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Die Lehrveranstaltungen finden in diesem Semester wegen der Coronakrise digital statt.

© dpa

"Studierende lesen weniger, aber kommunizieren mehr": Das klappt im Digitalsemester an den Berliner Unis - und das nicht

Ein unmögliches Semester möglich machen: Studierende und Dozierende aus Berlin berichten über Höhen und Tiefen digitaler Lehre.

Seit einer Woche läuft das Digitalsemester an Berliner Hochschulen - die Lehre findet wegen der Coronakrise ausschließlich online statt. Wir haben Studierende und Dozierende gefragt, was dabei klappt - und was nicht.

Anne Fleig ist Professorin und Geschäftsführende Direktorin am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität
Wir haben sehr viel Energie in die Vorbereitung der Lehrveranstaltungen geschickt und freuen uns jetzt natürlich, dass sie tatsächlich in hohem Maße gebucht wurden und die Studierenden da sind.

Zugleich ist es merkwürdig, dass wir sie nicht sehen können. Auf eine bestimmte Art ist Ruhe eingekehrt.

Sonst stand man in einem vollen Seminarraum, ging in die volle Mensa, jetzt läuft alles und man sitzt alleine am Schreibtisch.

Anne Fleig. 
Anne Fleig. 

©  Miriam Klingl

Es gibt bei uns insgesamt die Einschätzung, dass der Kommunikationsaufwand sehr hoch ist. Vor den Seminaren hatten wir sehr viele Nachfragen.

Da hat man gemerkt, dass die Studierenden nicht genau wussten, wie es abläuft. Wir haben deshalb versucht, regelmäßig zu informieren und über die Homepage des Instituts immer den aktuellen Stand kommuniziert.

Literaturbeschaffung ist ein wichtiger Punkt

Ich möchte, dass meine Seminare flexibel gestaltet sind, deshalb können die Studierenden asynchron arbeiten. Es gibt Themenblöcke und Stichtage, bis wann Diskussionen oder Aufgaben zu leisten sind. Andere halten an ihrer Seminarzeit fest und führen Videokonferenzen durch.

Während der Vorbereitung war die Literaturbeschaffung ein wichtiger Punkt. Essentiell war es, Literatur zu suchen, die auch zugänglich ist, weil die Bibliotheken geschlossen sind. Das ist für uns in der Germanistik zentral.

Vielleicht können wir alle etwas davon mitnehmen

Wir benutzen Onlinepublikationen oder haben Aufsätze als Scans in unserer Lernplattform hochgeladen. Zusätzlich können die Studierenden auch über Diskussionsforen oder Blogs miteinander kommunizieren.

Es gibt Aufgaben, die alle individuell zu Hause machen können. Lesen kann und muss sowieso jeder allein. Aber es gibt viele Möglichkeiten, sich mit den Mitstudierenden auszutauschen. Ich bin zuversichtlich, dass das klappt und freue mich auf die kommenden Wochen, weil das eine neue Erfahrung ist. Vielleicht können wir auch alle etwas davon mitnehmen.

Jana Borchers.
Jana Borchers.

© privat

Jana Borchers studiert im Bachelor Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität und arbeitet als Tutorin für Statistik
Wie soll man ohne Tafel die Grundidee der logistischen Regression erklären, per Screen-Sharing die Anwendung mit der Statistik-Software zeigen, dabei auf Fragen eingehen und sich gleichzeitig mit der Co-Tutorin koordinieren, die vor einem anderen Bildschirm sitzt?

In der ersten Sitzung klappt es noch, sich nur selten gegenseitig ins Wort zu fallen. Je komplexer aber die Themen, je zahlreicher die Zwischenfragen, desto schwieriger könnte das in den kommenden Wochen noch werden.

Immerhin: Teilnehmende müssen nicht auf dem Boden sitzen

Zwar kann es nun nicht mehr passieren, dass – wie noch im vergangenen Semester – Teilnehmende aufgrund überbelegter Kurse auf dem Boden sitzen müssen, weil weder genug Stühle noch ausreichend PCs zur Verfügung stehen.

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Allerdings besitzen auch nicht alle Studierenden einen leistungsfähigen Laptop, der die Teilnahme an Zoom-Konferenzen uneingeschränkt ermöglicht.

