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Der Drang zum Daddeln hat bei vier Prozent der 14- bis 16-Jährigen krankhaften Charakter, schätzt eine Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest.

© Swen Pförtner/dpa picture alliance

Suchtverhalten: Daddeln bis der Arzt kommt

Computerspiele und exzessives Chatten können für Jugendliche zur Gefahr werden, warnen Psychiater.

Das kleine Mädchen langweilt sich, weil es beim Friseur warten muss, bis seine Mutter endlich fertig ist. Ein-, zwei-, dreimal bettelt es nach deren Smartphone, um einen Film anzuschauen. Erfolglos. Dann fängt es an, auf dem großen Spiegel herumzuwischen. „Ich hab selber ein Handy!“ Diese kleine Episode erzählte der österreichische Kinderpsychiater und Schriftsteller Paulus Hochgatterer auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Ulm. Sie macht Mut, auf die Kreativität und Spielfreude der Kleinsten zu vertrauen, auch im „digitalen Zeitalter“.

Täglich 200 Minuten online

Nichts dürfte derzeit so oft zu Konflikten zwischen Eltern und Kindern führen wie die kleinen rechteckigen Dinger, mit denen man fast überall und jederzeit online sein, spielen und kommunizieren kann. Wie die JIM-Studie (für: Jugend, Information, Multimedia) des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest zeigt, verfügten im Jahr 2016 95 Prozent der 12- bis 19-Jährigen über ein internetfähiges Handy. Im Schnitt sind die Heranwachsenden 200 Minuten täglich online. Für die Mädchen haben dabei vor allem die sozialen Netzwerke Bedeutung, für die Jungen eher Spiele und YouTube. Die Tücken des Internets sind auf jeden Fall kein reines Jungen-Thema.

Dass kleine Kinder nicht derart viel Zeit vor Bildschirmen verbringen sollten, darüber sind sich Pädagogen, Ärzte und Psychologen einig. Doch wie viel ist zu viel, wenn aus Kindern Jugendliche werden?

Pathologische Internetnutzung bei vier Prozent der Jugendlichen

Eine griffige Definition für problematische oder pathologische Internetnutzung stammt aus einer Studie von Silvia Kratzer: „Pathologische Internetnutzung ist die Unfähigkeit von Individuen, ihre Nutzung zu kontrollieren, wenn diese zu bedeutsamem Leiden und/oder Beeinträchtigung der Funktionalität im Alltag führt.“ Gemäß der „Pinta-Diari“-Studie, die 2013 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums von der Uni Lübeck durchgeführt wurde, trifft diese Beschreibung auf knapp vier Prozent der 14- bis 16-Jährigen zu, „problematische“ Internetnutzung liege bei fast zehn Prozent vor. In der JIM-Befragung gaben aber sieben von zehn Jugendlichen an, sie verbrächten „zu viel“ Zeit am Handy, über die Hälfte der Befragten fühlen sich ab und zu von dem Gerät „genervt“.

„Meist kommen die Jugendlichen mit dem Ziel, in der Schule besser zu werden, sie möchten aber nichts an ihrem Verhalten ändern“, sagt Tobias Renner von der Uni Tübingen. Den Kinder- und Jugendpsychiatern und Psychologen stehen dann für ihre Diagnostik Tests wie die Compulsive Internet Addiction Scale zur Verfügung. Gemäß dem in Deutschland geltenden Kodierungssystem ICD-10 werden damit „Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“, „Pathologisches Spielen“ oder laut US-System DSM-5„Online-Gaming-Disorder“ diagnostiziert.

Viereinhalb Stunden Daddeln pro Tag

Zu dieser Online-Spielsucht existiert die meiste Forschung. Der Psychologe Florian Rehbein vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen stellte auf dem Kongress Ergebnisse einer zweijährigen Längsschnittstudie zur Internetspielsucht vor, für die fast 4500 Schülerinnen und Schüler aus den Klassen sieben bis zehn zu verschiedenen Zeitpunkten befragt wurden. Die größte Stabilität im Verhalten über die Jahre zeigte sich dabei bei Heranwachsenden, die schon bei der ersten Befragung mit über viereinhalb Stunden täglich zu den Viel- und Exzessiv-Spielern gehörten. Häufig konnten Schüler, die zu einem frühen Zeitpunkt so ausgiebig spielten, später nicht mehr erreicht werden. Um diese Jugendlichen macht sich der Psychologe am meisten Sorgen. Einen Grund zur Behandlung gibt es dann, wenn Menschen selbst darunter leiden, dass sie ihr Verhalten nicht in den Griff bekommen. Bei Jugendlichen kommt hinzu, dass ihre Entwicklung durch das ausufernde Spielen gefährdet ist, weil Zeitfenster für entscheidende Lebensaufgaben in der Ausbildung und im privaten Leben verstreichen.

In der Therapie komme es darauf an, den Jugendlichen Interesse und Verständnis entgegen zu bringen, sagte Renner. „Zugleich müssen wir aber auch eine klare Haltung einnehmen, mit ihnen Selbstbeschränkungen vereinbaren und Kontrolle installieren.“

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