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Kosmisches Karussell. Im Zentrum der Spiralgalaxie NGC 1365 haben Astronomen ein rotierendes Schwarzes Loch entdeckt. Auf ringförmigen Bahnen fliegt ihm Materie zu. Senkrecht dazu jagen Ströme energiereicher Teilchen, sogenannte Jets, ins All.

© Abb.: Nasa/JPL-Caltech

Star-Physiker Stephen Hawking: "Es gibt keine Schwarzen Löcher"

Der berühmte Physiker Stephen Hawking provoziert wieder: Jetzt stellt er die gängige Vorstellung über Schwarze Löcher infrage. Die seit Jahrzehnten dauernde Debatte wird er aber kaum befrieden können.

Von Rainer Kayser, dpa

Der Satz hat es in sich: „Es gibt keine Schwarzen Löcher“. Das schreibt der britische Physiker Stephen Hawking in seinem jüngsten Fachaufsatz. Ein weniger bekannter Forscher hätte für diese Behauptung unter seinen Kollegen wohl nur Kopfschütteln geerntet. Zumal die Veröffentlichung auf der Plattform „Arxiv.org“ gerade einmal zwei Seiten umfasst, keine einzige Formel enthält und noch nicht, wie in der Wissenschaft üblich, von Fachkollegen begutachtet wurde.

Hawking gilt als einer der wichtigsten Physiker dieser Zeit

Doch Hawking ist nicht irgendwer. Der durch eine Nervenerkrankung fast vollständig gelähmte Forscher gilt als einer der bedeutendsten Physiker der Gegenwart. So ist ihm nicht nur die Aufmerksamkeit seiner Kollegen in aller Welt sicher, sondern auch die der Öffentlichkeit. Zumal er die Aufmerksamkeit geschickt provoziert hat.

Denn tatsächlich zweifelt Hawking keineswegs daran, dass es Schwarze Löcher gibt. Er sucht nur nach einem Ausweg aus einem Dilemma, das die Physik seit Jahrzehnten plagt: Die kosmischen Schwerkraftungeheuer fügen sich nicht nahtlos in das physikalische Weltbild ein. Um das Dilemma zu lösen, schafft Hawking die Schwarzen Löcher nicht ab, er raubt ihnen nur einen bislang als grundlegend angesehenen Bestandteil, den „Ereignishorizont“.

Stephen Hawking. Der 72-Jährige zählt zu den berühmtesten Physikern der Gegenwart.
Stephen Hawking. Der 72-Jährige zählt zu den berühmtesten Physikern der Gegenwart.

© dpa

Die Idee von "dunklen Objekten" gibt es schon länger

Bereits im 18. Jahrhundert kam die Idee auf, es könne „dunkle Sterne“ geben, deren Schwerkraft so groß ist, dass nicht einmal Licht von ihrer Oberfläche ins All entkommen kann. Erst die Allgemeine Relativitätstheorie Albert Einsteins ermöglichte es, einen solchen Extremzustand physikalisch exakt zu beschreiben. Presst man genügend Materie auf engem Raum zusammen, so das Ergebnis, dann ist die Schwerkraft schließlich so groß, dass weder Materie noch Strahlung nach außen gelangen kann. Damit ist das Schwarze Loch von einem Ereignishorizont umgeben, aus dem keine Information nach außen dringen kann.

Neben der Relativitätstheorie ist die Quantenmechanik die zweite tragende Säule der Physik. Bislang ist es trotz vieler Versuche nicht gelungen, die beiden Theorien widerspruchsfrei miteinander zu verbinden. Doch das ist wichtig, auch für Schwarze Löcher. Bereits 1974 hatte Hawking gezeigt, dass für ihre Beschreibung sowohl die Relativitäts- als auch die Quantentheorie bedeutsam sind.

