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Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam (MMZ).

© Ottmar Winter

Update

Suche nach der jüdischen Diaspora: Miriam Rürup leitet nun das Potsdamer MMZ

Historikerin Miriam Rürup übernimmt von Gründungsdirektor Julius H. Schoeps die Leitung des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien.

Die Historikerin Miriam Rürup wird zum 1. Dezember neue Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam (MMZ). Rürup, Jahrgang 1973, war seit 2012 Direktorin des Hamburger Instituts für die Geschichte der deutschen Juden. Sie folgt auf MMZ-Gründungsdirektor Julius H. Schoeps.

Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) sagte zur Ernennung von Rürup zur Professorin der Uni Potsdam,  dass mit ihr eine „hoch kompetente neue Direktorin“ für das MMZ gefunden wurde. „Mit ihren Forschungsschwerpunkten und ihren bisherigen Erfahrungen passt sie perfekt zu diesem Institut.

Miriam Rürups Forschungsschwerpunkte sind unter anderem deutsch-jüdische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Migrationsgeschichte, Erinnerungskultur nach 1945 sowie Frauen- und Geschlechtergeschichte. Zuletzt arbeitete Sie an dem Projekt „Heimatlose oder Weltbürger? Staatenlose in Europa nach den beiden Weltkriegen“.

Europäischer Blick auf die jüdische Geschichte

Gegenüber dem Tagesspiegel betonte Rürup, dass deutsch-jüdische Geschichte sich nur in transnationaler Verschränkung erfassen lässt. „Und deshalb freue ich mich, in Potsdam ein Zentrum leiten zu dürfen, das sich dem europäischen Blick auf die jüdische Geschichte öffnet.“ 

Die Vielfalt der Themen und wissenschaftlichen Zugänge, die im MMZ vertreten sind und die vielen Kooperationsmöglichkeiten, die der Berlin-Brandenburger Raum bietet, würden sie reizen.  „Und damit meine ich nicht nur die Metropolregion Berlin-Brandenburg, sondern bewusst auch den Blick jenseits der Grenzen der Metropole - beispielsweise, wenn wir uns die jüdische Geschichte des ländlichen Raums ansehen.“

Miriam Rürup.
Miriam Rürup.

© Georg Wamhof/IGD

Miriam Rürup ist es auch wichtig, eine jüdische Perspektive auf die deutsch-deutsche Geschichte einzunehmen: „Bewusst in dieser Verschränkung, sprich: nicht die Trennung nach vorne zu stellen, sondern die Frage, ob und welche Gemeinsamkeiten es in der jüdischen Geschichte der beiden deutschen Staaten gab.“ Zudem bringt sie sich „aktiv und wo nötig auch als kritische Stimme“ in aktuelle Debatten zur Erinnerungskultur ein. 

Jüngst beispielsweise in die Diskussion um den Wiederaufbau der durch die Nationalsozialisten zerstörten Bornplatzsynagoge in Hamburg, wobei sie sich gegen den geplanten Standort und die historische Fassade des Neubaus aussprach.
"Wenn wir uns im kommenden Jahr allerorten mit 1700 Jahren jüdischer Geschichte im deutschsprachigen Raum befassen, dann ist es gerade da wichtig, auch innerjüdische Vielfalt zu zeigen, darauf zu verweisen, wie divers die jüdische Geschichte war und als Gegenwart bis heute ist", sagt Rürup. Dies sei etwas, dem man nicht zuletzt in Diskussionen um Synagogenneubauten – aber nicht nur dort – immer wieder begegne.

Großes Projekt zur deutsch-jüdischen Diaspora

Am MMZ will Rürup sich in einem groß angelegten Publikationsvorhaben der deutsch-jüdischen Diaspora außerhalb Deutschlands zuwenden, um zu fragen, in welcher Form das deutsche Judentum außerhalb Deutschlands weiterlebte und lebt. „Hier lässt sich wunderbar an bereits vorhandene Arbeiten am MMZ anschließen“, sagt sie mit Blick auf eine internationale Kooperation zwischen Israel, den USA, England und Deutschland.

Für Julius H. Schoeps ist nun der definitive Abschied vom MMZ gekommen, das er 1992 gegründet hat. Vor sechs Jahren hatte er sich offiziell als Direktor zurückgezogen, führte das Haus aber noch über die recht langwierige Nachfolge-Suche. 

Julius H. Schoeps.
Julius H. Schoeps.

© MMZ/Thomas Heil

30 Jahre waren es mehr oder weniger für Schoeps,  eine „erfolgreiche Geschichte“, wie er heute sagt: Von der Gründung der Potsdamer Universität 1991, an der Schoeps beteiligt war, über die Einrichtung der säkularen Jüdischen Studien sowie des Abraham-Geiger-Kollegs zur Rabbinerausbildung bis hin zur Etablierung der Jüdischen Theologie an der Uni im Jahre 2013, die damit überhaupt erstmals an einer staatlichen deutschen Hochschule – unter der Initiative und Leitung von Rabbiner Walter Homolka – verankert wurde. Schoeps war Initiator des 1994/95 eingerichteten interdisziplinären Studiengangs Jüdische Studien, aus dem sich später das Institut für Jüdische Studien entwickelte.

