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System der Angst. Symbolisches Grab für „Faulpelze“, als Drohung an alle, die ihre Arbeitsnorm nicht erfüllten.

© DHM/Memorial

Stalinismus: Auf den Spuren sowjetischer Lager

Das Deutsche Historische Museum zeigt eine Ausstellung zum Gulag, dem sowjetischen Lagersystem. Das heutige Russland tut wenig, um an die Lager zu erinnern; die Gesellschaft "Memorial", Mitorganisatorin der Ausstellung, steht unter verschärfter Beobachtung.

Für die Ausstellung „Gulag. Spuren und Zeugnisse 1929–1956“, die jetzt im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin eröffnet wurde, könnte keinen besseren und richtigeren Ort geben. Denn die Ausstellung beleuchtet zwar das dunkelste Kapitel in der Geschichte der Sowjetunion, aber eines, das mit Deutschland verwoben ist. Kamen doch in den über das ganze Riesenland verstreuten Lagern des Gulag, der schlicht und bürokratisch „Hauptverwaltung der Lager“ genannten, krakenhaft sich ausbreitenden Behörde des Innenministeriums NKWD, auch tausende Deutsche um. Teils handelte es sich um vor dem NS-Regime geflohene Kommunisten, teils um schon zuvor in der Sowjetunion Ansässige oder aber, nach 1941, um Deutschstämmige, die nun als „Agenten“ verurteilt wurden.

Die Anschuldigungen waren durchweg aus der Luft gegriffen, bisweilen erkennbar absurd. Aber es galt, zumal während des „Großen Terrors“ 1936 bis 1938, „Quoten“ zu erfüllen und Sklavenarbeiter zur Erschließung unwirtlicher Gegenden zu liefern. Von dieser Sklavenarbeit erzählt sie Ausstellung, die vor einem Jahr in Neuhardenberg und später in Weimar-Buchenwald gezeigt wurde, jetzt aber im DHM endlich das breite Publikum finden kann, das sie verdient hat.

Die Moskauer Gesellschaft „Memorial“, die die Ausstellung verantwortet, ist kein Museum, sondern eher eine Sammelstelle persönlicher Erinnerungen. So berichtet die Ausstellung denn auch die historischen Tatsachen, aber sie erzählt vor allem von Schicksalen. Sie zeigt die abgerissenen Kleidungsstücke, den einzigen „Besitz“ der Häftlinge, mit denen sie der arktischen Kälte im Norden Sibiriens zu trotzen hofften, sie zeigt selbst gefertigte Werkzeuge, mit denen sie nach Gold schürfen oder in Gruben steigen mussten, und sie zeigt die so unendlich kostbaren Habseligkeiten, ein Säckchen für Brot oder eine Puppe als Erinnerung an die eigene Tochter.

„Es gibt keine geteilte Erinnerung, was Menschenrechtsverletzungen angeht“, sagt Irina Scherbakowa, Wissenschaftlerin der Gesellschaft Memorial. „Das ist eine europäische Erinnerung.“ Und ganz Europa muss es angehen, dass die 1989, in der Zerfallszeit der Sowjetunion, gegründete Gesellschaft in Russland neuerdings als vom Ausland finanzierte Organisation gilt, weil sie mit westlichen Institutionen zusammenarbeitet: „Nach den neuen Gesetzen müssen wir uns als ,Agenten’ ausweisen“, sagt Scherbakowa. Das Wort „Agent“ stand in der Stalin-Zeit in Hunderttausenden von Gerichtsurteilen.

Es gibt nur sehr wenige materielle Zeugnisse des Gulag-Systems, obgleich es Hunderte von Lagern gab. Und ganze Lagerregionen, in denen sich die Geschichte der Häftlinge mit der der gleichzeitig entstandenen Industriestädte mischt. Dort lebten Freigelassene, aber weiterhin Verbannte, auch lange nach der Auflösung des Gulag in den Jahren des nach Stalins Tod 1953 langsam einsetzenden „Tauwetters“. Die Lagerbaracken sind verrottet, wie auch manches nach 1953 aufgegebene Irrsinnsprojekt, darunter die Polarkreis-Eisenbahn Salechgard–Igarka.

Die vollständige Überlieferung dieser Zeit bewahrt die Literatur, Warlam Schalamow vor allem mit seinen endlich auch in Deutschland zugänglichen „Erzählungen aus Kolyma“. Dieser Ort im fernsten Nordosten ist zum Synonym für die Entmenschlichung im Gulag geworden. 20 Millionen Menschen wurden insgesamt durch seine Lager geschleust, und es ist hohe Zeit, ihr Zeugnis zu sammeln und zu bewahren, so sie noch am Leben sind. Putins Russland hat an ihnen kein Interesse.

Deutsches Historisches Museum, bis zum 1. September. Täglich 10 bis 18 Uhr; Eintritt 8 Euro, erm. 4 Euro. Informationen im Internet: www.ausstellung-gulag.org

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