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Immunfluoreszenz von Nervenzellen, zehn Stunden nach dem Tod. Die Aufnahme rechts zeigt eine gewisse Aktivität.

© Stefano G. Daniele & Zvonimir Vrselja; Sestan Laboratory; Yale School of Medicine

Studie zur Neuroforschung: Leben im toten Gehirn

Forscher stellen im Nervensystem gestorbener Schweine Funktionen wieder her. Muss die Definition des Hirntodes deshalb geändert werden?

Wo ist die Grenze zwischen Leben und Tod? Eine neue Studie wirft diese Frage erneut auf. Denn Forschern gelang es, in Gehirnen von Schweinen, die vier Stunden vorher geschlachtet worden waren, einige Zellaktivitäten wieder herzustellen.

Leben, aber nicht lebendig

Das Team um Nenad Sestan von der Yale School of Medicine in New Haven betont im Fachblatt „Nature“ aber, es habe keinerlei Anzeichen für Wahrnehmung oder Bewusstsein gegeben. „Aus klinischer Sicht ist das kein lebendes Gehirn, aber ein zellulär aktives Gehirn“, sagt Studienautor Zvonimir Vrselja. Deutsche Experten bewerten die Arbeit unterschiedlich: „Die Grenze zwischen Leben und Tod ist eben doch nicht so klar, wie wir uns das bisher vorstellen“, sagt Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin an der Kölner Uniklinik. Der Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz sagt, die Forschungsergebnisse könnten „dazu führen, dass intensivmedizinische Maßnahmen länger als bisher ergriffen werden müssen.“

Bislang nahm an an, dass Nervenzellen ohne Blutversorgung und Sauerstoff binnen Minuten absterben. Doch schon länger gab es Zweifel daran, dass diese Degeneration tatsächlich schon nach wenigen Minuten komplett und unumkehrbar ist. Hier setzte die Studie an: Die Forscher besorgten sich von einem Schlachthof die Köpfe junger Schweine und entnahmen die Gehirne. Vier Stunden nach der Schlachtung pumpten sie mit einer eigens entwickelten Maschine eine Speziallösung durch die Hauptarterien. Sechs Stunden später stellten sie fest, dass einige Zellfunktionen noch erhalten waren.

Stoffwechsel, aber keine organisierte Aktivität

Sie fanden vereinzelte Aktivität an Synapsen und Stoffwechselprozesse, etwa Verbrauch von Sauerstoff und Glukose. Zudem fanden sie, dass Blutgefäße noch auf bestimmte Substanzen reagierten.

„Zu keinem Zeitpunkt haben wir eine Art organisierter elektrischer Aktivität beobachtet, die mit Wahrnehmung oder Bewusstsein verbunden ist“, betont Vrselja. Dennoch leitet Studienleiter Sestan grundlegende Erkenntnisse ab: „Das intakte Gehirn eines gesunden Säugetiers enthält noch mehrere Stunden nach einem Kreislauf-Stillstand eine bislang unterschätzte Fähigkeit zur Wiederherstellung der Durchblutung und gewisser molekularer und zellulärer Aktivitäten.“

Verschobene Grenze

Vorerst hätten aber „solche Ergebnisse keine Relevanz für einen Menschen, der auf offener Straße einen Herz-Kreislaufstillstand erfährt“, sagt Böttiger. Dieser brauche „nach wie vor schnellstmöglich Wiederbelebungsmaßnahmen.“ Dennoch zeigten solche Versuche, „dass sich die Grenze, die wir bisher für das Überleben von Hirnzellen gesetzt haben, verschiebt – und das ist gut so.“

Auf die für die Entnahme von Organen zur Organspende wichtige Hirntod-Definition dürften die Ergebnisse ebenfalls kaum Auswirkungen haben. Grund dafür ist unter anderem, dass als „hirntot“ diagnostizierte Patienten ohnehin meist noch isolierte zelluläre Funktionen der hier beschrieben Art aufweisen. (rif, dpa, smc)

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