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Eine Studentin der Zahnmedizin im zahntechnischen Labor.

© Hendrik Schmidt/picture alliance/ZB

Studium an der Charité: Wieder Ärger in der Berliner Zahnmedizin

Studierende berichten erneut von Willkür der Lehrenden, von einem nicht zu bewältigenden Pensum - und von Weinattacken und Schlafstörungen.

Die Charité bekommt die Schwierigkeiten in ihrem Zahnmedizin-Studiengang nicht in den Griff. Erneut beschweren sich Studierende über zu hohe und intransparente Anforderungen, über mangelnde Betreuung und Schikane durch Lehrende. „Aus Sicht der Studenten erfolgt die Bewertung ihrer Arbeiten willkürlich und unter Hinzuziehung sachfremder Erwägungen“, heißt es in einem Brief an Medizin-Dekan Axel Pries. Assistenten hätten sich „unwillig“ gezeigt, „Ausbildungsarbeit zu leisten“. Dem ohnehin vollen Kursprogramm seien weitere Arbeitsschritte hinzugefügt worden. All dies habe bei den Studierenden „zu stressbedingten gesundheitlichen Problemen“ geführt. Sie berichten Pries von „Weinattacken, Schlafstörungen, Kopfschmerz, Magenschmerz“.

Wie schon im vergangenen Jahr kommen die Klagen aus dem Phantomkurs I, dem zahntechnischen Praxisblock, der üblicherweise im Spätsommer nach dem dritten Semester der Vorklinik ansteht. Auch damals hatten die Studierenden unzumutbare Zustände geschildert. In dem Kurs kam es zu hohen Durchfallquoten in den praktischen Prüfungsteilen und in der Klausur, die nur 22 Prozent bestanden. Der damals wie heute für den Phantomkurs verantwortliche Professor sprach im September 2016 von einer in den Vorjahren abgesunkenen Qualität der Lehre. Er wolle „die Studierenden wieder an ein höheres Leistungsniveau“ heranführen.

Vor einem Jahr gab die Charité Missstände zu

Dagegen zeigte sich die Charité-Leitung offen für die Kritik. „Entweder sind die Leistungsanforderungen zu hoch oder die Ausbildung ist nicht gut genug“, befand im September 2016 die Prodekanin für Lehre an der Charité, Adelheid Kuhlmey. Nach Gesprächen mit der Studiengangsleitung und Studierenden wurde die Übungszeit um zwei Tage verlängert. Wer durchgefallen war oder aufgegeben hatte, bekam eine zusätzliche Kurswiederholung zu den zuvor geltenden zwei Versuchen. Die Zahnmedizin an der Charité solle künftig „zu einem Leuchtturm“ werden, versprach Kuhlmey 2016 – „aber nicht auf Kosten der Studierenden, sondern mit ihnen“.

Ein Jahr später ist das offensichtlich nicht gelungen. Im Gegenteil, die Lage hat sich noch einmal zugespitzt. Kuhlmeys Intervention „brachte keine Besserung“, heißt es in dem Brief an Dekan Pries. Die Studierenden beanstanden ganz ähnliche Missstände wie vor einem Jahr. Mit 120 Studierenden seien die Laborräume in der Zahnklinik Aßmannshauser Straße in Wilmersdorf überfüllt gewesen, es sei zu längeren Wartezeiten an den Arbeitsplätzen gekommen. Und am Tisch der Assistenten: Dort müssen sich die Studierenden einzelne Arbeitsschritte an den von ihnen gefertigten Prothesen, Brücken oder Gaumenplatten abnehmen lassen. Dadurch sei „wertvolle Laborzeit verschwendet“ worden.

Assistenten weisen zurück, was andere schon akzeptiert hatten

„Die Assistenten haben jeder für sich einen anderen Maßstab dafür, was sie als unterschriftsfähiges Arbeitsergebnis akzeptieren“, schreiben die Studierenden weiter. Oft würde ein Assistent den von einem anderen bereits abgesegneten Arbeitsschritt kritisieren. Teilweise hätten die Studierenden bis zu einer Stunde warten müssen, bis ein Assistent für sie Zeit fand – und dann wieder und wieder nachgearbeitet. Es sei nur für gelernte Zahntechniker möglich gewesen, alle Prüfungsteile weitgehend beanstandungsfrei zu bestehen, die Mehrheit aber sei mit dem Pensum einfach nicht fertig geworden, heißt es.

