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Maureen Maisha Auma spricht gestikulierend in ein Mikrofon.

© creative commons/Stephan Röhl

Struktureller Rassismus an deutschen Hochschulen: „Nur tagsüber sind Universitäten weiße Institutionen“

Maureen Maisha Auma über „Intersektionalität“ und strukturellen Rassismus an deutschen Hochschulen. Ein Interview zum Aktionstag #4GenderStudies.

Zum vierten Mal findet am Freitag, 17. Dezember, der jährliche Wissenschafts- und Aktionstag #4GenderStudies statt. Durchgeführt wird die Veranstaltungsreihe von der „Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen“.

In diesem Jahr liegt der Fokus auf der „Intersektion von Geschlecht und Rassismus“. Den Auftakt macht Monica Bonvicini mit einem Labor-Gespräch über künstlerische Produktion, Wissens- und Gender-Politiken (11 bis 12.30 Uhr). Im Anschluss laden Maisha Auma und Céline Barry zu einem Online-Gespräch über „Intersectional Black Studies“ ein (12 bis 13 Uhr).

Aus diesem Anlass hat Christoph David Piorkowski Maureen Maisha Auma interviewt. Sie ist Professorin für Kindheit und Differenz (Diversity Studies) an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Zurzeit ist sie Gastprofessorin an der TU Berlin.

Der Wissenschafts- und Aktionstag „#4GenderStudies“ legt den Fokus in diesem Jahr auf „Intersektionen“, also die Wechselwirkung verschiedener Diskriminierungstypen. Inwiefern bedingt das Zusammenspiel von „gender“, „race“ und „class“ eine spezifische Unterdrückungserfahrung?
Das würde ich gerne an einem historischen Beispiel der Arbeitssituation von schwarzen Frauen aus der Arbeiter*innenklasse erklären – dem Ursprungsereignis der Intersektionalitätstheorie. In den 1970er-Jahren klagten fünf Schwarze Frauen in St. Louis gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin General Motors.

Die Firmenpolitik von GM lautete damals: last hired, first fired – zuletzt eingestellt, zuerst gefeuert. Schwarze weibliche Beschäftigte, die erst spät im Betrieb angestellt wurden, waren dabei überproportional häufig von betrieblich bedingten Kündigungen betroffen.

Ihre Antidiskriminierungsklage wurde seinerzeit mit folgender Begründung zurückgewiesen: Eine rassistische Diskriminierung könne nicht festgestellt werden, schließlich arbeiteten bei GM auch mehrere Schwarze Männer am Fließband. Sexistische Diskriminierung sei hingegen nicht feststellbar, weil mehrere weiße Frauen im Sekretariatsbereich arbeiteten.

Eine als schwarze Frau markierte Person wird demnach nicht nur als Schwarze und nicht nur als Frau, sondern explizit als „schwarze Frau“ diskriminiert.
Richtig. Sie ist gleichzeitig von mindestens zwei Ausschließungsmustern betroffen. Der Beweis der Diskriminierung scheiterte vor Gericht an dem Umstand, dass die Klägerinnen durch mehr als eine politisch wirksame Differenz marginalisiert wurden.

Die Klägerinnen waren weder ausschließlich als Frauen diskriminiert worden, noch ausschließlich als Schwarze Personen, sondern als rassistisch marginalisierte, weibliche Subjekte. Die intersektionale Perspektive zeigt nicht zuletzt auch die Schwächen eines auf eindimensionale Markierungen ausgelegten Antidiskriminierungsrechts auf und nimmt die besondere Situation mehrfachdiskriminierter Menschen in den Blick.

Studierende sitzen im Hörsaal einer Universität.
Die übergroße Mehrheit der Studierenden in Deutschland ist weiß.

