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Ein kriegszerstörtes historisches in der Altstadt von Aleppo.

© Staatliche Museen zu Berlin/Museum für Islamische Kunst

Stunde Null in Syriens Kulturmetropole: Haus für Haus - wie ein historisches Viertel in Aleppo zerstört wurde

Eine wissenschaftliche Dokumentation zeigt das Ausmaß der Kriegszerstörungen in Aleppo - exemplarisch für ein bekanntes Altstadtviertel.

Aleppo, eine der ältesten, konstant besiedelten Städte der Welt, ist aus den Schlagzeilen der Weltpresse verschwunden. Es bleibt die Erinnerung an die unzähligen Toten, das Leid der Verletzten, Vertriebenen und Geflüchteten während des Bürgerkrieges.

Unermesslich ist auch der Schaden, den dieser mörderische Krieg von 2012 bis 2016 der Substanz der einst blühenden Wirtschaftsmetropole Syriens zugefügt hat. Aleppiner waren stolz auf ihre malerische Altstadt voller Baudenkmäler, Moscheen, Soukhs, Karawansereien und historischer Wohnhäuser.

Zum Zustand eines der Altstadt-Viertel, des Suwayqat Ali im Norden des großen Soukhs, hat nun ein internationales Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Stefan Weber, dem Direktor des Museums für Islamische Kunst Berlin, Anne Mollenhauer und Dima Dayoub eine Fallstudie veröffentlicht.

Ein typisches gemischtes Wohn- und Geschäftsviertel

Das Projekt „Stunde Null: Post-Conflict Recovery of Urban Cultural Heritage – Case Study: Old City of Aleppo“ des Museums für Islamische Kunst und seines Freundeskreises FMIK dokumentiert mit Suwayqat Ali ein typisches gemischtes Viertel mit religiösen und kommerziellen öffentlichen Gebäuden, aber auch mit einer typischen Wohnbebauung, die stark unter den Kämpfen um Aleppo gelitten hat.

Mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes wurde diese Dokumentation zwischen August 2019 und Februar 2020 erstellt und unlängst in einer Edition von arthistoricum.net der Heidelberger Universitätsbibliothek veröffentlicht.

Das Viertel wurde ausgewählt, weil es bedeutend ist für die Verbindung der Altstadt mit dem Rest der Stadt und weil es viele bedeutende Bauwerke unterschiedlicher Epochen umfasst. Die Dokumentation beruht auf vorhandener Literatur, dem Material des Syrian Heritage Archive Projects und Surveys vor Ort, soweit das unter den schwierigen, zum Teil gefährlichen Bedingungen möglich war.

Verwendet wurden auch Unterlagen des Katasteramtes aus der französischen Mandatszeit sowie auf Karten des Projektes der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ, jetzt GIZ) von 2001, die im Zusammenhang mit einem Projekt zur Revitalisierung der Altstadt von Aleppo entstanden sind.

Erschütternde Vorher-Nachher-Bilder

Die Studie dokumentiert den Bestand der wichtigen historischen Gebäude und ihren baulichen Zustand. Die Vorher-Nachher-Bilder sind erschütternd, angefangen von dem Vergleich der Luftaufnahmen bis hin zu den einzelnen Gebäuden. Viele der nicht-zerstörten Häuser sind verlassen, stehen leer und sind daher ebenfalls in Gefahr.

Ins Ausland geflohene Syrer dürfen nicht mehr zurückkehren und werden wohl ihren Besitz verlieren. Das untersuchte Gebiet war geprägt von den Siedereien für die berühmte Aleppo-Seife, kleinen Handwerksbetrieben und Handelsunternehmen sowie historischen Wohnhäusern.

Detailliert werden die einzelnen Bauten beschrieben, zahlreiche Abbildungen zeugen von der Pracht der Aleppiner Architektur. Im Kontrast dazu zeigen die Fotos von 2019/2020 die verheerenden Folgen der Bombardements. Moscheen ohne Kuppel und zerstörte Betsäle verdeutlichen die schweren Schäden, manche Gebäude sind nur noch Steinhaufen.

Eine Außenansicht der Privatresidenz Matbakh al-Ajami.
Matbakh al-'Ajami, Ansicht des Gebäudes von der Khan al-Wazir Straße aus. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1978.