Wie reagiert die Charité auf die erneuten Beschwerden der Studierenden? Angekommen sind die Klagen – in mehreren Gesprächen zwischen Studierendenvertretern und Professoren – und sie werden „sehr ernst genommen“, wie der neue Prodekan Joachim Spranger und die jetzige Vize-Prodekanin Adelheid Kuhlmey auf Anfrage betonen. Sie weisen aber den Vorwurf der Studierenden zurück, seit dem vergangenen Jahr habe es bei der Studiensituation keine Verbesserungen gegeben.

Statement der Charité: "nach objektiven Bewertungskriterien beurteilt"

So seien durch die Assistenten „alle Arbeiten anonymisiert nach objektiven Bewertungskriterien beurteilt“ worden, teilen Spranger und Kuhlmey mit. Studierende wenden allerdings ein, dies gelte nur für die eintägige praktische Prüfung, nicht aber für die Stücke, die im mehrwöchigen Laborteil angefertigt werden.

Auf die Frage, was aus der im vergangenen Jahr angekündigten Überprüfung der Leistungsanforderungen geworden ist, erklären die Prodekane, sie seien nach Aussagen der Zahnmedizin-Hochschullehrer „entsprechend den national üblichen Anforderungen angepasst worden“.

Diese sind offenbar noch höher als die 2016 geltenden. Denn zu den zahntechnischen Stücken, die die Studierenden im vergangenen Jahr anzufertigen hatten, sei eine zusätzliche „Funktionsabformung“ verlangt worden, berichtet eine Studentin. Diese müsse an Kunststoffmodellen durchgeführt werden, für die das teure, von den Studierenden zu finanzierende Abformungsmaterial gar nicht geeignet sei. Mehrere Fehlversuche, die vielen zu erstellenden Werkstücke, steigende Kosten – sie sei am Ende „vollkommen verzweifelt“ gewesen, sagt die Studentin.

Wieder nicht bestanden - trotz Praktikum beim Zahntechniker

Sie gehört zu denen, die durchgefallen sind. Darunter waren auch Wiederholer aus dem vergangenen Jahr. Und das, obwohl eine Reihe von Studierenden in der Zwischenzeit Praktika bei Zahntechnikern absolviert hat, um handwerkliches Geschick und Arbeitstempo zu schulen. Zwei Mal kann man den Kurs wiederholen, beim dritten Mal muss bestanden werden – sonst ist der Traum vom Zahnarztberuf geplatzt. „Absolute Existenzangst“ plage sie nun, sagt die Studentin. Der Stress, einen Studienplatz zu bekommen, das hohe Lernpensum in allen Fächern, mehrere Tausend Euro für das Arbeitsmaterial und die Anschaffung des Instrumentenkoffers, den angehende Zahnmediziner aufbauen müssen – alles vergebens?

Durchfallquote "in der Norm", trotzdem gibt es vorgezogene Nachprüfungen

Für Spranger und Kuhlmey liegt die Durchfallquote von 30 Prozent im Phantomkurs I „im Bereich der üblichen Norm“. Gleichwohl würden den Durchgefallenen vorgezogene Nachprüfungen angeboten, damit diese keine Zeit im Studium verlieren. Zudem sei bereits „im Verlauf des Jahres“ ein Ombudsmann eingesetzt worden, an den sich Studierende wenden können. Darüber hinaus soll ein neuer Studien- und Prüfungsausschuss die Leistungsanforderungen überprüfen.

Für Studierende, die das Labor und mehr als einen von drei Prüfungsteilen nicht bestanden haben, aber gibt es keine Alternative, als im kommenden Jahr den gesamten Kurs zu wiederholen. Und die Hoffnung, dann noch besser vorbereitet zu sein, gut ausgebildet und fair bewertet zu werden.

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