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Studierende an einem Tisch: Im Supermarkt wird lange überlegt, was in den Wagen kommt.

© mauritius images / Maskot

Studierende über die geplante Bafög-Änderung: „Ein Leben auf Sparflamme ist nicht romantisch“

Im Bundestag wird die Bafög-Änderung diskutiert. Studentin Lone Grotheer ist als Expertin eingeladen - um vorzutragen, was sie auszusetzen hat.

Lone Grotheer steht vor einem der großen, gläsernen Parlamentsgebäude im Berliner Regierungsviertel direkt an der Spree. Sie ist aufgeregt. Es ist Mittwoch, 9 Uhr, und Grotheer, 25, Studentin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft in Hamburg, wird gleich vor dem Bildungsausschuss sprechen. Sie soll als Expertin Empfehlungen zur geplanten Bafög-Reform aussprechen. Und auf die Fragen der Parlamentarier antworten.

Dabei wird sie auf zwei Perspektiven achten: Einerseits vertritt sie als Sprecherin des „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) die Belange sämtlicher Studierender, andererseits ist sie quasi selbst betroffen – sie hat bis vor Kurzem selber Bafög bezogen.

Grotheer weiß, wie kompliziert der Bafög-Antrag ist. Wie lange es mitunter dauern kann, bis die Zahlung auf dem Konto ankommt. Wie es sich anfühlt, den Saft im Supermarkt sehr lange von einer Hand in die andere wandern zu lassen und ihn dann doch nicht in den Einkaufswagen zu stellen. „Es gibt ja diese Romantisierung der Studienjahre, in denen man halt auf Sparflamme lebt. Aber so romantisch ist das gar nicht, wenn sich einige Sachen leisten können und andere nicht“, sagt sie.

Nun hat die Ampelregierung Anfang April eine umfangreiche Reform der Ausbildungsförderung auf den Weg gebracht, im ersten Schritt geht es um die 27. Änderung seit 1971. Doch Grotheer findet nicht, dass diese das ganze Konglomerat an Unsicherheiten, die mit der Antragstellung einhergehen, beseitigen können.

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Dabei sieht die Novellierung vor, den Elternfreibetrag, also die Grenze, wie viel die Eltern verdienen dürfen, um 20 Prozent zu erhöhen und die Sätze insgesamt um fünf Prozent anzuheben. Künftig soll man einen Antrag stellen dürfen, bis man 45 Jahre alt ist und man ist mit bis zu 45.000 Euro auf dem Konto bezugsberechtigt. So lautet der Plan für die Änderung, aber der soll ja noch diskutiert werden. Parlamentarisch findet das im Bildungsausschuss statt.

Und so wurden für Mittwoch insgesamt acht Sachverständige eingeladen. Draußen vor dem Gebäude nehmen sie und eine fzs-Kollegin, die zur „psychischen Unterstützung“ mitgekommen ist, schnell noch ein Foto für einen Instagrampost auf. „Gibt es einen Parlaments-Emoji?“, fragt die Kollegin. „Weiß’ nich’, nimm einfach den coolen, den mit der Sonnenbrille“, sagt Grotheer.

Studentische Lobby: Grotheer (Mitte) und Mitstreiter vor dem Ausschuss.
Studentische Lobby: Grotheer (Mitte) und Mitstreiter vor dem Ausschuss.

© Joana Nietfeld

Drinnen im Ausschuss haben alle Expert:innen drei Minuten Zeit, um ein Eingangsstatement vorzutragen. Grotheer legt ihre Zettel zurecht und setzt an: „Die geplanten Erhöhungen der Bedarfssätze sind zu niedrig.“ Nicht einmal die Inflation werde so ausgeglichen. „Auch die anderen Anpassungen dieser Novelle sind schlicht nicht ambitioniert genug.“ Der Verschuldungszwang halte Studierende aktiv davon ab, Bafög zu beantragen. Die Reform könne aus ihrer Sicht nur ein Anfang zur Chancengerechtigkeit sein. Sachlich und hochkonzentriert trägt die 25-Jährige ihre Kritikpunkte vor.

Grotheer und der fzs sind nicht die Einzigen, die die geplante Bafög-Reform massiv infrage stellen. Auch der DGB hat sich für eine deutlicherer Erhöhung der Sätze ausgesprochen, ebenso die Linke. Selbst die Union hatte bei einer Parlamentsdebatte am vergangenen Mittwoch für Überraschung gesorgt, als mehrere Abgeordnete sagten, dass die geplante Reform nicht weit genug gehe.

Die Union war bislang nicht als Studierendenvertretung bekannt

Dabei war die Union bislang nicht gerade als Studierenden-Vertretung bekannt. Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) war es, der 1982 das Volldarlehen durchsetzte. Was zur Folge hatte, dass wenige Jahre später nur noch 18 Prozent der Studierenden von der Förderung Gebrauch machten. 1972, kurz nach dem Start als Vollzuschuss, waren es noch 44,6 Prozent aller Studierenden. Mittlerweile beziehen nur noch elf Prozent der Studierenden die Förderung.

„Es klingt beinahe zynisch, wenn bei diesen Gefördertenzuwachsprognosen immer wieder davon gesprochen wird, was für ein großer Schritt diese Reform ist“, sagt Grotheer im Ausschuss. Von der SPD-Abgeordneten Jessica Rosenthal wird sie dann gefragt, warum viele Studierende Angst vor einer Verschuldung haben. „Sie stellen sich die Frage, ob sie überhaupt einen Job finden – und wissen das ja vorab auch nicht.“ Der fzs fordert daher die Rückkehr zum Vollzuschuss.

Das Bafög setzt aktuell darauf, dass man einen guten Kontakt zu seinen Eltern hat

Auch auf die Elternunabhängigkeit möchte Grotheer noch mal eingehen: Erstens fielen viele nach wie vor durch das Raster. Sie selbst zum Beispiel habe nur einen sehr niedrigen Bafög-Satz erhalten. Doch ihre Eltern konnten nicht den kompletten Rest aufstocken, sodass sie zusätzlich zum Mini-Betrag bloß noch ihr Kindergeld hatte. Zweitens setze das Bafög aktuell komplett darauf, dass man einen guten Kontakt zu seinen Eltern habe. Aber es gebe eben Erziehungsberechtigte, die schlichtweg nicht zahlungswillig seien.

Nach dreieinhalb Stunden ist die Anhörung vorbei. Grotheer ist erschöpft, aber auch zufrieden: „Ich glaube, ich konnte unsere Punkte deutlich machen.“

Doch während der Bildungsausschuss noch Grundsatzfragen der 27. Änderung diskutiert, macht sich die Bundesbildungsministerin im BMBF für ein Bafög-Statement bereit. Das Kabinett hat am Mittwoch nämlich bereits dem 28. Änderungsgesetz zugestimmt. Es soll den lange geforderten dauerhaften Notfallmechanismus verankern. In Krisensituationen wie der Pandemie können künftig auch Studierende gefördert werden, die sonst keinen Bafög-Anspruch haben.

Ein Entgegenkommen für die studentische Lobby?

„Wenn man nachweisen kann, dass man einen Einkommensverlust durch einen wegfallenden Nebenjob hatte, bekommt man den Zugang“, erklärt Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

Ein Entgegenkommen für die studentische Lobby? „Nein, der Notfallmechanismus ist auch mal wieder zu bürokratisch und zu unflexibel“, sagt Lone Grotheer. Außerdem würden internationale Studierende nicht unter die Regelung fallen, „deshalb können wir das nicht begrüßen“.

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