch wissenschaftlichen Erkenntnissen. Forscher gehen stattdessen davon aus, dass durch die Einstiche das Gewebe um die Punkte herum gereizt wird und im Gehirn Endorphine ausgeschüttet werden. Das könnte  einen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung haben. Auch soll Akupunktur die Ausschüttung von Botenstoffe reduzieren, die Entzündungen und Juckreiz fördern. So war die Methode in einer Studie bei künstlich ausgelöstem Juckreiz genauso wirksam wie Medikamente. Eine Metaanalyse kam 2016 zu dem Schluss, dass sich Akupunktur als "nützliche ergänzende Therapie" erweisen könnte, um Juckreiz bei Neurodermitikern zu reduzieren.

Viele Grundlagenforscher gehen jedoch davon aus, dass eher die Stiche an sich und nicht ihre genaue Lokalisation für eine etwaige Wirkung verantwortlich sein könnten. "Es scheint nicht so zu sein, dass es völlig egal ist, wohin man sticht. Aber das Ausmaß an Punktspezifität, wie es Akupunkteure lehren und glauben, ist fraglich", sagt Linde.

Noch weitaus dürftiger ist die Studienlage bei der Osteopathie. Sie geht davon aus, dass der Körper eine Funktionseinheit ist und die Fähigkeit zur Selbstheilung besitzt. Diese Selbstheilungskräfte müsse man aktivieren. So soll man etwa aus Muskelverspannungen Rückschlüsse auf Probleme der inneren Organe ziehen und diese durch Druck- oder Zugtechniken behandeln können.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Osteopathie hingegen sind rar. Die Berliner Studie ist die erste, die untersucht, ob die Methode gegen Neurodermitis wirken kann. "Wir vermuten Einflüsse auf die Immunregulation und das vegetative Nervensystem. Aber das sind Hypothesen, die untersucht werden müssen, falls wir Hinweise für die Wirksamkeit finden", sagt Rotter.

Placebo – bei Akupunktur ein kontroverses Thema

Insgesamt 120 Neurodermitiker werden in der Camatop-Studie der Charité per Zufall in drei Gruppen eingeteilt: Vierzig Probanden erhalten Akupunktur, 40 weitere Osteopathie. Der Rest dient als Kontrollgruppe. "Während der Studiendauer dürfen die Probanden ihre bisherigen Medikamente weiter nehmen", sagt Brinkhaus. Vor, während und nach der Studie müssen sie angeben, wie stark ihr Juckreiz ist und ob sie mehr oder weniger Medikamente brauchten, um die Neurodermitis im Zaum zu halten. Zudem beurteilen externe Gutachter die Schwere des Ausschlags. Sie wissen nicht, welche Therapie die Probanden erhalten haben.

Auf eine Kontrollgruppe, die lediglich eine Schein-Behandlung erhält, verzichten die Forscher hingegen. Im Fall der Akupunktur wäre das die Sham-Akupunktur, bei der oberflächlich in Punkte gestochen wird, die nach der Lehre keine Wirkung haben sollen. Sie ist unter Forschern jedoch umstritten. "In Studien bei Kopfschmerzen zeigt auch die Sham-Akupunktur eine Wirkung. Wichtig scheinen die Nadelungsreize sowie psychologische Effekte zu sein, nicht nur die Punkte, in die man sticht", sagt Linde.

Die Studentin Marie Lemke wurde der Akupunktur-Gruppe zugewiesen. Sie erhielt insgesamt acht halbstündige Behandlungen. Besonders gut erinnert sie sich an den Abend nach der ersten Sitzung: "Ich saß nach zwei Monaten zum ersten Mal auf meinem Bett und habe einen Film geschaut, ohne mich ständig kratzen zu müssen." Zwar sei der Juckreiz jeweils ein paar Tage nach den Behandlungen zurückgekommen, aber schwächer als vorher, erinnert sich Lemke.