© Michael Meinecke/Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst

Die Schäden vor Ort zu dokumentieren, ist eine nicht ungefährliche Arbeit für die syrischen Mitarbeiter, sie riskieren einiges, um diese Aufnahmen zu machen. Stadt- und Gebäudepläne liefern ergänzende Informationen. Viele der Gebäude stammen aus der osmanischen Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts und zeugen von dem kulturellen Reichtum Aleppos wie etwa die große Koranschule al-Madrasa al-’Uthmaniyya mit angeschlossener Moschee, einer großen Kuppel und einem hohen Minarett.

Die Schäden sind beachtlich. Das gilt auch für die Khans der Stadt, in denen einst die Händler übernachteten und ihre Waren lagerten. Viele sind nur noch Schutthaufen.

Durch eine zerstörte Kuppel ist der blaue Himmel zu sehen.
Die zerstörte Kuppel der südlichen Halle der Privatresidenz Matbakh al-'Ajami.

© SMB/Museum für Islamische Kunst

Eine Entdeckung ist die Privatresidenz al-Matbakh al-’Ajami, die einzige nicht-königliche Residenz Aleppos, wenn nicht sogar Syriens. Dieses zweistöckige Gebäude an der Khan al-Wazir-Street mit zwei Kuppeln hatte eine bebaute Fläche von über 800 Quadratmetern und war wohl der Palast des Zengiden-Emirs Majd ad-Din ibn al-Daya im 12. Jahrhundert. Die Bedeutung der Residenz reicht bis in die Zeit der Mamluken, deren letzter Gouverneur bis zum Ende des 15. Jahrhunderts hier gelebt hatte.

Erst um das Jahr 2000 wurde der Palast restauriert

Die Gastfreundlichkeit in diesem geräumigen Palast wurde von den Zeitgenossen damals gelobt. Aus osmanischer Zeit liegen keine Dokumente vor, aber von 1967 bis1975 wurde der Bau als Nebenstelle des Museums für Volkskunde genutzt, bis er zum Restaurant umgebaut wurde. Eigentümer ist das Tourismusministerium, aber zurzeit steht der Bau leer.

Eine kriegszerstörte Madrasa in Aleppo.
Ebenfalls in Trümmern liegt die Madrasa al-Uthmaniyya (Aufnahme vom Januar 2018).

© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst

Der große Saal von 500 Quadratmetern wurde von vier Iwanen – Gewölbehallen – umgeben, die durch den Beschuss zum Teil schwer zerstört wurden. Die Kuppeln sind eingestürzt und Brandspuren auf den Mauern deuten auf ein Feuer in Folge des Beschusses. Die große Kuppel wurde erst im 14. Jahrhundert über den Innenhof gebaut und war damals die größte Kuppel Aleppos. Von dem einstigen Garten ist nach den Umbauten im 18. Jahrhundert nichts mehr übriggeblieben.

Der Palast wurde um 2000 erst restauriert und wirkt heute ohne seine große Kuppel wie enthauptet. Auch an der Stelle der kleineren Kuppel über dem 100 Quadratmeter großen Saal klafft jetzt ein Loch – ein trauriger Anblick. Die Fassaden der Iwane sind zum Teil schwer beschädigt. Aber die Dokumentation mit den Details zum Wand- und Säulenschmuck liefert hier wertvolles Anschauungsmaterial für einen möglichen Wiederaufbau.

Die Dokumentation, die als PDF kostenlos zum Download bereit steht (hier), ist auf Englisch und Arabisch verfasst – keine einfache Lektüre, aber für Freunde Aleppos und der syrischen und osmanischen Architektur eine wahre Fundgrube und ein Dokument der Zerstörungen, die dieser Krieg über Syrien und sein kulturelles Erbe gebracht hat.

Ob diese Dokumentation jemals helfen kann, den Wiederaufbau zu unterstützen, wird sich zeigen. Sie ist auf jeden Fall eine wichtige Bestandsaufnahme dessen, was Aleppos kulturellen Reichtum ausgemacht hat.

Die unbeschädigte Madrasa in einer Aufnamene aus den 1970er Jahren.
Die Fassade der Gebetshalle der Madrasa al-Uthmaniyya, hier in einer Aufnahme von 1976.

© Jean-Claude David

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