Das Besondere an der Quantenphysik besteht unter anderem darin, dass es kein Vakuum gibt. Im vermeintlich leeren Raum entstehen ständig Paare aus Teilchen und Antiteilchen. Diese „virtuellen“ Teilchen stoßen aber nach kurzer Zeit wieder zusammen und vergehen, auf dass bald darauf erneut Teilchenpaare entstehen. Am Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs gerät dieses Gleichgewicht aus den Fugen. Entsteht dort ein Teilchenpaar, so kann das eine Teilchen ins Schwarze Loch hineinfallen, während das andere entkommt. Auf diese Weise geben Schwarze Löcher eine nach Hawking benannte Strahlung ab. Die Schwerkraftmonster bestehen also nicht bis in alle Ewigkeit, die Hawking-Strahlung entzieht ihnen langsam Energie, über Jahrmilliarden verdampfen sie vollständig.

Drei Jahrzehnte lang tobte der Forscherstreit

Die Vergänglichkeit der Schwarzen Löcher wirft ein schwerwiegendes Problem auf. Denn laut der Quantentheorie kann Information nicht verloren gehen. Bis zu Hawkings Entdeckung konnten die Physiker davon ausgehen, dass alle Information über Materie, die in ein Schwarzes Loch hineinfällt, dort bis in alle Ewigkeit gut aufgehoben ist. Doch wenn Schwarze Löcher vergänglich sind, verschwindet auch die in ihrem Inneren gespeicherte Information.

Oder sollte sie in der Hawking-Strahlung stecken? Drei Jahrzehnte lang tobte ein Forscherstreit über diese Frage. 2004 gelang den Quantentheoretikern Donald Marolf und Juan Maldacena der Beweis, dass die Information tatsächlich mit der Hawking-Strahlung entweichen muss. Aber wie sollte das geschehen? Klar war nur, dass die Kodierung der Information etwas mit einem weiteren Quantenphänomen zu tun haben muss, mit der „Verschränkung“. Gemeinsam entstehende Teilchen, wie beispielsweise die virtuellen Paare, bleiben über diesen Effekt selbst auf große Entfernungen hinweg miteinander verbunden.

Es knirscht mächtig im Gebälk der Physik

Vor zwei Jahren zeigte der theoretische Physiker Joseph Polchinski, dass die Hawking-Strahlung nur dann die Information aus dem Inneren nach außen tragen kann, wenn die Verschränkung der am Ereignishorizont entstehenden Teilchenpaare zerstört wird. Das hat aber seinen Preis: Dieser physikalische Vorgang setzt eine große Menge an Energie frei, der Ereignishorizont verwandelt sich in eine Wand aus Feuer. Jede Materie, die von außen in ein Schwarzes Loch hineinfällt, würde beim Passieren dieser Feuerwand verglühen.

Hier knirscht es mächtig im Gebälk der Physik. Denn die Relativitätstheorie macht eine völlig andere Vorhersage. Ihr zufolge sollte für einen Astronauten, der in ein Schwarzes Loch hineinfällt, am Ereignishorizont nichts Auffälliges geschehen. Eine alles verzehrende Feuerwand wäre jedoch für den bedauernswerten Raumfahrer alles andere als unauffällig. Wieder einmal prallen also Quantenmechanik und Relativitätstheorie unversöhnlich aufeinander.

Die Diskussion wird Hawking nicht zur Ruhe bringen

Hawking versucht dieses Problem zu lösen, in dem er den Ereignishorizont verschwinden lässt. „Kein Ereignishorizont, keine Feuerwand“, sagt er. Es gebe lediglich einen „scheinbaren Horizont“, der aber zeitlich variabel sei und aus dem Strahlung entkommen könne. Hawking versucht mit seinem Vorschlag, einen Weg aus dem Dilemma zu weisen, einen formalen Beweis legt er nicht vor. Entsprechend zurückhaltend ist die Resonanz in der Fachgemeinde. Die Debatte über Schwarze Löcher wird also weitergehen. Denn nur eines scheint sicher: Eine vollständige, physikalisch widerspruchsfreie Beschreibung Schwarzer Löcher kann erst gelingen, wenn Quantenmechanik und Relativitätstheorie in einer gemeinsamen „Weltformel“ aufgehen.

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