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Frauen protestieren mit EU-Fahnen vor dem britischen Unterhaus gegen den Brexit.

© Hannah McKay/REUTERS

Studie zur Einwanderung aus Großbritannien: Vom britischen Ex-Pat zum deutschen Bürger

Die Zahl der in Deutschland eingebürgerten Briten hat sich von 2015 bis 2017 verzehnfacht - aus Angst vor den Folgen des Brexit, wie eine Berliner Studie zeigt.

Nach dem ersten Brexit-Referendum hat sich die Zahl der Briten, die einen deutschen Pass beantragt und erhalten haben, verzehnfacht. Erhielten 2015 noch 622 Briten eine zweite Staatsbürgerschaft in Deutschland, waren es 2017 bereits 7493. 2018 blieben sie auf hohem Niveau, mit einem geringen Abfall auf 6640 Einbürgerungen. Das geht aus einer gemeinsamen Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und der Oxford-Berlin Wissenschaftskooperation (OX/BER) hervor.

"Der Antrieb, neben der britischen Staatsbürgerschaft auch die deutsche zu erwerben, der vom bevorstehenden Brexit ausgeht, erfasst alle ökonomischen und sozialen Schichten", sagt Daniel Auer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung am WZB. Kernstück der Studie seien 50 Interviews mit in Deutschland lebenden Briten, die Daniel Tetlow für OX/BER geführt hat und die er gemeinsam mit Auer auswertet.

Aktuell veröffentlicht haben Auer und Tetlow einen kurzen Vorbericht, die eigentliche Studie soll Anfang 2020 erscheinen. Unbefriedigend sei bislang noch die Datenlage, erklärt der WZB-Forscher. Die vorläufigen Zahlen, die eine Verzehnfachung der Einbürgerungen in Deutschland und einen sechsfachen Anstieg für die EU insgesamt belegen, stammen von der OECD, die EU-weit Einwanderungszahlen von den Statistikämtern auswertet. Sie reichen allerdings erst bis 2017. Das Berliner Team ist Auer zufolge gerade dabei, selber Zahlen vom Statistischen Bundesamt (Destatis) für 2018 zu ergänzen.

Angst, den Status als EU-Bürger zu verlieren

Die Prognose der OECD für die EU-Einwanderung britischer Bürger jedenfalls geht von einem weiteren Anstieg der Zahlen aus. War 2012 mit 46.000 Einwanderern ein zwischenzeitlicher Tiefstand erreicht, kletterte die Zahl bereits 2015 auf 58.000, um 2016 stark auf 68.000 und 2017 auf 72.000 zu steigen. Für 2019 prognostiziert die Auer eine Zahl von etwa 84.000 britischen Migranten, die sich in EU-Ländern niederlassen. Das Minus von rund 850 Einbürgerungen in Deutschland für 2018 könne an der zwischenzeitlichen Hoffnung auf einen „guten“ Deal oder ein erneutes Referendum liegen - oder etwa an einem Rückstau bei den Einbürgerungsanträgen, sagt Auer.

Wer aber sind die Menschen, die sich dauerhaft in Deutschland niederlassen wollen? "Quer durch die Gesellschaft: Akademiker, die um ihre Karriereperspektiven fürchten, Spediteure, die ihr Geschäft durch den Brexit gefährdet sehen, oder Ex-Militärs, die in Deutschland stationiert waren und hiergeblieben sind", skizziert Auer die Gruppe der Befragten. "Drei große Mechanismen" hätten Britinnen und Briten dazu bewogen, den deutschen Pass zu beantragen beziehungsweise überhaupt erst nach Deutschland auszuwandern. Zum einen handle es sich um Menschen, die sich in Deutschland schon vor 2016 eine Existenz aufgebaut haben. Sie wollten "kein Risiko eingehen, ihren Aufenthaltsstatus als EU-Bürger zu verlieren".

Unabhängig davon, dass von deutscher staatlicher Seite immer wieder versichert werde, auch im Fall eines Brexit würden Briten nicht ausgewiesen: "Man gewinnt einen zweiten Pass und damit das Bleiberecht in der EU und in Deutschland", sagt Auer. Für Briten in Deutschland problematisch sei allerdings die Option des No-deal-Brexit: Sie sei verbunden mit großen Ängsten, sich dann wie andere Nicht-EU-Bürger auch für eine Staatsbürgerschaft entscheiden und auf die britische verzichten zu müssen. "Eine herzzerreißende und unmögliche Aussicht für viele", heißt es im Vorbericht.

Deutscher Pass gibt verlorene Sicherheit zurück

Die zweite, mit der ersten verwandten Gruppe seien jene, die nach dem Referendum von 2016 nach Deutschland kamen. Ihnen sei die ökonomische Unsicherheit in Großbritannien zu groß geworden, sagt Auer. Dazu gehöre aber auch ein junger leukämiekranker Schotte, der mit seinen Eltern übergesiedelt ist, weil die Familie einen Medikamentenengpass für seine Chemotherapie befürchtete.

Ein dritter Mechanismus seien die "schweren seelischen Belastungen" durch den bevorstehenden Brexit. Viele hätten die Unsicherheit, ob Großbritannien nun in der EU bleibe oder nicht, und was die Zukunft bringen würde, nicht mehr ertragen, sagt Auer. Viele seien auch "überzeugte Europäer", die nicht Teil des EU-Austritts sein wollten.

[Einen Blogbeitrag der Autoren der Studie mit mehr Details finden Sie hier]

Wie emotional die Situation für hier lebende Briten sein kann, zeigen Ausschnitte aus den Interviews. "Die deutsche Staatsbürgerschaft verschafft mir ein ganz neues Selbstvertrauen - und gibt mir die Sicherheit zurück, die ich verloren hatte", sagt Rachel, die aus Loughborough stammt. Start-up-Unternehmer Alex, der 2013 mit seiner Familie nach Deutschland zog, sieht wegen fehlender deutscher Sprachkenntnisse keine Chance für eine Einbürgerung: "Ich würde aber meinen britischen Pass auch nicht abgeben. Ich muss einfach der deutschen Regierung vertrauen, dass sie ihr Wort hält und uns nicht rausschmeißt."

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