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Über einem Bahnsteig der U3 hängt das Schild "Freie Universität/Thielplatz".

© Paul Zinken/dpa/picture alliance

Update

Tenure Track für alle nach der Promotion?: Streit um Dauerstellen für Postdocs in Berlin

GEW begrüßt geplante Regelung im Hochschulgesetz, sieht aber weniger große Auswirkungen als Unileitungen. Der FU-Präsident warnt davor, das System lahmzulegen.

„Befristung von Postdocs nur mit Tenure Track: alte Forderung der GEW. R2G packt’s jetzt an. Präsident*innen und Rektor*innen laufen Amok.“ So fasst Andreas Keller, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), auf Twitter zusammen, worüber derzeit die scientific community staunt und streitet.

Die Gewerkschaft jubelt, die Betroffenen sind vorsichtig optimistisch – und die Berliner Universitätsleitungen fühlen sich überrumpelt und warnen vor dramatischen Folgeschäden. Eine solche Regelung würde zu einer „zementierten Personalstruktur” führen, nachfolgende Generationen hätten „auf Jahre und Jahrzehnte“ keine Karriereperspektiven an der Uni, erklärte die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten (LKRP).

Dem widerspricht Larissa Klinzing vom Vorstand der Landesvereinigung akademischer Mittelbau und der Abteilung Wissenschaft der GEW Berlin: Die Bedrohung durch eine „zementierte Personalstruktur“ würde einem Faktencheck nicht standhalten.

"... ist eine Anschlusszusage zu vereinbaren"

Der Anteil der Promovierten, die eine Habilitation oder vergleichbare Qualifikation bereits haben und damit Anwärter für die neuen Dauerstellen wären, lägen in Berlin – ebenso wie bundesweit – bislang unter zehn Prozent.

Auslöser ist der Entwurf zur Novelle des Berliner Hochschulgesetzes, der am Mittwochabend im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses beschlossen wurde und am 2. September im Plenum mit den Stimmen der Rot-rot-grünen Koalition (R2G) verabschiedet werden könnte.

In der neuesten Fassung steht in Paragraf 110, Absatz 6, tatsächlich, was Gewerkschaften und Mittelbau-Aktivisten seit langem fordern – die zwingende Entfristung einer größeren Gruppe von Postdocs mit Zeitverträgen.

Im Wortlaut: „Sofern die wissenschaftliche Mitarbeiterin oder der wissenschaftliche Mitarbeiter bereits promoviert ist und es sich bei dem Arbeitsvertrag genannten Qualifikationsziel um eine Habilitation, ein Habilitationsäquivalent, den Erwerb von Lehrerfahrung und Lehrbefähigung oder um sonstige Leistungen zum Erwerb der Berufungsfähigkeit (…) handelt, ist eine Anschlusszusage zu vereinbaren.“

Ein Porträtbild von Günter M. Ziegler mit dem Wappen der Freien Universität.
Günter M. Ziegler, der Präsident der Freien Universität Berlin, will "eine Vielfalt von Karrierewegen" anbieten.

© Thilo Rückeis

„Ich lese das so, dass fast jeder Postdoc auf einer Qualifikationsstelle eine Anschlusszusage bekommen muss – und das kann nicht funktionieren“, sagte Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin, dem Tagesspiegel. „Damit kegeln wir Berlin aus dem bundesweiten Wettbewerb.“

Die großen Sonderforschungsbereiche oder Exzellenzprojekte, von denen die Berliner Unis überdurchschnittlich viele von der DFG oder von der EU einwerben, sind grundsätzlich befristet. „Doch an die darin beschäftigten PostDocs, die ja auch im Projekt mitarbeiten, um sich zu qualifizieren, würde man sich dauerhaft binden müssen“, sagt Ziegler.

Dauerstellen? Im Prinzip ja, aber nicht für alle

In solchen Projekten sei es für die Karriere gar nicht notwendig, eine Anschlussstelle an derselben Uni vorzuhalten. „Die Mitarbeit in Vorhaben dieser Art ist eine große Sache im Lebenslauf, das sind nicht Leute, die an einer Uni hängenbleiben, die möchten Erfahrungen sammeln, sich noch weiterentwickeln.“ Forschungsgruppenleiter:innen oder Juniorprofs aus SFB oder ERC-Projekten würden häufig vor deren Ablauf „wegberufen“.

Die Bewegung junger Forschender und Lehrender unter dem Twitter-Hashtag IchBinHanna nennt Ziegler gleichwohl „wichtig und richtig“. Unis und Forschungsinstitute müssten „über Einzelfälle hinaus das System verbessern“, um sicherere, transparentere und planbare Karrierewege zu schaffen.

„Aber das geht nicht, indem man das System lahmlegt.“ Der FU-Präsident verweist auf die Berufungsstrategie seiner Uni, nach der in der Regel keine W1- oder W2-Professur ohne Tenure Track ausgeschrieben werden solle, was aber nur für Haushalts- und nicht für Projektstellen gilt.

„Anschlusszusagen“ auch für Postdocs auf einer der neuen Hochschuldozenturen oder für Daueraufgaben in experimentellen Fächern kann sich Ziegler als Option vorstellen. „Wir brauchen eine Vielfalt von Modellen und Karrierewegen.“

"Keine Lösungsvorschläge der LKRP" für Gute Arbeit

Schon in den Hochschulverträgen für die Jahre 2018 bis 2022 hatten die Unileitungen versprochen, „Berlin zum Vorbild für gute Arbeit in der Wissenschaft“ zu machen. Dazu sollten auch Personalentwicklungskonzepte für mehr Dauerstellen zählen. Während Ziegler dies erfüllt sieht, kritisiert Larissa Klinzing, dass die Versprechungen weitgehend wirkungslos geblieben seien.

Die LKRP habe auch im 2018 gegründeten Forum „Gute Arbeit an den Berliner Hochschulen“ keine Lösungsvorschläge für die Verbesserung der schwierigen Lage der befristet beschäftigten Wissenschaftler:innen gemacht.

Mit der Novelle würde nun zwar endlich ein „verbindlicher Tenure Track für Postdocs“ eingeführt, sagt Klinzing, die auch Mitinitiatorin von #IchBinHanna in Berlin ist. „Die Entscheidung über die Einrichtung solcher Stellen aber liegt bei den Hochschulgremien der akademischen Selbstverwaltung.“

Wenn das Gesetz also wie erwartet ohne weitere Veränderungen in Kraft tritt, bliebe der Weg zu konkreten Dauerstellen unterhalb der Professur noch immer weit.

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