Für Lehrpersonen stellt die HU in begrenztem Maße Technik zur Verfügung, beispielsweise zum Aufzeichnen von Vorlesungen – Studierende und auch studentische Hilfskräfte sind aber nach wie vor auf eigenes Material angewiesen, das heißt auf mittelmäßige Ton- und Bildqualität und eine Internetverbindung, die immer mal wieder abbricht.

"Erfolgreicher Start" - das ist vielleicht voreilig

Hier wie HU-Präsidentin Sabine Kunst von einem „erfolgreichen Start, der sich sehen lassen kann“ zu sprechen, ist deshalb vielleicht etwas voreilig.

Und die wichtigsten Dinge wird auch das beste Online-Seminar nicht ersetzen können: Ich kann zwar darum bitten, die Mikrofone gezielt einzuschalten, um über meine Witze zu lachen – funktionieren wird das eher nicht.

Ein Student sitzt vor zwei Laptops am heimischen Schreibtisch.
Matthias Baasch.

© privat

Matthias Baasch studiert im Master Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität und betreut eine Lehrveranstaltung am Fachgebiet Innovationsökonomie
Einige Module werden in diesem Semester gar nicht, die allermeisten in abgewandelter Form angeboten. Klar ist, dass die Kommunikation und wesentliche Vorlesungselemente online ablaufen.

Aber auch die Prüfungsform und Zeitplanung ist in einigen Lehrveranstaltungen verändert worden. Generell kann ich meine Veranstaltungen relativ flexibel auswählen, weil ich im Master nur noch wenige Pflichtveranstaltungen habe.

Persönlicher, wenn man sich gegenseitig sieht

Ein Modul im Bereich Rechtswissenschaften wird als Video-Vorlesung via Zoom gehalten. Der Professor wechselt zwischen seinem Bildschirm, auf dem die Folien übertragen werden, und der Videoübertragung seiner Kamera. Den Studierenden steht es frei, ob sie ihre Kamera anmachen möchten.

In anderen Modulen ist das Pflicht, weil dort in Kleingruppen gearbeitet wird. Ich finde es persönlich schöner, wenn man sich gegenseitig sieht oder zumindest im Chat auf das Gesagte reagiert.

Unsere Berichte zur Corona-Lage an den Hochschulen

Manche Veranstaltungen werden beispielsweise als Blockseminare stattfinden. Sie beginnen dann zum Teil im Mai und finden an drei, vier Tagen ganztägig statt.

Ich selbst betreue die Lehrveranstaltung „Strategische Normung“ am Fachgebiet Innovationsökonomie in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN). Sie wird rein digital angeboten, trotz praxisorientierter Elemente wie dem Besuch von Gremiensitzungen bei DIN. Ich blicke dem Ganzen mit positiver Erwartung entgegen.

Ich glaube, die Lehre hat das Potenzial, sich dadurch noch zu verbessern. Es kann durch die digitalen Formate deutlich flexibler auf Lehrinhalte zugegriffen und intensiver auf Anregungen der Studierenden eingegangen werden. Diese Chance sollte genutzt werden.

Mohammed Al Masri.
Mohammed Al Masri.

© Hend Taher

Mohammed Al Masri, Auszubildender an der Filmschauspielschule Berlin
Ich liebe es, mit meinem Kostüm auf der Bühne in eine andere Welt abzutauchen. Die Auszubildenden stehen als Publikum vor mir, der Regisseur steht daneben und gibt Anweisungen. Für mich ist das eine tolle Atmosphäre, die mich sehr motiviert.

Jetzt sitze ich alleine in meinem Zimmer mit dem Smartphone in der Hand oder dem Laptop auf dem Schoß und bin auf Zoom. Es ist anstrengend für meinen Kopf, meine Augen und meine Psyche, so lange am Computer zusitzen. Mir fehlt dabei die Motivation. Aber ich finde es besser als gar keine Kurse zu machen, sonst verlernt man alles.

Psychische Unterstützung durch die Dozierenden

Unser Lehrplan ist jetzt auf Halbzeit. Manche Kurse wurden verschoben, wie „Körper-Impulse“ oder „Improvisations-Schauspiel“. Das kann man nicht online machen. Dies werden wir später nachholen, mit Aufhebung des Kontaktverbots. Das wird bestimmt stressig.

Theoretische Vorlesungen wie Theatergeschichte funktionieren sehr gut. Der Dozent spricht live und schickt uns die Folien, statt sie zu verteilen. Es findet auch eine Diskussion statt, aber nicht so flüssig wie sonst.

