zum Hauptinhalt
Behindertenverbände demonstrierten am Sonntag in Berlin gegen die am morgigen Donnerstag anstehende Entscheidung, nichtinvasive Bluttests zur Diagnose von Trisomien in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufzunehmen.

© Christian Ditsch/epd

Streit um Bluttests: Entscheidung über Tests auf Down-Syndrom soll verschoben werden

Soll die Kasse Bluttests erstatten, die bei Ungeborenen Trisomien erkennen? Das Gremium, das am Donnerstag darüber urteilen soll, könnte noch gestoppt werden

Ob molekulargenetische Tests, die aus dem Blut von Schwangeren das Risikos einer Trisomie 21, 18 oder 13 des Embryos bestimmen können, künftig von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden sollen, darüber soll am Donnerstag der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entscheiden. Doch womöglich könnte dieser Beschluss noch kurzfristig verhindert werden.

Einem Rechtsgutachten des Juristen Oliver Tolmein zufolge, das die Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) in Auftrag gegeben hat und das dem Tagesspiegel vorliegt, erlaubt die Verfahrensordnung des G-BA, das ganze Verfahren vorerst zu stoppen.

Tatsächlich fordern schon seit April diesen Jahres Behindertenverbände, der Bund der freiberuflichen Hebammen und das Gen-Ethische Netzwerk, die Entscheidung über eine Kassenzulassung des Bluttests erst einmal zu verschieben. Und auch der Berufsverband der niedergelassenen Pränatalmediziner hält es für nötig, länger über die Bedingungen einer Zulassung zu beraten. Die Mediziner sehen erhebliche inhaltliche Mängel bei dem Beschlussentwurf.

Einer ihrer Kritikpunkte: Die Definition, in welchen Fällen der Test angewandt werden soll, sei unbestimmt. Ein großes Problem, findet Alexander Scharf, Präsident des Verbandes. Der Begriff der Risikoschwangerschaft müsse klar definiert werden. Denn: „Je geringer das Risiko ist, desto unsicherer ist dieser Test.“

Zu hohe Fehlerrate bei Frauen mit geringem Risiko

Das geht auch aus dem Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2018 hervor, der Grundlage für die Beratungen im G-BA ist. Demnach liegt die Falsch-Positivrate für Trisomie 21 bei 17,4 Prozent, wenn der Test Frauen jeden Alters, unabhängig von einem Risiko, zur Verfügung steht. Demnach wäre bei jeder sechsten Frau, bei der ein Down-Syndrom festgestellt würde, das Ergebnis falsch. Die Folgen, argumentiert Scharf, wären nicht nur erhebliche Kosten für medizinisch unnötige Eingriffe, sondern auch eine hohe psychische Belastung der schwangeren Frauen.

Kritiker des Tests sehen bei dieser hohen Falsch-Positivrate auch die Gefahr überstürzter Schwangerschaftsabbrüche. „Es könnte passieren, dass Frauen, die ein positives Ergebnis bekommen, keine Diagnose mehr abwarten, sondern in Panik abtreiben,“ fürchtet die Grüne Corinna Rüffer.

Eine Überprüfung des Tests sei aber bei jedem positiven Ergebnis nötig. „Der Test ist ein Suchverfahren und ersetzt keine Diagnose,“ sagt auch Alexander Scharf. Darauf weisen auch die Anbieter der Tests hin: „Jedes positive Testergebnis sollte diagnostisch abgeklärt werden.“ Ein Sachverhalt, der in der Debatte völlig untergeht, klagt Scharf. „Beinahe alle scheinen zu glauben, der Test ersetze invasive Untersuchungen - doch davon kann keine Rede sein.“

Die Folgen der Kassenzulassung seien fatal, meint das Gen-Ethische Netzwerk in Berlin. Eine Beschränkung auf Risikoschwangerschaften hält man dort angesichts der Dynamik pränataler Diagnostik für unrealistisch. Der Test stehe schon jetzt jeder Frau, die ihn machen wolle, zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung. Mit seiner Zulassung als Kassenleistung werde auch der Druck auf werdende Eltern, Behinderungen zu vermeiden, erhöht.

Darüber hinaus ignoriere der G-BA auch die Voraussetzungen für die Aufnahme eines solchen Tests in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die habe als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern. All das leiste der Test nicht, er habe keinerlei medizinischen Nutzen. „Mit einem Untersuchungsergebnis ist keine therapeutische Handlungsoption verbunden.“

Parlamentarische Diskussion „zwingend notwendig“

„Der G-BA ist kein guter Ort für diese Entscheidung“, meint Kirsten Achtelik vom Gen-Ethischen Netzwerk. „Ein Gremium aus Krankenkassen und Ärzteverbänden sollte keine Entscheidung mit so weitreichenden sozialen und gesundheitspolitischen Folgen treffen.“

Der Test berühre fundamentale ethische Grundfragen, über die Kassenzulassung könne nicht allein nach medizinisch-technischen Kriterien entschieden werden, wie es im Methodenbewertungsverfahren des G-BA geschehe, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Verbände, die eine Aussetzung des Verfahrens fordern.

Das sieht eigentlich auch Josef Hecken so, der Unparteiische Vorsitzende des GBA. In einem Brief schrieb er, dass die Entscheidung im Falle der Bluttests für sein Gremium allein eigentlich zu groß sei: „Fundamentale ethische Grundfragen unserer Werteordnung“ seien damit berührt, eine parlamentarische Diskussion sei „zwingend notwendig“. Diese Debatte, heißt es vom Büro der Bundestagsabgeordneten Cornelia Rüffer, habe aber gerade erst begonnen.

„Die Orientierungsdebatte im Bundestag im April war der Anfang eines gesetzgeberischen Prozesses, nicht das Ende.“ Der G-BA solle diesen Prozess nun abwarten und das Verfahren ruhend stellen. Für eine zeitnahe Entscheidung besteht auch kein Grund: Eine Kassenzulassung könnte erst zusammen mit der noch in Arbeit befindlichen Versicherteninformation 2020 in Kraft treten.

Zur Startseite