Ziel der Berliner Pilotstudie ist es, Hinweise darauf zu sammeln, ob Akupunktur und Osteopathie tatsächlich eine Auswirkung auf den Juckreiz und den Hautzustand bei Neurodermitis haben. "Wir können mit dieser Studie nichts beweisen, nur Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit sammeln. Wir wollen also wissen: Ist es sinnvoll, hier noch weiter zu forschen?", sagt Gabriele Rotter. Dann wollen die Forscher berechnen, wie viele Teilnehmer man für eine Folgestudie benötigen würde, um statistisch signifikante Ergebnisse zu erhalten.

Das Geld kommt von einem Betroffenen

Finanziert wird die Camatop-Studie mit 175.000 Euro von der Deutschen Neurodermitis Stiftung. Sie wurde 2017 vom Berliner Internetunternehmer Paul Scheuschner gegründet. Er ist selbst betroffen von Neurodermitis und behauptet auf seiner Webseite, durch Naturheilverfahren symptomfrei geworden zu sein. "Er ist auf uns zugekommen mit der Aussage, er wolle Studien aus dem Bereich Komplementärmedizin unterstützen, damit Verfahren, die sich bei Neurodermitis als wirksam erweisen, auch anderen Patienten zugute kommen", sagt Benno Brinkhaus. Die Förderung für die Studie komme von ihm, auf das Studiendesign habe Scheuschner aber "keinen größeren Einfluss gehabt". "Das folgt komplett unseren wissenschaftlichen Ansprüchen", betont Brinkhaus.

Prof. Benno Brinkhaus (r.) leitet die Camatop-Studie an der Charité, Dr. Gabriele Rotter koordiniert und Paul Scheuschner finanziert sie.
Prof. Benno Brinkhaus (r.) leitet die Camatop-Studie an der Charité, Dr. Gabriele Rotter koordiniert und Paul Scheuschner finanziert sie.

© Deutsche Neurodermitis Stiftung

Vor zwei Jahren hatte Scheuschner in einer Aktion jedem 500 Euro versprochen, der seine Neurodermitis bei einem Heilpraktiker behandeln ließ. Dabei akzeptierte er so wissenschaftlich unfundierte Methoden wie Eigenblut-, Bioresonanz- oder Vitamin-D-Therapie. Dass eine solche Aktion dem wissenschaftlichen Anspruch entgegensteht, den die Charité verkörpert, findet Brinkhaus nicht. "Herr Scheuschner ist Unternehmer und Betroffener, der auch an andere Betroffenen denkt." Dass er jetzt seriöse Forschung maßgeblich unterstütze, sei ihm "hoch anzurechnen". Doch Brinkhaus gibt zu: „Ohne seine finanzielle Unterstützung hätten wir die Studie nicht stemmen können."

Beweise wird die Studie keine liefern

"Es ist gut, dass jetzt eine solche Studie durchgeführt wird", sagt Stefan Beissert, Direktor der Klinik für Dermatologie am Universitätsklinikum Dresden. An seiner Klinik bietet er weder Akupunktur noch Osteopathie an, wegen der mangelnden Evidenz. "Wenn es gelänge zu zeigen, dass die Methoden den Juckreiz bei Neurodermitis-Patienten lindern können, wäre das eine tolle Sache."

Marie Lemkes letzte Akupunktur-Behandlung ist inzwischen vier Monate her. "Der Ausschlag ist besser geworden, beim Juckreiz gibt es stärkere und schwächere Tage, aber insgesamt hat er sich auf einem niedrigeren Niveau eingependelt."

Ob das an der Akupunktur liegt, oder an einem Placeboeffekt, oder etwas anderem, ist unklar. Auch, wenn im Sommer 2019 die Ergebnisse der Pilotstudie vorliegen, werden wohl keine eindeutigen Aussagen möglich sein. Das liegt vor allem an der geringen Teilnehmerzahl und der fehlenden Möglichkeit einer geeigneten Placebogruppe. Sollte es aber Hinweise auf Wirksamkeit geben, will Brinkhaus weiterforschen und dann auch untersuchen, auf welche Art und Weise die Nadeln wirken könnten. So oder so ist und bleibt der Bedarf an seriöser Erforschung der Komplementärmedizin groß.

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