© Waltraud Grub/picture alliance

Die Bürgerrechtsbewegung in den USA wurde ursprünglich von schwarzen Männern, die feministische Bewegung von weißen Frauen der oberen Mittelklasse dominiert. Wann haben Arbeiterinnen of Color begonnen, auf die einseitige Ausrichtung emanzipatorischer Bewegungen aufmerksam zu machen?
Der Fokus auf marginalisierende Prozesse innerhalb diskriminierter Gruppen hat im emanzipatorischen Kampf eine lange Tradition. Es stimmt: Die Bürgerrechtsbewegung stellte charismatische männliche Figuren ins Zentrum, die feministische Bewegung machte die Lebensverhältnisse weißer heterosexueller Mittelschichtsfrauen zum Ausgangspunkt ihres Gerechtigkeitsdenkens. Mit der von Kimberlé Crenshaw begründeten Intersektionalitäts-Analyse wurden einander überlappende Unterdrückungsformen dann explizit zum Thema gemacht – seit den 90er-Jahren auch im deutschsprachigen Raum. Die eigentliche Antwort aber ist, dass solche Kämpfe schon immer geführt wurden. Subalterne Kollektive und Individuen sind bloß weniger sichtbar, als jene Akteur*innen, die zumindest in Teilen einen privilegierten Zugang zur Öffentlichkeit haben.

Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?
Nun, ich selbst bin als Schwarze Professorin trotz meiner vielfältigen Diskriminierungserfahrungen deutlich sichtbarer, und privilegierter, als die zahlreichen Frauen of Colour, die im „systemrelevanten“ Dienstleistungssektor schuften – und aktuell massiv ihre Gesundheit gefährden.

Schwarzes Leben sehe ich in deutschen Universitäten vornehmlich ganz früh am Morgen oder ganz spät am Abend, wenn das Reinigungspersonal seine Arbeit beginnt. Tagsüber sind das immer noch weiße Institutionen, weitgehend homogene Milieus, die sich selbst reproduzieren. Intersektionalität als Gerechtigkeitskonzeption richtet den Blick auf Menschen, die keine Plattform haben, auf die Marginalisierten innerhalb der Marginalisierung.

Laut der Philosophin Judith Butler gerät der Intersektionalitäts-Ansatz in theoretische Schwierigkeiten, weil die Reihe der einem Subjekt zugeschriebenen Diskriminierungs-Attribute niemals vollständig abgeschlossen ist. Wäre es sinnvoll, die Analyse auf einige Hauptkategorien – etwa class, race, gender, Körper und Sexualität – zu beschränken?
Ich stimme Butler grundsätzlich zu. Jeder theoretische Ansatz hat, wie gut er auch sein mag, irgendwo seine Schwächen. Die Stärke des Intersektionalitätsparadigmas haben wir bereits charakterisiert; es geht darum, die Vielschichtigkeit und Überschneidung von Ausschlussprozessen zu erfassen, um letztlich einen wirksamen Schutz zu entwickeln.

Was diese Perspektive nicht leistet, ist die Dekonstruktion gesellschaftlicher Grenzziehungen. Ich plädiere deshalb für die gleichzeitige Anwendung mehrerer Strategien, die einander sowohl widersprechen als auch kritisch ergänzen können. Mal müssen Gruppengrenzen bewusst gezogen werden, um gemeinsame Erfahrungen von Entwertung und Dehumanisierung sichtbar zu machen.

Ein anderes Mal müssen die gesellschaftlichen Grenzen dekonstruiert werden, um die Logik des Eingeteilt-Werdens zu durchkreuzen. Was wir brauchen, ist eine spannungsreiche Zusammenarbeit verschiedener Gerechtigkeitsparadigmen: „Empowerment“, „Dekonstruktion“ und „Normalisierung“.