Die Lehrer sind sehr kreativ, flexibel und tun ihr Bestes. Sie interagieren mit uns und unterstützen uns auch psychisch. Ich bin beeindruckt, dass man trotz der Corona Krise weitermachen kann.

Leider ist die Internetverbindung schlecht

Ein Problem ist die schlechte Internetverbindung. Manchmal wird sie unterbrochen oder die Stimmen gehen durcheinander. Meine Gesangsübungen kann ich zu Hause nicht so laut machen wie in den Übungsräumen der Schule. In meinem WG-Zimmer habe ich auch nicht genügend Platz für Tanzübungen.

Hanne Balzer.
Hanne Balzer.

© privat

Hanne Balzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität

Dank Online-Weiterbildungen, die uns von der Universität ermöglicht wurden, konnte ich mein eigenes Konzept für dieses Semester erstellen.

Jetzt schreibe ich ein Skript für jede Sitzung, nehme es auf und schneide es als Video zusammen. Ich lade es montags hoch und gebe den Studierenden Aufgaben, die sie bis zum Ende der Woche bearbeiten müssen.

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Das ist für mich wesentlich zeitaufwendiger als Präsenzlehre, aber so können die Studierenden den Kurs unabhängig von Zeit und Ort aufrufen.

Um den Kontakt mit ihnen zu erhalten, nutze ich ein Diskussionsforum. Das ist etwas unpersönlich, aber es funktioniert. Jetzt bekomme ich viel mehr Feedback als früher. Aber genau das ist sehr wichtig, damit dieser Prozess erfolgreich verläuft.

Individuelle Fragen stellen mir die Studierenden per Mail. Bei 34 Leuten im Kurs bekomme ich jeden Tag ungefähr 20 Mails. Mir schreiben zusätzlich noch Studierende aus dem vorherigen Semester, deren Klausur auf ungewisse Zeit verschoben ist. Ich komme momentan nicht wirklich dazu, an meiner Doktorarbeit zu schreiben.

Die aktuelle Situation kann die Forschung beeinträchtigen

In meinem Seminar geht es um qualitative Sozialforschung. Die Studierenden sind sehr engagiert und teilen sich schon in Gruppen ihre Forschungsprojekte auf.

Leider kann die aktuelle Situation die Qualität der Forschung beeinträchtigen. Die Studierenden können keine Interviews mit Menschen vor Ort führen, sondern nur telefonisch oder per Mail. Dadurch könnten sie versucht sein, Familienmitglieder oder Bekannte zu befragen, obwohl das in der sozialwissenschaftlichen Forschung nicht gerne gesehen wird.

Ich empfinde die Digitalisierung der Lehre als eine sehr gute Chance, um Neues auszuprobieren. Dadurch können auch Menschen erreicht werden, die durch Einschränkungen ansonsten nicht in die Universität gehen könnten.

Oll Akkerman.
Oll Akkerman.

© Hubert Graml.

Olly Akkerman, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Islamwissenschaft an der Freien Universität

Mein Seminar hat dieses Semester nur neun Studenten und Studentinnen, statt ungefähr zwanzig, wie in den vorherigen Jahren. Wir haben uns schweren Herzens dazu entschieden, nur Studierende aus unserem Studiengang zuzulassen, damit wir sie bestens betreuen können.

Das Studium besteht nicht nur darin, Texte zu lesen, sondern lebt von Diskussionen und vom Austausch, darauf basiert mein Seminar. Das kann man mit dreißig Studenten online einfach nicht machen.

Referate wie sonst auch - aber ohne Powerpoint

Die Seminarsitzungen finden auf der Plattform Webex statt. Die Studenten sind sehr motiviert und sie kommunizieren tatsächlich mehr als sonst. Sie lesen jetzt weniger Literatur, dafür schreiben sie zu jeder Sitzung eine Zusammenfassung. Die Referate werden wie sonst gehalten, aber ohne Powerpoint.

Leider kann ich nicht wie üblich Objekte vorstellen und Exkursionen machen. Stattdessen verweise ich meine Studenten auf Podcasts, Youtube Videos und Dokumentationen. Für die Hausarbeiten besteht mehr Zeit und Flexibilität.

Ich dachte, dass das Onlinesemester eine große Herausforderung wird, aber es funktioniert tatsächlich ganz gut. Und das, obwohl ich wegen der Reisebeschränkungen bei meinen Eltern in den Niederlanden festsitze und auch einige der Studierenden im Ausland sind. Allerdings vermisse ich den direkten Kontakt doch sehr.

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