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Sprachbegabt. Papageien nutzen für ihren Gesang ähnliche Gennetzwerke wie der Mensch für Sprache.

© picture alliance / dpa

Stammbaum der Vögel: Zahnlose Sänger

Das Erbgut hilft, die Evolution der Vögel neu zu zeichnen. Dabei zeigt sich unter anderem: Falken sind enger mit Papageien verwandt als mit Adlern.

Als vor 66 Millionen Jahren mit einem Donnerschlag nicht nur die Dinosaurier, sondern viele weitere Arten in einem Massenaussterben ausgelöscht wurden, nutzten vor allem Säugetiere und Vögel ihre Chance und besetzten den Freiraum. So weit die Theorie. Nun haben rund 200 Wissenschaftler aus 20 Ländern das Erbgut von 45 Vogelarten analysiert, mindestens ein Exemplar aus jeder großen Familie. Ihre Ergebnisse und den so errechneten Stammbaum veröffentlichten sie in 28 Artikeln in Fachblättern wie „Science“ und „Genome Biology“. Das Massenaussterben war demnach eine Art „Urknall“ für die Überlebenden. In den darauffolgenden 10 bis 15 Millionen Jahren wurden alle Weichen dafür gestellt, dass sich die mehr als 10 000 heute lebenden Vogelarten entwickeln konnten. Der früheste gemeinsame Vorfahr der Landvögel war ein besonders guter Räuber.

Fast das gesamt Genom wurde entschlüsselt

Frühere Analysen legten nahe, dass der Grundstein heutiger Vogelvielfalt zu Zeiten der Dinos gelegt wurde. „Das passte schlecht zu den Fossilfunden“, sagt Gerald Mayr vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main. Dieses Mal hatten die Forscher, die von Guojie Zhang von der Nationalen Genbank Chinas/ BGI, Thomas Gilbert vom Naturhistorischen Museum Dänemarks und Erich Jarvis von der Duke-Universität in North Carolina koordiniert wurden, nahezu das gesamte Genom der Arten entschlüsselt und miteinander verglichen. Ergebnisse und Funde stimmen nun besser überein.

Krokodile als nächste Verwandte der Vögel

Die Forscher untersuchten außerdem das Erbgut von Leisten-Krokodil, Gangesgavial und Mississippi-Alligator. Die drei Reptilien gehören zu den nächsten lebenden Verwandten der Vögel. Sie führen demnach nicht nur ein gemächlicheres Leben als die lebhaften Vögel. Auch das Erbgut der Krokodile veränderte sich im Lauf der Evolution erheblich langsamer.

4000 Prozessoren rechneten parallel, einen Monat lang

Das Erbgut eines Vogels ist zwar 70 Prozent kürzer als bei einem Säugetier. Trotzdem waren die für den Stammbaum nötigen Vergleiche eine Sisyphos-Arbeit. „Im Weltall gibt es nur 100 Mal mehr Atome, als Stammbäume für 50 Arten möglich sind“, sagt Alexandros Stamatakis vom Heidelberger Institut für Theoretische Studien und vom Karlsruher Institut für Technologie. Der Prozessor eines Computers hätte dafür 300 Jahre gebraucht. Stamatakis und André Aberer verteilten die Arbeit daher auf 4000 parallel arbeitende Prozessoren. Sie hatten nach einem Monat das Ergebnis. Früh haben die Vögel hunderte Erbeigenschaften verloren, die für Säugetiere bis heute wichtig sind. Dazu gehören Gene, die den Aufbau verschiedener Organe wie Knochen und Lungen steuern. Dieser Verlust hat den Vögeln unter Umständen geholfen, Knochen in Leichtbauweise zu entwickeln, ein Vorteil beim Fliegen. Bereits vor rund 116 Millionen Jahren verschwanden aus dem Erbgut der Vögel Gene für Zahnschmelz und Zahnbein. Seitdem verlässt sich das Federvieh auf seine Schnäbel.

Hennen haben ein W-Chromosom

Die Geschlechtschromosomen unterscheiden sich grundlegend zwischen Vögeln und Säugetieren. Die Vogelweibchen haben im Gegensatz zu den Männchen ein „W-Chromosom“, während bei den Säugetieren der kleine Unterschied von einem Y-Chromosom herrührt, das nur die Männchen haben. Dieses ist allerdings ziemlich verkümmert, nur wenige Gene machen den Mann zum Mann. Ganz anders bei vielen Vögeln, bei denen das W-Chromosom der Weibchen viel mehr aktive Erbeigenschaften enthält, als zum Eierlegen benötigt werden.

Der Blick ins Erbgut offenbarte auch Gemeinsamkeiten. Dass menschliche Sprache und das Erlernen neuer Lieder bei Vögeln ähnliche Verhaltensweisen sind und dabei sogar ähnliche Nervennetzwerke im Gehirn aktiv werden, wussten die Forscher um Jarvis bereits. Nun zeigen sie, dass dafür ähnliche Gennetzwerke zuständig sind. Etwa 2700 Gene werden durch das Singen neuer Lieder reguliert. Die Fähigkeit, Töne nachzuahmen und neue Melodien zu komponieren, entwickelte sich bei Singvögeln, Papageien und Kolibris. Mindestens zwei der Gruppen „erfanden“ das stimmliche Lernen unabhängig voneinander, zeigt der neue Stammbaum. Mehrmals erfunden hat die Natur auch die Füße mit Schwimmhäuten, mit denen zum Beispiel Enten im Wasser paddeln.

Streitfälle endlich aufgeklärt

Der Stammbaum entscheidet einige Streitfälle. Dass die Laufvögel, zu denen die afrikanischen Strauße und die Kiwis Neuseelands gehören, und die Steißhühner Südamerikas schon lange ihre eigenen Wege in der Evolution gehen, war bekannt. Neben dieser Unterklasse der Urkiefervögel gibt es nur noch die Neukiefervögel, zu denen die weit überwiegende Zahl aller Vogelarten gehört. Sehr urtümlich bei diesen wiederum sind die Hühnervögel sowie die Gänse und Enten.

Von Neukiefervögeln spaltete sich rasch eine bisher unbekannte Gruppe ab, die Siavash Mirarab von der Universität von Texas in Austin und Tandy Warnow von der Universität von Illinois in Urbana-Champaign unter dem Begriff Columbea zusammenfassen. Zu ihr gehören so unterschiedliche Arten wie Lappentaucher, Flamingos und Tauben.

Sperlingsvögel stellen mehr als die Hälfte aller Vögel

Außer dieser neuen Gruppe liefert die Analyse bei den Neukiefervögeln keine großen Überraschungen. Wie vermutet, gingen danach die Kuckucke eigene Wege. Ihnen folgten Segler und Kolibris sowie später die Kraniche. Anschließend kommt im Stammbaum ein großer Ast, der sich rasch in die Zweige der Tropikvögel, Seetaucher, Pinguine und einer weiteren Gruppe mit Pelikanen, Reihern und Kormoranen aufteilt. Anschließend wächst aus dem Stammbaum ein weiterer kurzer Trieb, der sich in drei Gruppen mit Neuwelt-Geiern und anderen Greifvögeln, Eulen sowie den Spechten, Bienenfressern und Nashornvögeln aufteilt. Ganz am Ende kommt noch der Ast der Falken sowie die Papageien und ein großer Rest mit allen Sperlingsvögeln, die mehr als die Hälfte aller Vögel stellen und zu denen die Singvögel vom Sperling bis zu den Raben gehören. Auch wenn es anders aussieht: Falken sind enger mit Papageien verwandt als mit Adlern.

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