Die Mitbegründerin der postkolonialen Theorie, Gayatri Spivak, plädierte einst für einen „strategischen Essentialismus“. Paradoxerweise müssen im identitätspolitischen Denken gerade jene Merkmale hervorgehoben werden, die man – als das leidvolle Resultat gesellschaftlicher Machtbeziehungen – langfristig überwinden möchte.
Besteht so die leise Gefahr, dass sich eine als Zwischenstadium gedachte Essentialisierung verstetigt – und kann die Verbindung der von Ihnen genannten Ansätze diesem Problem entgegenwirken?
Ich denke ja. Gayatri Spivak betont auch, dass machtkritisches Handeln stets ein Handeln in Widersprüchen ist. Eine multivalent ausgerichtete Gerechtigkeitsarbeit ist unumgänglich. Für sich alleine greifen Empowerment, Normalisierung und Dekonstruktion zu kurz.

Empowerment stärkt zwar die Perspektive der Ausgeschlossenen – sie zwingt sie aber auch dazu, als Gruppe zu sprechen, und bestätigt so die Logik der Einteilung. Dekonstruktion „entnatürlicht“ die zugeschriebenen Eigenschaften und zeigt so gewaltförmige Grenzziehungen auf – zugleich aber macht sie die Körper der dehumanisierten Gruppen unsichtbar, und verhindert so die kollektive Selbstermächtigung.

Normalisierung schließlich forciert die gesellschaftliche Teilhabe dehumanisierter Gruppen – zugleich aber bestätigt sie die Normalität jener strukturell ungerechten Verhältnisse, an denen sie ‚alle beteiligen‘ will. Wie Gudrun Axeli Knapp und Mai-Ahn Boger feststellen, sind all diese Emanzipationsstrategien darauf angewiesen, zusammenzuwirken.

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Was entgegnen Sie jener Kritik, die meint, dass sich die Gesamtheit der Unterdrückten durch die intersektionale Brille betrachtet in zahlreiche Kleinstidentitäten aufzusplittern droht, die miteinander dann um den jeweils schwereren Diskriminierungsgrad konkurrieren?
Wenn marginalisierte und dehumanisierte Gruppen sich darum streiten würden, wer am meisten gelitten hat, fände ich das nicht konstruktiv. Eine Gesellschaft sollte Leiden und Verluste insgesamt ernst nehmen, Leidenden grundsätzlich empathisch begegnen. Ich denke hier an George Floyd und ich denke hier an die neun Bürger*innen von Hanau, deren Leben, auf eine extrem sinnlose Art beendet wurde.

Ich denke an Halle, an den NSU-Komplex und vieles mehr. Was wir brauchen, ist eine intersektionale Sensibilität – es geht einfach darum, wirklich zu verstehen, wie sich Ausschließungsprozesse potenzieren können.

Intersektionalität ist ein „Traveling Concept“, ein Theorieimport aus den USA. Auf welche Weise hat sich der Ansatz durch die deutsche Rezeption verändert?
Die größte Kritik an der Rezeption der Intersektionalitätstheorie im deutschsprachigen Raum ist, dass sie von ihrer Verankerung in der Critical-Race-Theory-Bewegung, der rassismuskritischen Bewegung in den Rechtswissenschaften, entkoppelt wurde. Das Intersektionalitätsparadigma ist ein Kernbestandteil Schwarzer Wissensproduktion. Im deutschsprachigen Raum aber wurde ihm ein sehr weißzentrischer, sehr westzentrischer Charakter übergestülpt.

Wie verwurzelt sind Rassismus und Sexismus in der deutschen Universitätslandschaft? Sind die Strukturen im Begriff, sich zu wandeln?
Beide Exklusionsmuster sind im deutschsprachigen Raum in der höheren Bildung nach wie vor sehr wirksam. Die Zahl weiblicher Professorinnen bleibt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern konstant niedrig. Von der Zahl von Schwarzen und People-of-Color Professor*innen oder wissenschaftlichem BPoC-Personal in dauerhaften Anstellungen an den Fachhochschulen und Universitäten brauchen wir gar nicht erst zu reden.

Die Lage ist schlecht. Nehmen wir das hyperdiverse Berlin als Beispiel. Die Zusammensetzung des wissenschaftlichen Personals an Berliner Hochschulen kann die postmigrantische Realität der Stadt nicht im Mindesten abbilden.

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