Die Entwicklung sei durch das MMZ angestoßen worden

Das weite Themenfeld der deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte an der Potsdamer Universität „hat vielerlei weitere Entwicklungen nach sich gezogen“, erinnert sich Schoeps heute. „Im Grunde ist das alles durch die Gründung des MMZ angestoßen worden“, sagt Schoeps. „Das Land Brandenburg hat dadurch ein Alleinstellungsmerkmal erhalten, auf das es stolz sein kann.“

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Wichtig ist für den Historiker heute auch der Schwerpunkt Antisemitismus- und Rechtsextremismus am MMZ. „Ich hätte nie erwartet, dass es so weit kommt, dass man diese Problematik in diesem Umfang wieder thematisieren muss“, sagt Schoeps. Die aktuelle Entwicklung in Deutschland sei bedrückend und mache ihn sehr nachdenklich. Aber er sagt auch: „Solange der Rechtsstaat in Deutschland noch Schranken setzen kann, sollte man sich keine Sorgen machen.“ Je mehr Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker und „sonstige Spinner“ an Einfluss gewinnen würden, desto sorgfältiger müsse man die Entwicklungen aber beobachten.

Thomas Manns „Zauberberg“ auf Jiddisch

In der deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte gebe es immer Höhen und Tiefen, dieses Spannungsfeld hat Schoeps unaufhörlich interessiert. „Das kann man nicht immer nur aus dem Blickwinkel des Holocaust betrachten.“ Jüngstes Projekt dieser Arbeit ist die Erforschung der Übersetzung deutscher Literaturklassiker ins Jiddische am MMZ durch Elke-Vera Kotowski. Wer weiß schon, so der Historiker Schoeps, dass beispielsweise Thomas Manns „Zauberberg“ vom späteren Nobelpreisträger Isaac B. Singer übersetzt wurde. 

Abschied nehmen von seiner Arbeit wird Julius H. Schoeps nicht wirklich, in Berlin treibt er die Geschicke der Moses Mendelssohn Stiftung voran - so etwa das neue Projekt „Else Ury Campus“ angrenzend am Deportations-Mahnmal Gleis 17 im Grunewald. Und mit seiner MMZ-Nachfolgerin will er Kontakt halten. „Miriam Rürup als Nachfolgerin ist eine sehr gute Wahl“, erklärt Schoeps. Als bisherige Leiterin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden habe Miriam Rürup sich einen Namen gemacht. „Sie ist international bestens vernetzt und bringt alle Voraussetzungen mit, die bisher sehr erfolgreiche Arbeit des MMZ in Potsdam fortzuführen – und auch neue Akzente zu setzen.“

Wissenschaftsministerin Manja Schüle dankte Schoeps im Rahmen der Ernennung von Miriam Rürup am Mittwoch, 25. November, für  seine Tätigkeit. „Julius Schoeps hat aus dem MMZ eine international renommierte Forschungseinrichtung gemacht“, sagte Schüle.  Zudem setze er sich seit Jahrzehnten unermüdlich für ein friedliches Zusammenleben von jüdischen und nichtjüdischen Menschen ein.

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Für Miriam Rürup ist auch der digitale Raum von zentraler Bedeutung ist für die jüdische Geschichte. „Schon länger befasse ich mich mit dem Umgang mit dem jüdischen materiellen und immateriellen Erbe und gerade in der Diskussion um Zugänge zu Quellen der jüdischen Geschichte ist der digitale Zugang elementar.“ 

In Hamburg habe sie dazu das Projekt der „Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte“ aufgebaut. In Potsdam nun werden will die Historikerin dies in ein größeres Portal zur deutsch-jüdischen Geschichte überführen. „Darauf freue ich mich sehr, da gerade das Digitale uns hier ganz wunderbare Kooperationsmöglichkeiten bietet, die auch eine Internationalisierung ermöglichen.“ 

Digitale Werkzeuge würden es ermöglichen, die Zerstreutheit der jüdischen Geschichte in gewisser Weise zumindest digital zu überwinden, zum Beispiel durch die digitale Zusammenführung getrennter Archive. „Dies haben wir gerade in Hamburg für die dortigen 400 Jahre jüdischer Geschichte in Zusammenarbeit mit Israel auf den Weg gebracht.“

Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle kündigte indessen an, dass das Potsdamer MMZ bei der weiteren Entwicklung mit zwei zusätzlichen Stellen unterstützt werden soll. Eine der Stellen werde sich demnach mit der Vermittlung deutsch-jüdischer Geschichte in den Schulen beschäftigen. „Die Aufklärung über das deutsch-jüdische Miteinander ist angesichts zunehmender Antisemitismus-Vorfälle in unserem Land wichtiger denn je“, sagte Schüle.

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