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Experimentell. Forscher konnten tauben Wüstenrennmäusen mit embryonalen Stammzellen einen Teil ihres Hörsinns zurückgeben. Bis zur Anwendung beim Menschen ist es jedoch noch ein weiter Weg.

© Marcelo Rivolta, University of Sheffield

Stammzellkliniken: Dubiose Geschäfte mit der Hoffnung

Wissenschaftler kritisieren, dass viele private Stammzellkliniken mit unhaltbaren Behauptungen werben. Das gefährde Patienten und das Ansehen der Stammzellforschung.

„Ich bin kein Diabetiker mehr“, schreibt Alberto. Und Johannes berichtet: „Ich habe keine Schmerzen mehr und brauche keine Medikamente.“ Stammzellen müssen Wundermittel sein, suggeriert die Werbung privater Stammzellkliniken wie „Cells4health“. Krankheiten wie ALS, Alzheimer oder Multiple Sklerose – alles behandelbar, wenn man laut Preisliste bis zu 44 000 Euro zahlen kann.

Hinter dem Schweizer Unternehmen „Cells4health“ steht Cornelis Kleinbloesem. Er war zuvor Chef der umstrittenen Düsseldorfer Stammzellklinik „XCell“. Sie wurde 2011 geschlossen, nachdem die Bezirksregierung Köln der Klinik die Vergabe stammzellhaltiger Knochenmarkspräparate untersagt hatte. Einige Operationen hatten schwere Komplikationen ausgelöst, ein Kind war gestorben. Gegen die zuständige Ärztin soll im Herbst Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung erhoben werden. Trotz laufender Ermittlungen rund um „XCell“ hat Kleinbloesem eine neue Klinik im Libanon eröffnet und wirbt unter anderem in Indien, der Türkei, im Iran und den USA um Patienten.

Ian Wilmut forscht selbst an Stammzelltherapien, will aber keine zu hohen Erwartungen wecken.
Ian Wilmut forscht selbst an Stammzelltherapien, will aber keine zu hohen Erwartungen wecken.

© picture-alliance/ dpa

„Es gibt weltweit Privatkliniken, die die Verzweiflung der Patienten ausnutzen. Sie bieten etwas an, das im besten Fall nicht wirkt und im schlimmsten Fall zum Tode führt“, sagt der britische Biologe Ian Wilmut, der als „Vater“ des Klonschafs Dolly bekannt wurde. Wilmuts Team arbeitet selbst an Stammzelltherapien. Er weiß, wie kompliziert das noch ist und versucht, keine allzu großen Erwartungen zu wecken: „Natürlich sind wir begeistert von unserer Forschung“, sagt er. „Aber wir dürfen ihr Potenzial nicht übertreiben. Sonst enttäuschen wir Patienten oder ermutigen sie indirekt, sich an solche Kliniken zu wenden.“

Fortschritte macht die Stammzellforschung vor allem in Tierversuchen. Taube Wüstenrennmäuse etwa konnten Marcelo Rivolta und seine Kollegen von der Universität von Sheffield wieder hören lassen, berichten sie im Fachjournal „Nature“. Sie hatten aus menschlichen embryonalen Stammzellen Vorläufer von Sinnes- und Nervenzellen gezüchtet. Erst dann haben sie die Vorläuferzellen den Mäusen eingepflanzt. Innerhalb von zehn Wochen bildeten die Zellen neue Verbindungen vom Ohr zum Gehirn. Die Forscher hoffen, damit eines Tages Formen der Taubheit behandeln zu können, bei denen Teile des Hörnervs absterben.

Der Ruf solch sinnvoller Forschung könnte unter den dubiosen Praktiken privater Stammzellkliniken leiden, befürchten Wissenschaftler wie Wilmut. Die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) hat deshalb eine Patientenwebseite (www.closerlookatstemcells.org) eingerichtet, die Interessierten helfen soll, die Spreu vom Weizen zu trennen. Bis 2011 konnte man sich dort auch Einschätzungen konkreter Kliniken ansehen – dann unterbanden die Anwälte der Kliniken diese unabhängige Aufklärung.
Die Kliniken dürften gar nicht erst mit haltlosen Versprechen werben, fordern Forscher der Universität von Kalifornien im Fachmagazin „Science Translational Medicine“. Auch die angebotenen Therapien müssten reguliert und überwacht werden – weltweit. Bis dahin hilft nur eines: Skepsis und ein kühler Kopf.

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